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DER IMPERATOR – Leseprobe 21

EINUNDSECHZIGSTES KAPITEL

Julius wuchs heran – wie es einem privilegierten jungen Mann aus dem römischen Kaiserhaus zustand. Im Alter von fünf Jahren ließ er sich von den Eltern, Lara und Felix (von dem schon gar nicht), keinesfalls etwas sagen. Lediglich von der Kaiserin hatte noch Respekt. Und der verschwand zunehmend, als er zehn Jahre alt geworden war.

Es gab niemanden, vor dem er irgendeine Achtung gehabt hätte – bis auf seinen Lehrer Quintus II., den Sohn von Quintus I., der sich mit Livia abgemüht hatte. Der Junior war aber viel
weniger zimperlich in seinem Umgang mit Julius. Er sagte: „Wenn Du nicht lernen willst, dann eben nicht! Ich genieße lieber die kaiserlichen Gärten, statt mich mit Dir herumzuärgern!“

„Dann wird Dich mein Vater hart bestrafen!“ – Quintus II. hatte nur ein mildes Lächeln über: „Dieses Würstchen – na‘ gute Nacht!“ – „Nicht er persönlich selbstverständlich, sondern seine Schergen!“, trumpfte Julius auf.

„Ich bin Stoiker und wie der weise Seneca lehrt: ‚Es ist die Kraft des Geistes, unbesiegbar zu sein!‘“

Julius war beeindruckt. Das war ein Mann nach seinem Geschmack – er erwählte Quintus zu seinem persönlichen Mentor. Er durfte nicht von seiner Seite weichen – anders als seine Eltern und seine Großmutter, die Kaiserin des Römischen Reichs. Vor ihnen allen hatte Julius mittlerweile keinerlei Respekt, wohl aber vor seinem Lehrer. Und diese Differenzierung traf er in seinem zarten Alter!

Er war überhaupt eine Mischung von Laras körperlicher Stärke und Felix‘ literarischer Ader in einer Person zusammengefasst – dazu die Scharfsinnigkeit von beiden Eltern, auch wenn er das leugnete. Julius war auf einmal wissbegierig, was die „Septem Artes Liberales“ (in den Fächern Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik) betraf. Er studierte oft bis spät beim Schein einer Laterne.

ZWEIUNDSECHZIGSTES KAPITEL

Wenn Julius auch der inzüchtlerischen Verbindung von Lara und Felix entstanden war, konnte er auch der relativ Normalste in der ganzen Verwandtschaft gelten. Er hatte sich seinen Mentor auf auch selbst ausgesucht, und der stammte nicht aus Sippschaft. Julius reiste im Alter von vielleicht vierzehn Jahren mit seinem Lehrer kreuz und quer durch das Römische Reich – das war jedenfalls ihre Absicht. Sie stellten fest, dass die Pax Romana noch immer beziehungsweise schon wieder galt – in dieser hundertjährigen Periode des Friedens.

Julius und Quintus waren übereingekommen, inkognito ihre Tour zu beginnen – sie begaben sich als Privatiers zunächst nach Norden, wo sie Alpen überquerten. Sie waren im geschlossenen Wagen mit Kutscher unterwegs, wobei Herbergen mit Pferdewechselstationen (etwa alle 15 Kilometer) eingerichtet waren. In der kleinen Provinz Alpes Maritimae waren sie gleich durch und in die Provinz Narbonensis, wo sie sich in der Provinzhauptstadt Marssila einige Zeit aufhielten – zur Erholung und weil es dort Interessantes zu sehen gab. Als die Römer an jenen Ort kamen, haben sie dort bereits ein blühendes Gemeinwesen vorgefunden.

Was sie nicht hinderte, ut paululum perturbationis in tabernam inferat! (Zu deutsch: Ein bisschen Unruhe in den Laden zu bringen!)

Römische Disziplin! Im Gegensatz zu griechischem Chaos!

Aber so einfach sollte man es sich nicht machen. Schließlich gab es auch Alexander (den Großen, den Titel hat ihm erst die heldenverehrende Nachwelt verliehen) – außerdem war er Makedonier. Aber zurück zu weniger Heldenverehrung: zu Seneca, dem Stoiker!

Er sagte (der römische Denker): „…utrum materia ex qua omnia oriuntur immaterialis et completa sit, an fragmentata et vacuum solidis mixtum; quae sit Dei habitatio, utrum opus suum tantum observet an etiam illud afficiat; utrum illud extrinsecus circumdat an in toto eius contineatur; utrum mundus immortalis sit an res transitoria et ad tempus creata habenda sit.“

Auf deutsch: „…ob die Materie, aus der alles entsteht, teilchenlos und vollständig ist oder zerteilt und eine mit Festem gemischte Leere; was der Wohnort Gottes ist, ob er sein Werk nur betrachtet oder auch beeinflusst; ob er es von außen umgibt oder in dessen Ganzem enthalten ist; ob die Welt unsterblich ist oder man sie zum Hinfälligen und auf Zeit Geschaffenen rechnen muss.“

Julius hing an den Lippen von Quintus – solche Worte hatte er bis dato nie gehört. Sie beschlossen, von Marssila direkt nach Rom zurückzukehren – was hätte eine Weiterreise noch an Erfahrungen bewirken können…

DREIUNDSECHZIGSTES KAPITEL

Die Kaiserin, die Livia, hatte die Hoffnung längst aufgegeben, Livius wiederzusehen – ob er überhaupt noch lebte, war die große Frage. Zunächst war sie traurig gewesen, dass er sie verlassen hatte, dann wütend, weil er sie verlassen hatte, dann hatte sie sich bar jeder Verpflichtung dem Müßiggang hingegeben.

Sie ließ sich mit Sklaven ein, was relativ geräuschlos vor, denn wer hörte schon auf das Wort eines Leibeigenen. Darunter waren zum Teil hochgebildete Personen, die aus den Beutezügen der Römer gegen alle möglichen Völkerschaften stammten – nur einmal ein prominentes römisches Opfer dabei, nämlich der Kaiser Valerianus, das der persische König Schapur I. gefangen genommen hatte und der als Häftling starb.

Livia bevorzugte ohnehin die dummen Sklaven als Sexobjekte, denn gescheit war sie selbst auch. Sie entwickelte sich (so hatte es den Anschein) mit der Zeit zu einer richtigen Nymphomanin, und zwar eine solche, bei der Promiskuität, also häufigen Partnerwechsel, einhergeht. Als sie sich mit Leibeigenen nicht mehr zufriedengeben wollte, wurde die Sache prekär.

Die Kaiserin zeigte zunächst an den Mitgliedern ihrer Leibgarde Interesse, was zu bösen Blut bei den Frauen dieser Gruppe (so vorhanden) führte. Als sie sich schließlich an eine Equipe von Senatoren heranmachte, war der Aufstand perfekt – die Angetrauten der Politiker ließen sich nicht so abschieben als die Angehörigen niedriger Stände.

Skandal – immerhin handelte es sich um die Monarchin, die absolut regierte. Da war Vorsicht angeraten, damit sie nicht zürnte!

Unter den gegebenen Umständen wagten es weder Felix (der schon gar nicht), noch Lara ihr zu widersprechen – sie hielten Beide still. Die ganze Hoffnung ruhte auf Julius und seinen Mentor Quintus, der ihn schon zurechtbiegen würde. Wenn sie jemals wieder zurückkehren würden…