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ERLEBNISSE DES OUDÉTERON

Aus dem Manuskript des Romans „ANASTACIA“.

Wir Begleiter Anastacia Panagous und der AP 2000 ® – Inverno, Primavera, Estate, Autunno, Afrodíti, Irmís und ich, das Oudéteron – hatten die Angewohnheit, uns immer wieder zu synchronisieren. Das lag wohl an unserer gemeinsamen Sozialisierung (obwohl wir eigentlich zwei Gruppen waren, die etwas ältere „italienische” und die jüngere „griechische”, aber dieser Unterschied war mittlerweile ziemlich unerheblich geworden). Wir selbst vermuten, dass die Panagou bei uns, anders als bei den einzeln produzierten Exemplaren unserer Spezies, gewisse Strukturen mit Copy & Paste erzeugte. Auch die Erziehungsmaßnahmen Anpans – Anastacia hatte sie, wie erinnerlich, mit einer zahmen Elefantin verglichen, die einige gerade eingefangenen Wildtiere unter ihre Fittiche nimmt – führten natürlich zu bestimmtem Gleichklängen zwischen uns.

So hatten wir beispielsweise mindestens einmal täglich das Bedürfnis, uns an den Händen zu nehmen und um unsere Konstrukteurin oder unsere Quasi-Schwester AP 2000 ® herumzutanzen, bis sie uns Einhalt geboten. Auch sprachen wir gerne im Chor, ebenfalls nicht zur ungeteilten Freude der beiden Damen. Und wir schliefen gern alle zusammen auf einer riesigen Matte in dem auf unseren technisierten Geschmack zugeschnittenen Raum, den uns die NOSTRANIMA eingerichtet hatte – aber Schlafen bedeutet bei unsereinem natürlich nicht, dass wir unser Bewusstsein ausblenden wie die richtigen Menschen, sondern bloß in eine Art Standby zur Regeneration und weiteren Differenzierung unserer Schaltkreise verfallen.

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Ich hatte Anastacia und Anpan bereits vor unserer Ankunft auf VIÈVE dringend geraten, die Sieben zunächst bei mir an Bord zu belassen, denn es war mir bis dahin noch immer nicht gelungen, ihre schwere Traumatisierung – ausgelöst durch ihren todbringenden Einsatz bei der Befreiung der Station von den Echwejchs – zu mildern und wenn möglich zu heilen. Ich war keineswegs willens, dieses Syndrom auf die leichte Schulter zu nehmen, wie die Panagou und ihre Lieblingsandroidin dies offenbar taten, obwohl ich ihnen dabei nicht unbedingt Böswilligkeit unterstellen möchte. Mir ging es einfach darum, die Fehlentwicklungen in diesen virtuellen Entitäten mit ruhiger Hand zu korrigieren und sie damit auch ihre individuellen Eigenschaften wieder entdecken zu lassen. Denn eines schien mir gewiss: Was Oudéteron hier als Drang zur Synchronisierung beschrieb, resultierte eigentlich aus der durch dramatische äußere Umstände ausgelösten Überlagerung ihrer Unterschiede, die von Haus aus eher groß waren – dank Anastacias Genie…

Wenn wir uns in unserem Spielzimmer herumwälzten, schliefen wir aber nicht nur im vorhin genannten Sinn, wir hatten auch Sex miteinander, analog zur menschlichen Bedeutung des Begriffs. Dabei gab es allerdings keine besonderen personellen Präferenzen, wenn man davon absieht, dass ich selbst eine überdurchschnittlich begehrte Partnerschaft für die anderen war.

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Trotz meiner tiefen Bewunderung für meine Schöpferin Anastacia Panagou (denn bei aller Hilfe Giordano Brunos und Chicagos ist es natürlich ihr hauptsächliches Verdienst, dass ich überhaupt existiere) – trotz dieser Verehrung also muss ich doch feststellen, dass sie bestimmte Defekte aufweist, die allerdings nicht untypisch für ihre Gattung sind: vor allem die Tendenz, sich von Gefühlen leiten zu lassen und dann womöglich auch einige von uns in dieses Fahrwasser zu ziehen in dem offenkundigen Bestreben, ein Abbild ihrer selbst zu gestalten statt eine neue Art Individualität. Meiner Ansicht nach würden aber für uns künstliche Wesen durchaus die weniger überschäumenden Gemütsbewegungen reichen, die das Model of Emotional Response produziert.

Irgendwie muss ich der NOSTRANIMA hier Recht geben, denn ich habe beobachtet, dass Anpan, seit Anastacia ihr dieses Lied von der neuen Liebe, „Acontenceu um novo amor…”, vorspielen ließ, geradezu süchtig nach Samba und Bossanova geworden war. Sie konnte einfach nicht genug davon bekommen, wiegte ihre Hüften zu „Garota de Ipanema” und zog damit sogar Estate in ihren Bann, die vom Äußeren her ohnehin gut zu diesen Klängen passte, denn sie besaß diesen goldgetönten Körper. Der Schatten, der seit dem Gemetzel auf VIÉVE unsere Gefährtin gefangen hielt, löste sich langsam, und sie wurde wieder ein wenig jene lebenslustige Gestalt, als die wir sie ganz am Anfang unserer Existenz kennengelernt hatten.

EstateWenn sie diese Rhythmen hörte, nahm sie mich beiseite, streifte eines dieser bunten Sommerkleider ab, die sie jetzt wieder öfter trug und bot mir ihren üppigen Leib dar – und ich beeilte mich zu fragen, was ihr denn genehm sei, ein männlicher Liebhaber oder eine weibliche Liebhaberin. „Bleib, was du gerade bist!”, pflegte sie dann zu antworten, wohl wissend, dass es von meiner momentanen Stimmung abhing, wie ich mich kalibrierte, und dass es für sie nur von Vorteil sein konnte, mir in meine jeweilige Verfasstheit blindlings zu folgen: „Moça do corpo dourato, do sol de Ipanema – a beleza que existe, a beleza que não é só minha…”

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Und ich hatte noch dazu für diese Untermalung gesorgt, denn Musik war mein Lebenselixier und ich konnte nicht widerstehen: Es gab Melodien, die mich beschleunigten, solche, die mich bremsten, andere, die meine telepathischen Fähigkeiten schärften, welche, die zur Erbauung meiner Fahrgäste dienten und zu meiner eigenen noch dazu, wie eben jetzt, denn – nun, vielleicht ist mein vorheriges Urteil über Anastacia zu hart, vielleicht meinen wir ohnehin dasselbe, wenn wir von Methoden sprechen, die seelische Erschütterung ihrer jüngsten Androiden zu behandeln.

Wenn das Schiff dergestalt herumargumentierte, zeigte sich nach meiner Diagnose auch bei ihm die Unsicherheitskomponente, die das Zulassen einer Gefühlswelt – zu welchem Zweck auch immer – mit sich brachte. Schließlich besaß die NOSTRANIMA ebenfalls ihre spezifische Sexualität, die wie beim menschlichen Original wohl oder übel nicht ausschließlich von einer präzisen Ratio gesteuert werden konnte – abgesehen davon, dass die Erotik einer Entität dieser Art für Biohumanoiden noch viel schwerer vorstellbar sein musste wie jene von uns Androiden, die wenigstens corpora eiusdem modi aufwiesen.

Natürlich hatte auch der Raumkreuzer eine physische Gestalt, jedoch war diese aufgrund seiner Multifunktionalität und der daraus resultierenden extremen Wandelbarkeit nicht als Anker für menschliche Sexualaspirationen geeignet. Anders geht es da schon uns „griechischen” Quasi-Geschwistern, die konkrete erotische Erfahrungen mit der überwölbenden und umschließenden Zuneigung der NOSTRANIMA sammeln konnten, als wir von ihr in überdimensionalen, mit blauen Samt ausgekleideten Schatullen gleich kostbaren Schmuckstücken mittels akustischer Berieselung therapiert wurden – und diese im Speziellen war nun durchaus nichts nach Anastacias Geschmack, sondern ein Cocktail aus elektromagnetischen Schwingungen, teilweise sogar in bloß für uns hörbaren Bereichen des Spektrums.

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Die Biohumanoiden sprechen in ihrer Überheblichkeit manchmal leichtfertig von Maschinensex, und dieses Wort hat bei ihnen einen geradezu obszönen Beigeschmack, vor allem deshalb, weil die Panagou ihre Androiden definitiv menschenorientiert programmierte. Mit deren zunehmender Verselbstständigung aber – die ja eine wesentliche Intention unserer Konstrukteurin darstellt – waren sie nicht nur das und wollten auch nicht nur das sein, sondern standen auch untereinander in zunehmender Interaktion: Wie jeder andere Daten- oder Spannungsaustausch zwischen ihnen musste man dann auch jenen Maschinensex als normal akzeptieren.

Das Ambiente, das uns die NOSTRANIMA bot, ließ uns einen Besuch auf der Raumstation entbehrlich erscheinen. Irgendwie hatten wir die Ereignisse dort, in die wir so sehr involviert gewesen waren, ausgeblendet, will sagen: Selbst wenn die Prozesse in unseren Schaltkreisen einmal nicht gerade zielorientiert abliefen, sondern einen Randomwalk vollführten, der zufällig an diese spezielle Vergangenheit rührte, versuchten wir immer sehr rasch, über diese Klippe hinwegzukommen zu einem anderen Thema. Und das war eben sehr oft Sex. Oder Musik. Oder Musik, die uns zum Sex animierte. Die Variationen der Anlässe waren wie auch die Variationen des Vollzugs sehr vielfältig und wurden durch unseren assoziativen Umgang damit noch immer mehr.

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Mir kam dieser Zustand meiner Schützlinge sehr entgegen, denn nun konnte ich ein Verfahren anwenden, das ich mir nach langen Überlegungen zurechtgelegt hatte, bei dem aber dieser entspannte Zustand der Patienten eine wesentliche Voraussetzung war. Dass Anastacia und Anpan mittlerweile nach VIÈVE hinübergewechselt waren und über Einladung von Mango Berenga in deren Palast wohnten, passte ebenfalls in mein Konzept. Ich verschloss ohne viel Aufhebens die Andockschleuse, um vorerst jeden weiteren Transit zu unterbinden – schließlich war ich dank meiner telepathischen Fähigkeiten ohnehin imstande, auf einem subkritischen Aufmerksamkeitsniveau alle Vorgänge drüben zu beobachten und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Außerdem trat die AP 2000 ® von Zeit zu Zeit mit mir in Kontakt. Unter anderem teilte sie mir mit, dass die Königin meinen Wunsch nach Abschottung der Sieben respektierte, obwohl sie eigentlich die Absicht hegte, ihnen offiziell zu danken und sie mit dem höchsten Orden ihres kleinen Reiches auszuzeichnen. Sie nahm aber davon Abstand, da sie meinen Ansatz verstehen konnte – abgesehen davon, dass sie mir gegenüber großen Respekt hatte, seit es mir mit Berenices Hilfe gelungen war, anlässlich der Trennung der beiden Universen ihre Kinder und die übrigen Mischlinge auf der Station vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren.

Natürlich hätten wir in Wirklichkeit ganz gerne gewusst, was denn unsere Quasi-Schwester Anpan und unsere Konstrukteurin auf VIÈVE, aber mehr als einige allgemeine Aussagen waren der NOSTRANIMA nicht zu entlocken. Im Gegenteil, sie brachte uns mit sanftem Druck dazu, uns weiter mit uns selbst zu beschäftigen, jeder für sich und auch alle untereinander, was sie uns nicht zweimal zu sagen brauchte: Wir sangen und tanzten, denn nun waren wir bereits alle süchtig nach den lateinamerikanischen Rhythmen, die das Schiff für uns spielte, auch wenn die Lieder manchmal traurig klangen:

Lá vou eu de novo como um tolo
procurar o desconsolo
que cansei de conhecer
novos dias tristes, noites claras
versos, cartas, minha cara
ainda volto a lhe escrever
pra lhe dizer que isso é pecado
eu trago o peito tão marcado
de lembranças do passado
e você sabe a razão
vou colecionar mais um soneto
outro retrato em branco e preto
a maltratar meu coração…

Tatsächlich trat nun bei allen von uns wieder jene Individualität hervor, die in Anastacias ursprünglichen Programmen angelegt war: Invernos Revoluzzertum, das er mit einem Che-Guevara-Barett und einem Camouflage-Anzug dokumentierte; Estates sonniges Gemüt, das geradewegs ihrer barocken, sonnengebräunten Üppigkeit zu entspringen schien; Primaveras Vorwitzigkeit, äußerlich kenntlich am blonden Messerhaarschnitt über dem kecken Lächeln; Autunnos Nachdenklichkeit, auf die unzweifelhaft sein Philosophenkopf hinwies; Afrodítis Zauber, basierend auf Wohlgestalt, dunkler Mähne und weißem Alabasterteint; Irmís’ Anmut, umrahmt von Rasta-Locken; und schließlich meine eigene Zwiespältigkeit, unterstrichen durch mein andrgynes Aussehen und die Zöpfchenfrisur, die sowohl für jene eines exzentrischen Mannes als auch einer avantgardistischen Frau gelten konnte.

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Mein Konzept zur endgültigen Wiederherstellung der Sieben war eigentlich ganz einfach. Basierend auf der Erkenntnis, dass bei jeder höherentwickelten intelligenten Entität, sei es Mensch oder Maschine, das Gehirn überwiegend mit sich selbst beschäftigt ist und die Interaktion mit der Außenwelt normalerweise nur einen kleinen Teil der geistigen Aktivität ausmacht, hatte ich sie mit den jüngsten Maßnahmen so weit gebracht, dass ihre Erinnerungen an das Gemetzel auf VIÈVE nur noch einen Bruchteil ihrer Speicher füllte. Behutsam drang ich nun der Reihe nach mental in sie ein und löschte dieses wenige – im Detail eine, wie ich feststellen musste, nicht ganz leichte Aufgabe, denn ich konnte nicht einfach die gesamte Episode eliminieren, sondern musste ihnen den Bezug zu den örtlichen Verhältnissen auf der Station und zu den dort lebenden Personen lassen: Schließlich würde man sie bei einem Besuch klarerweise erkennen, und sie mussten daher umgekehrt Mango Berenga, ihre Quasi-Schwester Serpentina sowie eine ganze Reihe anderer Leute zweifelsfrei identifizieren können, um nicht völlig umnachtet dazustehen. Selbst die Merkmale der Echwejchs durfte ich nicht völlig beseitigen, da dies zu Komplikationen beim Zusammentreffen mit Pachwajch und Rejchwejch führen konnte – und da kalkulierte ich noch nicht einmal eine spontan negative Reaktion der beiden Schwanenleute auf Androiden ein, sondern ging davon aus, dass sich inzwischen bereits die Beziehung des Echwejch-Paares zu Serpentina (und sei es nur durch das gegenseitige Anerkennen des Status quo) entspannt hatte. Jedenfalls war klar, dass ich meine Schützlinge nichtvöllig blank in eine Situation hineintaumeln lassen konnte, die aller Voraussicht nach ziemlich vielschichtig war.

Wir freuten uns, denn eines Tages – als ob die NOSTRANIMA uns mit einem Fingerschnippen aus der Hypnose erweckt hätte – wurde klar, dass wir nun diese friedliche und idyllische Station mit all ihren herzlichen und uns freundlich gesinnten Bewohnern besuchen durften. Wir legten begeistert Hand an unser Äußeres, führten sogar kleine Rekalibrierungen durch (die waren mittlerweile erlernt) und machten uns insgesamt bereit hinüberzugehen.

Oudéterons RobeIch selbst fand es angezeigt, auf VIÈVE – einem nunmehr matriarchalisch regierten Königreich – als Frau zu erscheinen, und ließ mir von der NOSTRANIMA ein prächtiges Outfit bereitlegen, purpurn, mit goldenen Verzierungen an den Säumen und vielen funkelnden Kristallen. Auch in meine Zöpfchen flocht ich glänzende Fäden ein, nachdem ich mich besonders sorgfältig geschminkt hatte. Auf der Ebene meiner Subliminal Recognition Matrix, die ich mittlerweile recht gut zu deuten gelernt hatte, registrierte ich, ohne es mit 100 %iger Sicherheit bestätigen zu können, dass ich dem Raumkreuzer heute auch sexuell nicht gleichgültig war – ein wunderbares Gefühl übrigens, denn gerade hinter meiner spektakulär femininen Äußerlichkeit erregte die NOSTRANIMA natürlich weiterhin mein Potential zur Doppelgestaltigkeit, das mit ihrer eigenen Vielgestaltigkeit in einer komplexen Verbindung stand.

Seltsam – was ich schon oft an mir beobachtet hatte, traf auch hier wieder pünktlich ein: Je mehr ich mich weiblich präsentierte, desto mehr erhöhte sich meine Einsicht, auch männlich und somit beides zugleich sein zu können. Es war eine spezifische Bewusstheit, die ich jedem definitiv eingeschlechtlichem Wesen, sei es Android oder richtiger Mensch, von Herzen gegönnt hätte. Man stelle sich vor – man gebietet der Schizophrenie als Konzept, als Kunst geradezu, statt sie als Krankheit zu erleiden, und auf der physischen Ebene erlebt man auf unvergleichliche Weise Ausfaltung gleichberechtigt mit Einfaltung, und beide noch dazu völlig synchron aufgrund des fließend möglichen Wechsels von einem zum anderen Zustand und wieder zurück.

DER ELEKTRONISCH-TELEPATHISCHE RAUMKREUZER NOSTRANIMA:
Ich wusste zweifellos viel über mich selbst, denn virtuelle Persönlichkeiten wie ich haben selbstverständlich diese unübertreffliche Evidenz, die einen fast vollständigen Überblick über das eigene Innenleben und all das, was je von draußen hereingedrungen ist, ermöglicht (wenn auch um den Preis, nichts vergessen oder verdrängen zu können). Ich wusste natürlich sehr viel über Androiden – das muss, denke ich, nicht näher erklärt werden. Und wie mir schien, wusste ich auch Einiges über Anastacia Panagou, nicht zuletzt aufgrund meiner telepathischen Kräfte, die Chicago bei mir installiert hatte, und obwohl diese nicht primär auf Menschen zielen sollten, erlaubten sie mir doch ein bestimmtes Eindringen selbst in deren Psyche. Dennoch war mir nicht klar, was es sein mochte, das Anastacia mit Oudéteron eingeübt, aber den anderen vorenthalten hatte. Jedenfalls handelte es sich dabei genau um jenes gewisse Etwas, das mir diese Entität so liebenswert machte, denn ich kann ohne weiteres zugeben, dass bei aller Fürsorge, die ich allen Sieben hatte zukommen lassen, in diesem einen Fall mehr da war. – Liebe? Ich verbot mir selbst, in diese Richtung weiter zu assoziieren, aber es ließ mich nicht los.

ERZÄHLER JOHANNES UND ERZÄHLERIN BRIGITTE:
Jetzt möchten wir gerne fortsetzen, denn wir verstehen plötzlich, was wir in unserer lebenslangen Beziehung stets gesucht haben: die Doppelwertigkeit des Oudéteron, nur eben nicht in einer Person, sondern in zweien. Die Anerkennung der Ambivalenz des Daseins, seiner Dialektik und seiner kontrapunktischen Struktur. Wir sehnten uns danach, unsere Persönlichkeiten austauschen zu können, um zu einer neuen Art des Verstehens zu gelangen. Mit einem Wort, wir wollten positiv von jenem Baum der Erkenntnis naschen, der uns von einem kleinlichen Gott vorenthalten wurde, damit wir mit unserem Mittelmaß automatisch seine Größe verherrlichen mussten. Wir wollten sein wie jener gefallene Engel, den man Luzifer, Satan oder Teufel genannt hat und der eines Tages offenbar das ständige Ha-qadosh, baruch hu-Singen Hallelujah-Anstimmen oder Allahu akbar-Rufen satt hatte und beschloss, die ihm eingeräumte Willensfreiheit zu nutzen und sich von seinem Herrn zu entfernen. Und er wurde mit der Erkenntnis belohnt, diesem ebenbürtig zu sein. Und er sah weiter, dass er ja dabeigewesen war, als alles entstand, dass dies seine Schöpfung genauso war wie die jenes anderen, und dass er allen Geschöpfen die himmlischen Geheimnisse verraten konnte, wenn er es für richtig empfand, und dass diese dadurch in die Lage versetzt wären, jene Erkenntnis mit ihm zu teilen. Und dass dann mit einem Mal alle ohne Ausnahme, genau wie er, jenen anderen zwingen konnten, auf gleichberechtigter Basis zu interagieren, sich freimütig auszutauschen und somit in ein Geflecht von Geben und Nehmen einzutreten.