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GUTE FREUNDE

Ich verstand mich als Mann besser – sowohl spirituell, wie auch körperlich – mit Frauen als mit anderen Männern. Es gab in meinen Leben nur eine einzige Ausnahme – mein Freund Markus…

Ihn habe ich in besonderer Weise geliebt, meinen lebenslangen geistigen Partner – und zeitweisen Sexualpartner und zwar immer dann, wenn einer von uns beiden gerade keine Frau zur Verfügung hatte (wie das klingt, aber im Moment fällt nichts Besseres ein). Ursprünglich war es nur der Reiz des Verbotenen – das empfand man damals so, und es wurde, sofern es in der Öffentlichkeit passierte, auch empfindlich sanktioniert. Aber diese Publizität scheuten wir ohnedies – wir brauchten keine Zuschauer!

Mein Freund liebte mich ebenso und, wenn man das erwähnen will, inniger als ich – aber, wie gesagt, immer dann, wenn einer von uns keine Frau aufwies (das hört sich ebenso problematisch an). Ich war stets der Weltoffenere, der Tausendsassa, dem nichts unmöglich schien. Markus war das exakte Gegenteil davon: ein ewiger Zweifler und Zauderer, dem es schwerfiel, sich zu in die eine oder andere Richtung zu entscheiden.

Wir meditieren gemeinsam – das fand immerhin statt, da waren wir uns völlig einig. Ich (als Agnostiker, der ich war), der allenfalls eine Weltseele gelten lassen wollte, meditierte auf

oooooooooooooooooooooooooooooooooooooom
oooooooooooooooooooooooooooooooooooooom
oooooooooooooooooooooooooooooooooooooom,

während Markus, als gläubiger Mensch, der er war, sich ein persönliches höheres Wesen vorstellte:

gooooooooooooooooooooooooooooooooooott
gooooooooooooooooooooooooooooooooooott
gooooooooooooooooooooooooooooooooooott.

Und dann fielen wir unversehens übereinander – wie gesagt, wenn einer von uns der Liebe einer Frau entbehrte (das klingt schon besser, aber optimal ist es noch immer nicht). Wir polierten uns gegenseitig unsere Schwänze, nicht mehr und nicht weniger – keine Rede von Analpenetration, was uns allfällige übelmeinende Beobachter andichten mochten.

Das langweilte uns früher oder später, und wir begannen uns über Literatur (als eines unserer Lieblingsthemen) zu unterhalten. Dabei beschränkten wir uns auf unsere eigene Produktion – niemals kam uns ein Satz über die Lippen, der sich mit Werken Dritter beschäftigte.

Interessant war, dass Markus ein Opus Magnum (dieses sollte die ganze Welt umfassen) schaffen wollte, dabei aber nicht über wenige Seiten hinauskam, abgesehen von einem bombastischen Titel. So kam eine Reihe von Opera Sub-Magna – wie ich sie nannte – zustande…

DIE TIEFE DER ZEIT
Seit vielen Millionen Jahren führt die Menschheit Krieg gegen den geheimnisvollen Unbekannten…

DAS NICHTS
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. So beginnt das sogenannte Johannes-Evangelium…

DER ABEND DER EINSAMEN KILLER
Bereits in den 70er Jahren wurde bei Daniel eine psychische Störung festgestellt. Eines Tages entluden sich seine schwelenden Aggressionen…

DIE HUNGRIGEN UND DIE SATTEN
Eine Spezialeinheit von fünf Freiwilligen soll den Jungen befreien. Als sie ihn schließlich finden, sind ihnen bereits die Soldaten auf der Spur….

DEKONSTRUKION
Die Methode der Dekonstruktion ist ein kritisches Hinterfragen und Auflösen eines Textes im weiteren Sinn…

AUTORITÄRE VERSUCHUNGEN
Fremdenfeindlichkeit und ein radikaler Nationalismus entwickeln sich zu einer ernsthaften Bedrohung der Demokratie

… um nur einige zu nennen.

Anders ich – ich baute aus kurzen Geschichten geschickterweise meine bisher veröffentlichten Romane.

NOSTRANIMA
Über Abenteuer, Erotik, Weisheit und Utopie
BERENICE
Sir Basil Cheltenhams zweites Leben
ANASTACIA
Die ewige Barbarei der Gefühle

Da kamen schon einmal 500 Seiten zustande – mal 3 gerechnet, ergab 1500 Seiten. Das musste mir einmal jemand nachmachen – aber egal. Es ging nicht um Zahlenspielereien, es ging darum, wie es gelang, die Verwebungen von Nostranima, Berenice und Anastacia so darzustellen, dass jeder Roman extra gelesen werden konnte, aber auch das gesamte Konvolut zu lesen war (genannt die „Cheltenham-Trilogie“). Da kamen die menschlichen Wesen vor, und zwar von dieser Welt wie von der Parallelwelt, darüber hinaus von Maschinenwesen sonder Zahl – insgesamt an die 100 Personen.

Eine philosophische Reise durch unsere Welt und ein Paralleluniversum, die auch mit dem elektronisch-telepathischen Raumkreuzer NOSTRANIMA unternommen wird. Die NOSTRANIMA wird dabei im Wesentlichen mit Musik betrieben. Man kann sie zum Beispiel mit einer Sequenz aus Prokofjews „Romeo und Julia“ beschleunigen. Insbesondere unter diesem Aspekt zeigt sich die Genialität dieser Schöpfung, deren interne Struktur sich über die Gegebenheiten der Materie (wie sie in der Mechanik, der Chemie oder der Thermodynamik definiert sind) hinwegsetzt.

Die Herrschaft (BERENICE) über die Welt und deren einzelne Staaten und Territorien haben sich die beiden Imperien Grand America und Groß-China untereinander aufgeteilt. Doch auch fernab der heimatlichen Erde existiert bereits Leben auf anderen Planeten, mit denen wichtige Vertreter des Machtapparates und der Wissenschaft in Verbindung stehen. Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht die abgelegene artifizielle und in Form einer Hohlkugel gestaltete Raumstation VIÈVE mit ihren Bewohnern. Hier regiert König Keyhi Pujvi Giki Foy Holby, ein aus dem Paralleluniversum emigrierter Soldat, der danach trachtet, sein bunt gemischtes Volk in Harmonie zu einen. Bei der Diversität der von unterschiedlichen Planeten stammenden Bewohner erweist sich das auf Dauer als gar nicht so einfach.

Über den Inhalt kann bereits so viel verraten werden, dass die Imperien Grand America und Groß-China zwischen sich einen seltsam geformten Pufferstaat gelegt haben, der aber entgegen den Intentionen der Großmächte ein bemerkenswertes Eigenleben entwickelt. Und natürlich gibt es auch in „ANASTACIA“ (Namensgeberin ist die Androidenschöpferin Anastacia Panagou) Erscheinungen, die nicht von dieser Welt sind. Was manche Leserinnen und Leser vielleicht nicht so sehr erfreuen wird: Die Dekonstruktion der Handlung schreitet gegenüber den beiden anderen Büchern weiter fort, aber genau das soll die Komplexität der Realität (oder soll man gleich sagen: der Realitäten?) abbilden.

Wir hatten natürlich auch Zivilberufe. Markus war in den Anfängen Beamter, bevor ihn das nicht mehr freute und er den Taxiführerschein machte, um so sein weiteres Leben als Taxifahrer verbringen. Da hatte er genügend Zeit, sich seine Romane zu überlegen – dementsprechend ist, meiner Einschätzung nach, nie mit seinen Werken etwas weitergegangen. Ich war Abteilungsleiter in einer Großbank. Meine freie Zeit war kärglich bemessen und ich ging sorgsamer mit ihr um.

Und dann kam das Unerwartete. Ein Mann namens David musste davon erfahren haben und er wollte mitnaschen. Sehr zu unserem Missfallen, denn unser Bestreben war es, die Abwesenheit einer Frau zu überbrücken, während David echt homosexuell war. Wir hatten auch gar nichts dagegen, nur mit uns – Fehlanzeige. Er ging uns so lange auf den Wecker, bis wir gezwungen waren, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich war über jeden Verdacht erhaben – Markus versteckte sich hinter mir. David war der Gelackmeierte, aber er gab so schnell nicht auf. Zunächst verlor seinen Job, das war damals so – da waren die seinerzeitigen Vorschriften. David konnten fürs Erste vergessen, der konnte uns vorläufig nicht gefährlich werden.

Aber wir mussten mehr als vorsichtig sein. Allerdings gab David merkwürdigerweise Ruhe!

Naheliegenderweise starteten wir kürzlich ein gemeinsames Projekt, in dem er und ich mit einer Stimme einen Spot besprachen, und zwar ein Poem. Es lautete:

Der größte Genuss
Ein wahres Gedicht
Gönnung ist hier einfach Pflicht
Kann‘s nicht erwarten
Dich zu essen
Andere will ich gleich vergessen –

Dein Fleisch ist mein Verlangen
Schleck deine Sauce von meinen Wangen
An dir gibt es so viel zu lieben
Nur dir allein bin ich verschrieben –

(McDonalds-Werbung)

Jetzt wandten wir uns Ernsterem zu, wobei ich meinen Freund immer zu mehr Disziplin zwang, in dem ich vor Ort die Leistung einforderte und mich selbst etwas zurücknahm – ich konnte ja ohne Ende dahinschwafeln, wie ich persönlich und insgeheim es nannte. Mit einem Wort, er kam mir nicht aus, und siehe da, es fruchtete.

Mein Freund machte sich meine Methode zu eigen (jedenfalls für diesmal), aus kurzen Geschichten etwas Längeres zu bauen. Das daraus nicht gleich ein Roman entstand, versteht sich von selbst. Aber eine Novelle mit dem Titel „Butoh“ ging sich allemal aus.

BUTOH

„If I were naked, people would think that I am naked.“, so die Künstlerin Aya Irizuki. Und „Wenn ich aber ein Ganzkörper-Make-up trage, bin ich verfremdet nackt – es ist, als ob ich ein Kostüm anhätte!“ Butoh, eine japanische Tanzform, die erst relativ spät in Europa zum Durchbruch gelang ist.

Nanu, geht doch, dachte ich bei mir!

Butoh ist vielleicht eines der bizarrsten künstlerischen Projekte Japans und sicherlich eines der am schwersten zu definierenden. Butoh entstand im Japan der Nachkriegszeit als avantgardistische Tanzform, die den vorherrschenden Strömungen der Performance-Kunst zuwiderlief. Inzwischen hat Butoh seine Ranken über den ganzen Globus ausgebreitet und wird heute weltweit aufgeführt und bewundert. Was ist Butoh? In der Regel zeichnet es sich durch Tänzer aus, die von Kopf bis Fuß mit weißer Körperfarbe bedeckt sind, durch langsame und arhythmische Körperverrenkungen, die eine Mischung aus Angst und Verzückung ausdrücken, und durch eine Hingabe an Form und Improvisation, die tief mit der Natur des Seins verbunden ist.

In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, als Japan sich langsam aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs befreite, begannen der Choreograf Tatsumi Hijikata und der renommierte Tänzer Kazuo Ohno, das Wesen des Tanzes zu hinterfragen. In dieser Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs waren die beiden Künstler der Ansicht, dass Japan ein Jahrhundert lang von der Nachahmung des Westens verführt worden war, und entwickelten ihren neuen Stil, um Japans Selbstbewusstsein durch die Kunst wiederherzustellen. Zunächst nannte Hijikata den Stil ankoku buyoh, was so viel wie „Tanz der Dunkelheit“ bedeutet, bevor er sich für den prosaischeren – und auch leichter auszusprechenden – Butoh entschied, ein veraltetes Wort, das sich auf europäische Gesellschaftstänze bezieht.

Um sich von den westlichen und damals modernen Tanzthemen abzugrenzen, gegen die Hijikata und Ohno ein Gegenmittel zu schaffen versuchten, konzentrierte sich der Butoh auf den Ausdruck des japanischen Körpers. So abstrakt dies auch klingen mag, vereinfacht ausgedrückt bedeutete es, dass der Ausdruck und die Bewegungen der Tänzer den traditionellen japanischen Bürger widerspiegeln sollten: seine innige Verbundenheit mit der Natur, die Bewegungen eines Menschen, der daran gewöhnt ist, auf Futons zu schlafen, im Seiza-Stil auf Tatami-Matten zu sitzen, an Schreinen und Altären zu beten und auf Feldern zu arbeiten.

Butoh begann auch, sich mit Themen der Groteske, der Dunkelheit und des Kampfes sowie mit Tabuthemen zu beschäftigen. Die erste Butoh-Aufführung, „Kinjiki“ (Verbotene Farben) im Jahr 1959, befasste sich mit Homosexualität und sorgte dafür, dass der Regisseur Hijikata auf dem Festival, auf dem sie aufgeführt wurde, zur Persona non grata wurde. Aber es war die fortgesetzte Zusammenarbeit mit Ohno, einem Außenseiter, der oft als „die Seele des Butoh“ bezeichnet wird, die ihrem neuen Stil weltweit zum Durchbruch verhalf. Ohno, der 1977 für seine Solo-Performance La Argentina Sho mit dem renommierten Dance Critics‘ Circle Award ausgezeichnet wurde und in den folgenden Jahrzehnten in ganz Europa und Nordamerika auftrat, ist auch heute noch, mehr als zehn Jahre nach seinem Tod im hohen Alter von 103 Jahren, der berühmteste aller Butoh-Tänzer.

Die 1983 in Kanagawa geborene Aya Irizuki nahm bereits in ihrer Kindheit Unterricht in bildender Kunst und Ballett. 2001 besuchte sie das Asbestos Studio, wo der japanische Ausdruckstanz Butoh in den späten 1950er Jahren von Tatsumi Hijikata erfunden wurde. Von 2002 bis 2006 studierte sie an der Fakultät für Bildende Kunst der Tokyo University of the Arts (Tokyo Geijutsu Daigaku).

Im deutschsprachigen Raum wurde Aya Irizuki mit der Rolle der Yu neben den Hauptdarstellern Elmar Wepper und Hannelore Elsner in dem Doris-Dörrie-Film Kirschblüten – Hanami aus dem Jahr 2007 bekannt. 2008 war sie Solotänzerin im Ensemble Origin Japan in der Carnegie Hall in New York. 2013 trat sie mit der Soloshow Lizard Queen in Berlin auf. Mit Unterstützung durch die Yoshino Gypsum Art Foundation wurde Aya Irizuki 2014 ein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. In dem 2016 erschienenen Film Grüße aus Fukushima wirkte sie neben Hauptdarstellerin Rosalie Thomass in einer weiteren Doris Dörrie-Produktion mit. In Doris Dörries 2019 erschienenen Film Kirschblüten & Dämonen, einem Fortsetzungsfilm von Kirschblüten – Hanami, spielte Aya Irizuki in der weiblichen Hauptrolle erneut die Figur der Yu.

Die Zusammenarbeit klappte ganz ausgezeichnet – wir unterschieden am Ende gar nicht, was Markus und ich geschrieben hatten. Wir wollten an sich weiterarbeiten, da kam uns aber dieser unselige David in die Quere mit der maßlosen Forderung mit uns beiden schlafen zu wollen. Markus war schon geneigt, ihm seinen Willen zu erfüllen – in der irrigen Annahme, dass dann Schluss wäre mit Davids Avancen.

Ich aber weigerte mich – in der wahrscheinlicheren Meinung, dass dies nicht so wäre, dass immer noch mehr gefordert würde, dass David immer hemmungsloser werden würde. Ich machte unserem Kontrahenten klar, dass es ihn eh schon seinen Job gekostet habe, aber vergeblich – es blieb mir nichts übrig, als ihn anzuzeigen (das war seinerzeit ein Straftatbestand). Markus versteckte sich hinter mir und ich war, wie gesagt, über jeden Verdacht erhaben.

David musste ins Gefängnis, nicht lange zwar, aber es würde ihm hoffentlich eine Lehre sein.

Uns freute die gemeinsame Arbeit plötzlich nicht mehr – jeder ging von nun an eigene Wege, Markus versank wieder in seine Opera Sub-Magna und ich hatte eine Schaffenskrise, wohl auch berufsbedingt, also in meinen Brotberuf. Aber das interessierte mich auch, zumal es meinen schriftstellerischen Ambitionen nicht diametral gegenüberstand.

Liebe Zweite Republik!

Manche wenden sich von Dir ab – Ältere, die Dich möglicherweise gar nie wollten, und Jüngere, die vielleicht nur aufgehört haben, an Dir etwas zu finden. Ich aber bin mit Dir älter geworden und – na ja, ich kann nicht sagen, dass ich Dich bis in jede Einzelheit so mag wie Du bist, aber gegen eine andere möchte ich Dich nicht eintauschen.

Und so weiter…