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Text

Johannes Themelis
FINGERÜBUNGEN
Gedichte

Agonie

I

es schneit auf revolutionen
die im sand verliefen
das naturgesetz ist wohlbehütet
einstein hat den alltag übersprungen
doch der eckstein ruht im nichts
der apotheker schüttelt silben
aus dem mörser, kennt das vorzeichen
nicht, der leere raum in den atomen
könnte töten, könnte lebend machen
könnte wissen
könnte sagen
könnte zeigen, könnte tauen, könnte regnen
könnte überschwemmen, könnte taufen
könnte seinen fächer öffnen
zwischen a und o

II

die brücke ist ein kreis
die enden des meßstabes
sind zusammengebogen, und die gerade
verliert der rechenkünstler
aus den augen, die unendlichkeit
ist blau zwischen grünen blättern
der kalender zeigt fast immer Mittwoch
den tag der rache
an dem die stanzmaschine ihren bolzen
ins leere steckt
dort ist die zeile unterbrochen
dort ist der anfang des abstands vom abstand
von eden
das ewig scheinende nullte jahr
ein ungeheuer im netz
der koordinaten

III

kontokorrent
durchdringt noch manchmal manches
den asphaltgetränkten zeitungspanzer
gekreuzte federn, wachheit des kaffees

vor dem portal
mit roten veilchen zwischen den lippen
der underdog
so klein und so tot

nie vergessen trotz allem, trotz allem
nicht vergessen
nichts vergessen

bürger sind wir
alle, weiß wir alle ohne
erkennbaren unterschied
zum durchschnittsamerikaner

IV

wegwerfen, wegwerfen
alles wegwerfen, wegwerfen
alles alles wegwerfen, alles wegwerfen
kaufen, kaufen
alles kaufen, kaufen
alles alles kaufen, alles kaufen
und wieder
wegwerfen, alles wegwerfen
und wieder
kaufen, alles kaufen
und wieder
alles alles wegwerfen
alles wegwerfen
und weiter und weiter und weiter
und weiter

V

strahlenkranz
geliebte, an deinem schreibtisch
deinem klavier
schöne finger, die schönes tun
ein dach über mir
ein baum aus mir
eine wurzel für mich
dem die ankerkette riß,
der ein kanonenboot war:
destillierter unsinn

angebot, neuauflage, bekämpfung
zerrissener tendenzen, erlösung
aus dem mystischen mitleid

erklärung, entwicklung, gewinn
möglichkeit, hintergrund
überschreiten der traumgrenze
programm, gedanke, voraussage, preis

lohn der armut
sonne
hitze

VI

mimosenwahn
auswärtige pegel, trümmer
wollen trümmer
glück ist für unglück spion
und vaterlandsverräter
ungewissheit, beispiel, zersetzung

bohren nagen beißen anschweben
mit bosheit
durchschweben der liebe mit bosheit trifft
keinen kern

(Aus der Mappe „Längst darüber hinweg”)

Fia mein lewendign bruada

Wiast jung woast, bruada, woast wia de sunn.
* leichd weida, du varuckta diamant *
Und heit host nua mea augn wia schwoaze lecha.
* leichd weida, du varuckta diamant *
Grod zwischn kindheid und eawochsnsei
hod di da eisane
stuam dawischd.
Wias olle lochn iwa di, du fremda
bleda schmee, auf den da dod woat –
* kumm, leichd weida *

Refrain
Seavas, bua, seavas in da maschin!
Wo woast’n? Is scho guad,
mia kennan uns scho aus:
Woast aufm weg zu uns mid a boa extraturn,
wäu a zeidlaung deaf a jeda glaum,
dass’s bei eam aundas sei wiad!
Owa jezd kumm eina:
Seavas, seavas in da maschin!

Wos ma ned griagn kau, woitast, woitst’ in mond.
* leichd weida, du varuckta diamant *
Fua’d schottn in da nochd, do muasd di fiachdn.
* leichd weida, du varuckta diamant *
Dei schigsoi is auf di gfoin, gaunz aso
wia a blinds hendl aramoi a keandl findt.
Wias olle lochn, wäust du bütta in dia siechst,
a mola one foab und pinsl –
* kumm, leichd weida *

Refrain
Seavas, bua, seavas in da maschin!
Wos hosd’n dramd? Is guad,
mia wissn, wos des woa.
Hosd dramd am weg zu uns mid fantasie,
dasd schee und reich und gscheid sei wiasd,
dass’s bei dia aundas sei wiad!
Owa jezd kumm eina:
Seavas, seavas in da maschin!

(Aus dem Zyklus „20 schlenkara noch bekaunte vuabütta”)

Fuck Off Gentlemen

Die abgetriebenen indischen
Mädchen sind nicht mehr als
ein letzter Beweis

– keine Frage der Meinung
– auch kein Streit

Es ist Krieg zwischen Frauen und
Männern
Krieg zwischen Welten, sternenweit
voneinander
entfernt

Ihr habt es nicht anders
gewollt!
– gewollt?

Fuck off gentlemen

(Aus dem Roman „1999 – Wien und die Welt”)