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ROMAN NR. 10 – Leseprobe 1

Vorbemerkung

Inch‘allah –

– das mag im arabischen Raum, in der Türkei (neuerdings auch Türkiye genannt) und in zunehmenden Ausmaß auch in Europa (jedenfalls soweit Muslims davon betroffen sind), die geeignete Form sein, in der man sich dem Willen Allahs unterwirft. Aber auch in der christlichen Sphäre nahmen die Vorstellungen (Stichwort: Evangelikale) zu – Gott wird‘s schon richten.

Aber wo bleibt dann die (zugegebenermaßen etwas nüchterne) Betrachtung – man könnte sie fast (mit aller gebotenen Vorsicht) wissenschaftlich nennen. Und das ist der springende Punkt: Wissenschaft wird von diesen Leuten, diesen Fundamentalisten, abgelehnt, und zwar samt und sonders!

Dennoch gilt es, die Wissenschaft hochzuhalten – allen Widrigkeiten zum Trotz!

Die Religion hat ihre Chance gehabt, über viele Jahrhunderte, um nicht zu sagen Jahrtausende war sie die treibende Kraft der Entwicklung oder (vielmehr Nicht-Entwicklung) dieser Welt. Denn Religion hat etwas zutiefst Statisches an sich – man denke nur an die unzähligen Szenen des Mittelalters mit ihren vorwiegend biblischen Figuren.

Wissenschaft darf man nicht absolut sehen – denn sonst wäre man wieder in die Falle des Fundamentalismus getappt. In stetigen Diskurs müssen wir stehen, wobei vor allem das Beharren auf überholten Gegebenheiten zu vermeiden ist. Forschung endet nie, denn dann würde sie sich selbst ad absurdum führen. Es ist ja geradezu das Wesen jeglicher Forschung, dass immer weiter geforscht und ein Gedankengebäude immer weiter entwickelt wird.

Aber das sind im Grunde nur Spitzfindigkeiten – die im praktischen Leben ohne Bedeutung sind. Was kümmert es zum Beispiel ein Liebespaar, das in zärtlicher Umarmung verstrickt ist, über die genauen Umstände informiert zu werden, über die immer schneller werdende Atmung, die konvulsivischen Zuckungen, das Aneinanderfestsaugen beim Küssen und vieles Andere mehr. Da geht‘s nur um‘s Eine (wie es in dem Liedtext von Jane Birkin and Serge Gainsbourg so schön heißt):

Je t’aime, je t’aime
Oh oui, je t’aime
Moi non plus
Oh, mon amour…

Kapitel 1

Er lernte eine Frau kennen. So aus dem Nichts…

Sie war ansehnlich gebaut, das war die Grundvoraussetzung. Da hatten sie noch nicht ein Wort gewechselt. Sie war ihm gleich sympathisch, während er sie mit seinen Blicken auszog. Er stellte sie sich nackt vor – die weichen Linien ihres hüllenlosen Leibes raubten ihm die Sinne. Er beschloss, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. „Hi!“, sagte er – keine sehr originelle Anmache. Aber da war der Funken schon übergesprungen: „He, Tiger!“, sagte sie – nicht minder „originell“. Er konnte deutlich sehen, wie sie die Konturen seines Körpers nachzeichnete. Es war zunächst eine durchaus körperliche Beziehung – sie fielen übereinander her: ohne zu fragen, was das Ganze sollte.

Erst relativ spät interessierten sie sich für die geistigen Belange – und da kamen sie darauf, dass es uns ebenso erging wie mit den rein physischen. Sie waren eine Einheit – nicht so sehr im klassischen Stile: sie ergänzten einander auf wundersame Weise. Das drückte sich dahingehend aus, dass einer des anderen Sätze vollendete – dabei fiel ihnen das gar nicht auf, so verliebt waren sie zusammen: übrigens sie hieß Zoé Sahin, sein Name war Nicolas Mertens.

Oft kuschelten sie sich nur zusammen, ohne sich zu regen. Das waren die Momente höchsten Glücks, denn sie gewollte hätten nur ihren Gefühlen nachgeben müssen, aber sie taten es bewusst nicht – sie lagen still zusammen, eng umschlungen. Bis sie es nicht mehr aushielten und langsam, ganz langsam, dann immer schneller, bis sie mit einem veritablen Orgasmus belohnt wurden. Es klappte anfangs nicht immer, aber immer öfter, bis sie eingespieltes Team waren. An Schlaf war bei ihnen beiden nicht zu denken – sie erzählten sich Geschichten, vornehmlich aus ihrer Jugend. Sie hatten ihre Erfahrungen gemacht, und die waren in der Mehrzahl der Fälle durchaus unerfreulich – mehr noch bei Zoé, wie könnte es anders sein, in dieser (nach wie vor) Macho-Gesellschaft, in der wir uns noch immer bewegen.

Dabei war Nicolas nicht frei von derartigen Anwandlungen – in jungen Jahren hatte er seine Männlichkeit vor sich hergetragen wie eine stolze Trophäe. Er hatte temporibus illis jede Frau, derer er nur habhaft werden konnte, verführt – mit der Zeit gestand er sich ein, dass das ein Fehler gewesen sein mochte, denn es war einfach kindisch. Jetzt schilderte er freimütig und ohne Umschweife davon – er schien nicht stolz auf seine Vergangenheit zu sein. Er erlebte es dessenungeachtet noch einmal: wie er fallweise gedemütigt hatte und nichts dabei fand.

Zoé wiederum hatte sich an total kaputte Typen herangemacht, die von ihr getröstet und bemuttert werden wollten. Sie hatte gar nichts davon, außer dass sie die endlose Litanei an Selbstzweifeln ertragen musste. Oder aber sie geriet an Kerle, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzten und ihr die Luft zum Atmen nahmen. Auf die Spitze hatte es ein Mann getrieben: er hatte von ihr verlangt, dass sie sich buchstäblich die Nase und den Mund zuhalten ließ. Der Bursche hatte ein perverses Vergnügen darin, ihre Verrenkungen zu sehen bis hin zur Bewusstlosigkeit.

Und so ergingen sie sich in Storys, unverblümt und ohne dass sie etwas ausgelassen hätten (so vertrauten sie sich bereits). Bis sie endlich doch einschliefen…

Kapitel 2

Zoé und Nicolas hatten ihre Berufe, die sie unabhängig machten von jedem privaten Einfluss. Sie war selbstständige Unternehmensberaterin und er Unternehmer in der IT-Branche – so hatten sich ursprünglich kennengelernt, bevor das Private die Oberhand gewann. Sie lösten ihre Geschäftsbeziehung umgehend auf, um nur ja keinen Interessenskonflikt aufkommen zu lassen und kümmerten sich fortan nur um die persönliche Seite der ganzen Angelegenheit. Und da hatten sie genug Spannendes zu tun.

Nicolas sah in Zoés Augen und fühlte das wachsende Begehren in ihr hochkommen. Er hielt sich bewusst zurück – die Nonchalance in seinem Verhalten trieb Zoé zur Weißglut. Bis er nicht mehr konnte und sich hingab. Und dann in Form eines langsamen Abklingens waren sie wieder bereit, soeben unterbrochene Unterhaltung fortzusetzen: über die Tatsache, dass sie beide Agnostiker waren – im Falle Nicolas‘ in der strengeren Auslegung des Begriffs, wiewohl er ein Taufscheinkatholik war. Zoé ging hingegen zu den hohen Feiertagen, zu Weihnachten respektive zu Ostern, in die Kirche – das war von den Eltern her geübte Praxis. Per Saldo unterschieden sie sich in Nuancen voreinander.

Agnostiker – was ist darunter genau zu verstehen: Ein Atheist ist der Überzeugung, dass es einen Gott oder Götter grundsätzlich nicht gibt. Ein Agnostiker, im Gegensatz dazu, geht davon aus, dass die Existenz eines übernatürlichen Wesens, eines Gottes oder von Göttern, zwar angenommen werden kann, aber grundsätzlich nicht rational zu klären oder zu erkennen ist. Und so trugen Zoé und Nicolas die Überzeugung vor sich her, Agnostiker zu sein – mochte es in Wirklichkeit ein Anklang an frühere Perioden sein. Und mochte es sein, dass es einen zu harten Schnitt bedeutet hätte, gleich das Lager des Atheistismus zu wechseln. Die Beiden diskutieren lange darüber…

Und dann schliefen sie wieder miteinander.

Lange Zeit verging. Zoé und Nicolas rührten sich nicht. Sie kuschelten sich regungslos aneinander.

Und dann diskutierten sie über die Möglichkeit von Zeitreisen. Dabei gerieten sie sich ordentlich in die Haare – Zoé hielt des Phänomen für möglich, während Nicolas es ausschloss. Sie häuften zahllose Argumente auf, allein sie kamen nie auf grünen Zweig der Erkenntnis, der Beide zufriedengestellt hätte.

Kapitel 3

Und dann gingen sie wieder ihrer Arbeit nach – Zoé als Unternehmensberaterin, Nicolas kümmerte sich um sein Unternehmen. Sie sprachen selten über ihre beruflichen Tätigkeiten, das Kapitel war an sich für sie abgeschlossen. Lediglich wenn Zoé einen kuriosen Fall zu berichten wusste, dann stimmte Nicolas in ihr Gelächter ein.

So zum Beispiel, wenn ein Klient behauptete, dass er die Konkurrenz völlig aus dem Markt drängen könnte, und mühelos als Platzhirsch den ganzen Kuchen für sich beanspruchen würde. Nicolas sagte: „Und was hast du diesen Wahnsinnigen erwidert, dass du ihm nicht helfen kannst?“ „Im Gegenteil,“ sagte Zoé, „- ich habe den guten Mann noch in seinem Vorhaben bestärkt!“ „Das war sehr ungezogen von dir!“ Nicolas konnte sein Schmunzeln kaum verbeißen.

Zoé zog sich auf einen pragmatischen Standpunkt zurück: „Wenn einer so überzeugt ist, läßt er sich ohnehin nichts sagen. Also berate den Klienten weiter – umso weniger habe ich zu tun. Ich muss mir schließlich meine Brötchen verdienen!“ Sie teilte seine fröhliche Stimmung. Nicolas hatte aus seiner Arbeit nichts Vergleichbares zu berichten – nichts als fade endlose Datenreihen. Da hörte er schon lieber Zoé zu.

Sie hatten überhaupt etwas anderes zu tun hatten, was fernab von ihren Brotberuf war. Sie schliefen miteinander und wenn sie es nicht taten, dann diskutierten sie miteinander. Und da kamen sie vom Hundersten in‘s Tausendste – es ging ihnen der Stoff niemals aus. Und sie gingen fein aus, trafen sich mit den jeweiligen Partnerbekanntschaften. Es war nicht nur Freude, was ihnen da entgegenschlug – Zoés bisherige Freunde waren nicht uneinschränkt positiv gegenüber Nicolas, und Nicolas ging‘s ähnlich mit seinen bisherigen Freunden. Es gab natürlich Ausnahmen, bei denen Beiden reziprok sympathische Gefühle entgegengebracht wurden. Aber das waren Einzelfälle, nicht die Regel – da sieht man, wie schwierig es ist, zwei Welten zu kombinieren.

Und so zogen sie sich in ihr Schneckenhaus zurück mit Ausnahme von wenigen auserwählten Kontakten – und selbstverständlich dienstlichen Berührungspunkten…