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AKIKO YAMAMOTO – Leseprobe 2

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Die Stelle in der Polizei-Zentrale war ein glatter Reinfall – Akiko Yamamoto wurde in‘s Archiv abgeschoben, wo sie fade Statistiken bearbeiten musste, die keinen Menschen interessierten. Es war ihr sterbenslangweilig – abgesehen davon, dass sie Excel-Files hasste wie die Pest. Aber da musste sie wohl durch, wenn sie in der Hierarchie nach oben klettern wollte – sie gehörte nicht zu jenen Privilegierten (fast ausschließlich Männer), bei denen das von allein lief.

Akiko hatte ein Loch von einer Wohnung gefunden – was Wunder, dass sie jede freie Minute in den „Shinkansen“ stieg und dem Cape Kadowakizaki zustrebte, der Heimat der Ama-Taucherinnen. Diese gaben sich reserviert gegenüber Akiko. Sie hatten noch immer nicht den für sie abrupt erscheinenden Aufbruch überwunden.

Auf die Frage Akikos nach Sakura sagten sie: „Du wirst nicht viel Freude haben!“ – Nichts weiter.

Also blieb ihr nichts anderes übrig, als nach Ito zu begeben, einer Ortschaft nahe dem Cape Kadowakizaki, um dort nach dem Rechten zu sehen. Was sie sah, war wenig entzückend. Die Schule war vorbei und in der kleinen Wohnung (zu der sie noch immer die Schlüssel besaß) fand sie eng umschlungen Sakura und ein Mädchen, selig schlummernd. Sie schlich sich heimlich davon – die Schlüssel legte sie offen an weithin sichtbarer Stelle ab. Sollten die Zwei nur von ihrer Anwesenheit erfahren!

Akiko hatte insgeheim gehofft, einen Zufluchtsort zu haben, an den sie jederzeit zurückkehren konnte. Viel Aussicht hatte sie dem Bestreben ohnedies nicht gegeben, aber dass es so rasch gehen musste, war selbst für sie überraschend. Und dass Sakura sich schnurstracks mit jemandem trösten ließ, traf sie unverhofft.

Sie fuhr niedergeschlagen zurück in eine mittlerweile noch ungeliebtere Unterkunft in Tokio und zu ihrem langweiligen Job bei der Polizei. Da ergab sich eine Möglichkeit, ihre spezifischen Talente einzusetzen.

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Das kam so: Über Einladung der japanischen Polizei war Agatha Collins, die bekannte Privatdetektivin, in‘s Reich der aufgehenden Sonne in gefahren – sie wussten dort einfach nicht weiter mit dem Mord an einer der Ama-Taucherin, sodass die (ungeliebte) Hilfe einer europäischen Privatdetektivin in Anspruch genommen werden musste. Zudem war die Sache nicht ungefährlich, und die heimischen (weiblichen) Polizeikräfte sich außerstande fühlten, diesen Job zu erledigen – es ging bei der Belegschaft das Gerücht um, dass ein Einsatz unter Wasser obligatorisch, und nicht zu knapp, war.

Agatha hatte von dem spezifischen japanischen „Machismo“ gehört, aber das übertraf bei weitem ihre negativen Erwartungen. Gleich bei der Vorstellung wurde sie angepflaumt vom Polizeichef: „Verstehen Sie überhaupt etwas von der detektivischen Arbeit, die Sie hier erwartet?“ – „Sonst wäre ich nicht hier!“, gab sie patzig zurück. „Können wir uns jetzt der ,detektivischen Arbeit‘, wie Sie das nennen, widmen!“, kam sie zum Punkt.

Es stellte sich heraus, dass eine von den Ama-Taucherin nicht aus dem Meer zurückgekehrt war – sie war „lediglich“ vermisst, das hatten ihr die zuständigen Stellen verschwiegen. Und sie ging daher systematisch vor: Erst einmal die Erkundigungen an Land im Verwandten- und Bekanntenkreis, ob sich die Betreffende gemeldet hatte, wobei ihr als Dolmetscherin eine reizende Beamtin, eben Akiko Yamamoto, zur Seite stand. Allein – alle diesbezüglichen Bemühungen waren vergeblich!

Blieb nur noch der Ozean! Agatha fragte Akiko, mit der sie mittlerweile das Du-Wort teilte, ob sie sie begleiten würde, obwohl es zum Dolmetschen submarin wenig Gelegenheit geben sollte. Akiko war in ihrem früheren Beruf Ama-Taucherin und es war ihr eine Ehre, sich der Detektivin anzuschließen.

„Da kannst Du von mir Einiges lernen. Oder bist Du imstande zwanzig Meter und für kurze Zeit etwas mehr zu tauchen? Zwanzig Minuten und mehr am Stück? Schaffst Du das oder muss ich Dir Unterstützung geben?“

Agatha nahm den Beistand mit Freuden an – ihre einschlägigen Erfahrungen waren doch von viel geringerer Dimension gewesen.

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Die Beiden schlossen den Ama an – das bedeutete, dass sie möglichst unauffällig agieren mussten, und das bedeutete zweitens, dass sie den Fundoshi, Aakiko wohl bekannt, anzogen, ein Nichts an Stoff. Sie bekleideten sich mit dem traditionellen Kopftuch und nahmen das scharfe Messer – auf die Leine zum Wiederaufstieg verzichteten wir, damit wir frei waren in unserem Bemühen, die Leiche zu finden. Ja, denn dass die verschwundene Ama tot war, gab es keinen Zweifel – sie mussten sie nur erst finden. Und ihre Mörder!

Agatha und Akiko ließen den Ama-Taucherinnen den Vortritt, hielten uns bewusst im Hintergrund. Sie waren durch ihre Verkleidung respektive Nicht-Verkleidung vor neugierigen Blicken geschützt. Und dann ging es hinab in die Tiefe – das Meer war kühl, doch nicht unangenehm, zumindest für‘s Erste. Sie entfernten uns von den anderen (sie nahmen an, dass die Ama die üblichen Plätze schon genauer untersucht haben würden) und drangen in unbekanntes Gewässer vor – dabei tauchten sie auf, wenn es unbedingt notwendig war, und nach einem einzigen Atemzug unternahmen sie einen weiteren Tauchgang.

Und dann fanden sie Tamiko, so hieß die Vermisste. Tamiko war mit den Füßen in einen Betonklotz eingesperrt und starrte uns angsterfüllt entgegen – sie war seit drei Tagen tot. Man hatte ihr zunächst den Fundoshi abgenommen und sie mehrfach brutal vergewaltigt, und das von vorne und von hinten. Blut war im Spiel – sie hatten ihr tiefe Schnittwunden beigebracht. Wenn der eine sich abreagiert hatte, war der andere Verbrecher dran.

Sie musste ungeheure Qualen ausgestanden haben. Selbst als sie schon das Zeitliche gesegnet hatte, hatten die Mörder ihr das angetan. Akiko musste sich übergeben. Ihr Erbrochenes schwebte im Wasser. Agatha rief den Polizeichef an, um ihm das mitzuteilen. Er versprach, sich um das Weitere zu kümmern.

Und er versprach auch, Akiko Yamamoto freizugeben, damit sie künftig als Assistentin bei Agatha Collins arbeiten konnte. Das Geschäft trug‘s schon…