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DER IMPERATOR – Leseprobe 10

ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Die Ruhe im Südosten währte kurz – diesmal waren es die Araber, die nicht still hielten. Sie fühlten sich neuerdings in der Lage, die römischen Truppen aufzumischen. Eine schwere Fehleinschätzung, was die tatsächlichen Kräfteverhältnisse betraf, nur dass die Truppen nicht vor Ort waren. Eine relativ kleine Gruppe von Legionären war tatsächlich anwesend – zur Abwehr von Übergriffen war sie ausreichend.

Für dürftige Angriffe (im Rahmen von Flavius‘ bescheidenen Aktionen) waren drin, doch nicht mehr. Allerdings drehte Omar den Spieß jetzt um – Reiter auf Kamelen und auf Pferden rannten gegen die schwachen Befestigungen der Römer an und überrumpelten sie. Der Kaiser bedauerte, dass er – als er davon mit entfernungsbedingten Abstand erfuhr – Flavius vorschnell den Hyänen zum Fraß vorgeworfen hatte. Er sagte aber nichts, der Mann war ihm nicht wichtig genug – seine Legionäre waren unter Hinweis auf die drakonischen Militärstrafen ruhig gestellt.

Jedenfalls, der Angriff konnte erst in der zweiten Verteidigungslinie abgefangen werden – damit hatte Omar sein wichtigstes Ziel (angesichts der Größenverhältnisse des Römischen Reiches versus Arabiens) erreicht. Nämlich Ruhe vom großen Nachbarn zu haben.

Gallienus war insgeheim enttäuscht von diesem Ergebnis, aber da er von allen Seiten (im geografischen Sinne) angegriffen wurde beziehungsweise der Angriff bevorstand, war dieses Resümee erfolgreich…

NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Wo waren wir stehen geblieben: Livia hatte schwarze Haare, in die sich Livius gleich verliebt hatte, und ein überirdisch-betörend schönes Antlitz, von der Vulva, die sie rasiert hatte, ganz zu schweigen, und lange Beine – und jetzt noch sensationelle Bauch, der sich immer mehr vorwölbte. Sie war, wie gesagt, nackt und ohne jegliche Scheu vor ihrem Mann (aber diese hatte sie früher bei völlig Fremden auch gezeigt).

Es wurden Zwillinge, wie das Abdomen (Cavitas abdominalis) vermuten ließ, ein Mädchen und ein Bub.

Im antiken Rom spielten Zwillingsgeburten eine bedeutende Rolle, insbesondere in der Gründungssage von Rom. Romulus und Remus (anders als Zwillinge in der Sage handelte es sich um ein gemischtes Pärchen), die mythischen Zwillingsgründer der Stadt, wurden von einer Wölfin erzogen, was die Stadt mit einem starken Symbol verbindet. Auch in anderen Bereichen des römischen Lebens wurden Zwillingsgeburten oft mit besonderer Aufmerksamkeit und Bedeutung betrachtet.

Die Freude war riesengroß bei den Eltern und bei den vier Großeltern (die anderen Großeltern waren schleunigst angereist). Die jeweiligen Großeltern überboten sich an Geschenken, wobei gewisses Konkurrenzdenken nicht ganz auszuschließen – hatten die Kleinen von den Eltern schon ausreichend Präsente. Aber die Verwandten meinten es nur gut und merkten nicht, wann es genug war.

Livia hatte zwei Ammen, die sich um das körperliche Wohl der Kinder kümmerte. Sie selbst hatte genug damit zu tun, ihre Figur möglichst bald wiederzuerlangen. Sie arbeitete insbesondere daran, ihr geheimnisvolles Wesen hervorzuzaubern, bei der sie nackt verkehrt herum dreifach zusammengefaltet war. Wenn Livius zugegen war, half er ihr dabei – zu seiner größten Erbauung.

DREIßIGSTES KAPITEL

Gallienus war abgetaucht. Er hatte ohne Angabe von Gründen sein Landgut verlassen und war zu seiner Mutter gefahren. Egnatia Mariniana lebte seit dem Tod ihres Mannes Valerian, von dem sie erst spät erfahren hatte, zurückgezogen auf der Latifundie Mons Lorencia.

Die Villa zählte zunächst nicht weniger als 40 Räume allein im Erdgeschoss. Sie waren mit Säulengängen, Innenhöfen, Wasserbecken, Marmortäfelungen, Mosaikfußböden und Fußbodenheizung ausgestattet. Der stattliche Wirtschaftshof umfasste mindestens zehn weitere Gebäude, die sich gleichmäßig links und rechts der Hofmauer befanden.

Egnatia Mariniana saß versonnen und in Gedanken in ihrem Stuhl. „Ich bin‘s, Dein Gallienus!“, sagte er. Die Mutter umarmte ihn stumm. Dann erklärte sie: „Du hast auch schon ewig nicht von Dir hören lassen!“

„Immer noch die Vorwürfe von früher! Die Regierungsgeschäfte haben mir es -“. – „Diese Ausrede hat Dein Vater auch ständig gebraucht!“

„Ich bin nicht gekommen, um mir Deine Vorwürfe anzuhören, sondern ich möchte Dich auf einen Ausflug einladen!“ – Die Mutter umarmte ihn ein weiteres Mal, ohne zu fragen, wohin die Reise gehen sollte. Es war für sie nur wichtig, dass sie mit ihrem Sohn zusammen war. Alles andere war nebensächlich.

„Zieh‘ die ältesten Klamotten an, die Du findest. Wir gehen auf ein eine längere Odyssee, als Du Dir vorstellen kannst – über die genaue Fahrt kann ich, jedenfalls für den Moment, nicht informieren. Soviel sei gesagt – es geht nach Osten!“ Mühsam war die Reise in den Orient. Über die konkreten Umstände des Trips, die zweifellos interessant waren, breitete sich der Mantel des Schweigens.