ALICE – Leseprobe 7
19
Valentina nahm sich kurz eine Auszeit (was ihren engmaschig getakteten Terminkalender durcheinander brachte, aber das hatte sie sich verdient), um Seiji Yamamoto näher kennenzulernen, denn außer dem Sex – und der Bewunderung für die Kunst der Diva – war nichts Substanzielles über ihn bekannt. Valentina reiste inkognito nach Kyoto, auf gut Glück, denn er war viel unterwegs. Er war aber zuhause, wie der Diener, der sie sofort wiedererkannte, ihr mitteilte.
Seiji begrüßte kurz und knapp. Er hatte etwas offensichtlich Wichtiges vor. „Du musst schon einen guten Grund haben, um mich zu stören!“, sagte er.
„Dass ich Dich hier besuchen komme, ist augenscheinlich kein Grund, Dich zu stören!“, war die schnippische Antwort.
„Was bildest Du Dir eigentlich ein! Du willst mich mutmaßlich besser kennenlernen – aber ich Dich nicht, jedenfalls in der Form, wie Du Dir das vorstellst. Ich bin nur an Sex mit Dir interessiert, harten Sex mit der berühmten Sängerin wie Dir. Alles Übrige stellt nur eine Façade dar. Jetzt weißt Du, wie ich wirklich darüber denke!“
Valentina war wie den Kopf gestoßen durch seine Offenheit. Und dennoch war sie insgeheim fasziniert von der Geradheit, mit der er seinen Standpunkt klarlegte: „Na schön, dann legen – hier und jetzt – wir mit dem harten Sex los, der Dich so anturnt!“
Sie wusste vorher nicht, worauf sie sich da einließ. Seiji erniedrigte sie derart, wie sie noch nie erlebt hatte. Sie musste sich auf den Bauch legen und er drang von hinten in sie ein, nicht achtend der Schmerzensschreie, die sie ausstieß. Und er hatte noch mehr auf Lager.
„Das ist harter Sex!“, bemerkte Yamamoto, der ab jetzt und immer für Valentina so firmierte. Sie packte ihre Sachen zusammen und verschwand „durch die Mitte“, wie es in der Theatersprache so schön heißt.
Abends setzte sie sich in‘s „Opera Palace Tokyo“ als Zuseherin, um das
traumatische Erlebnis zu verarbeiten und möglichst rasch zu vergessen – da war Musik die beste Medizin. Sie konnte sich später allerdings nicht mehr erinnern, welches Stück sie da sah.
Als Souvenir hatte sie das Tattoo, einen Schwan. Sie beschloss, es zu behalten.
20
Valentina Lena Sterling hatte ihre Blessuren, die durch Yamamoto (sie vermied den Vornamen) erfuhr, weggesteckt. Dafür reiste sie nach London, um ein halb gegebenes Versprechen einzulösen – mit der Zeitschrift „Playboy“. Dazu mussten umfangreiche Verträge unterzeichnet werden, des Inhalts, dass exklusiv die Rechte beim Verlag lagen und nur gegen ein entsprechendes Entgelt auszugsweise veröffentlicht werden durften.
Das interessierte sie nur am Rande, sie hatte genug Kontrakte unterschrieben, dass nichts schief lief. Was sie faszinierte, waren die Nacktaufnahmen – wobei sie die Perspektive bedachte, aus der die Bilder geschossen. Nicht, dass sie zu fiel von sich preisgab. Nicht, dass ihr Innerstes (im Wortsinn) nach außen gekehrt wurde. Die Erfahrungen, sie mit Yamamoto durchlebte, hatten sie hellhörig gemacht.
Nacktheit war an und für sich kein Problem für sie. Nicht umsonst war sie begehrt als Darstellerin der Salome, der Figur in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss, bei der sie sich im „Tanz der sieben Schleier“ vollständig enthüllte, so dass ihr Busen und ihre behaarte Muschi deutlich zu sehen waren. Aber es musste eine Grenze geben – sie verlief genau dort.
Apropos Salome – in der Frankfurter „Alten Oper“ durfte sie die Rolle spielen. Das Publikum war teilweise pikiert und die große Mehrheit goutierte ihre Darstellung durchaus, und das war lange bevor in Wien im Tanzquartier im Volkstheater Florentina Holzingers „Ophelia’s Got Talent“ aufgeführt wurde – mit wesentlich anstößigeren Szenen, die Valentina niemals performt hätte.
Kurzum – der Erfolg dieser Show im „Playboy“ war einzigartig unter dem Titel „The Nude Singer: An Opera Star Gives It All!“
Die Auflage stieg in ungeahnte Höhen. Dabei waren die Aufnahmen schaumgebremst…
21
Alice war erstmals glücklich in ihrem Leben. Es passte einfach alles – der Scheich Chalid ibn al-Walid ibn al-Mughira ibn Abdallah ibn Umar ibn Machzum, für sie einfach Chalid, legte ihr seinen Reichtum zu Füßen. Zum ersten Mal musste sie nicht auf‘s Geld schauen – ihr Konto in Wien ausgeschlichen, der offene Kredit war geschlossen. Deswegen liebte Alice ihn nicht, sondern ganz von Herzen.
Ein älterer Mann konnte sich diesen Luxus leisten, zumal sie ihm das Gefühl gab, wieder jung zu sein – und so war‘s auch. Sein Körper war plötzlich wieder auf Angriff geschaltet.
Hierbei kamen ihr die Erfahrungen mit ihrem Vater zugute – langsam musste es zunächst gehen, dann immer schneller, um dann in weiterer Folge in einer Explosion
zu enden. Dann wieder inniges Kuschen, bis dann letztlich – so Gott (oder Allah) es wollen – die nächste Entladung folgte.
Danach in einem gewissen Abstand, der der Regeneration geschuldet war, ein Gespräch über den Nah-Ost-Konflikt auf Drängen von Alice stattfand. Chalid versuchte, das Thema zu vermeiden – zu oft hatte er an einer Friedensmission des Sultanats Oman teilgenommen und sich letztlich zurückgezogen. Da war aus seiner Sicht nichts zu machen – wenn sich zwei, an sich semitische Völker gegenüber stehen, was sollte man da noch erreichen.
Lieber redete über arabische Lyrik: „Mein Lieblingstext ist das von einer Frau, Fawziyya Abu Khalid, geschriebene Gedicht ‚Zwei kleine Mädchen‘. Es geht so:
‚Sie lehrt mich
die Namen der Blumen,
die Regenzeiten und
die Liebe zu unserem Land.
Ich lehre sie
Sturheit und Schalk…
Wir teilen einen Apfel und unzählige Träume.
Wir malen ein Paradies aus Fragen auf die Wüste.
Wir bespritzen uns gegenseitig mit dem Wasser der Fata Morgana,
begleiten eine flüchtige Hirschkuh‘“
„Das ist wirklich traumhaft!“, sagte Alice. „Und so richtig arabisch!“
In diesem Zusammenhang sagte Chalid: „Die Liebe der Araber zur Poesie war der Grund dafür, dass sie begannen, Bücher über Monotheismus, Philosophie und Algebra in Versen zu verfassen. Wer ihre Geschichten liest, bemerkt, dass sie meist mit poetischen Texten vermischt sind.“