AKIKO YAMAMOTO – Leseprobe 14
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„Business as usual!“, hieß bei Akiko Yamamoto und Lee Steven. Sie hatten In der Zwischenzeit mit ihrer Aufmerksamkeit etwas nachgelassen – was in der Branche tödlich sein kann. Und prompt passierte ein Missgeschick, das sich rasch zu einer echten Katastrophe zu münden versprach.
Akiko tauchte kopfüber – wie sie es ausgemacht hatten – und verbundenen Augen – wie sie es auch vereinbart hatten -: Da wurde Lee plötzlich schlecht und er wurde bewusstlos. Knapp davor hatte er eingeatmet, aber er trieb (mit dem Gesicht nach unten) hilflos und regungslos durch den Raum.
Die Yamamoto startete los. Sie riss sich die Augenbinde herunter und strebte der Oberfläche zu – sie war zu diesen Zeitpunkt geschätzte zehn Meter tief getaucht. Sie machte diesen Schritt, ohne auf den Druckausgleich irgendwelche Rücksicht zu nehmen – wenn das nur gutging, dachte sie. Sie kam aber unbeschadet an und fing rsofort an, Lee wiederzubeleben.
Die erfahrene Taucherin hatte Erfolg, obwohl Lee sehr geschwächt war. Akiko fand, dass es für heute genug sein sollte. Das Management sah das anders – die Geschäftsführer drängten auf genaue Einhaltung des Vertrags. Da half kein Bitten und Betteln auf Seiten Akikos. Stevens sah das viel entspannter – der britische Unternehmungsgeist trat bei ihm in den Vordergrund: „Schatz, das musst Du verstehen. Sie wahren nur ihre Interessen!“
Und er tauchte wieder unter…
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Der armen Natsuki widerfuhr Ähnliches. Wieder stand ein Auftritt bevor – ihr graute vor dem Publikum, vor den widerwärtigen Typen, die nur das Eine wollten, nämlich einen Blick auf weit aufgespannte Muschi zu riskieren. Es handelte sich bei dem Club „Tantra Tokyo“ keinesfalls um das „Crazy Horse“ in Paris, wo eine gepflegte Atmosphäre herrschte, Damen und Herren einträchtig zusammensaßen und den geschmackvollen Darbietungen zusahen. Die Show hatte nackte Tatsachen zu bieten, aber kultiviert – die Actricen zeigten zwar den Busen, aber der Slip blieb an seinem Platz.
Davon konnte Natsuki bestenfalls träumen – die Realität war erschütternd. Da musste sie sich vor einer Herde wildgewordener Männer ausziehen und der Stringtanga flog davon. Die einzige Frau vor Ort war ihre Quasi-Managerin Sakura Takumi, die sich notgedrungen das Spektakel ansah, um sie später allenfalls zu trösten. Sakura wusste von vornherein, dass jeder Zuspruch vergeblich sein würde.
Natsuki lächelte gequält, aber das konnte man nur in der ersten Reihe ausmachen – weiter hinten sah man (zu Unrecht) ihren strahlenden Jubel. Es war ihr gar nicht zum Jubeln zumute, wenn sie ihre Schamlippen präsentierte. Sie hatte prinzipiell nichts gegen das Ausziehen an sich. Schon als Elfjährige hatte sie sich vor dem Spiegel ihrer Kleidung gekonnt entledigt – Striptease pur. Dabei hatte sie die immer volleren Körperformen bewundert. Aber das hier war etwas Ordinäres, was mit dem echten Nackttanz nichts zu tun hatte
Sakura und Natsuki teilten sich ein geräumiges Hotelzimmer mit einer Reihe von Nebenräumen, darunter für Jede ein eigenes Schlafzimmer. Als Natsuki am frühen Nachmittag noch immer nicht erschienen war, ging Sakura nachschauen. Das Ergebnis dieser Recherche war niederschmetternd: Ihre Schülerin lag leblos da – sie war tot!
Sie hatte sich vergiftet – wo sie hergehabt hatte, war für die Takumi nebensächlich. Sie war tot!
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Lee Stevens schrieb in seinem Roman „Sugardating“ das Folgende:
„Sugardating ist ein Verhältnis auf Zeit, bei dem zumeist jüngere Frauen von zumeist älteren, wohlhabenden Männern für Sex und Intimität bezahlt werden. Sind das Beziehungen – oder ist das Prostitution? Nennen wir es lieber auf Französisch „L’Amour fou“. Das trifft‘s wohl besser!
Carlos Fernando Monteiro Lindenberg war ein soignierter Grandseigneur der alten Schule. Wieso er sich in Hanna Hevelius, die wesentlich jünger war als er, vergaffte, blieb für lange Zeit ein Rätsel – ihre zweifellos vorhandene Schönheit wird‘s wohl nicht ausschließlich gewesen sein.“
Akiko Yamamoto sagte: „Das ist ein vielversprechender Anfang!“
Das lenkte sie ab, zumindest für den Moment, von der zweifellos vorhandenen Gefahr, die vom Blackout Lee ausging. Jetzt nur nicht daran denken – lieber zuhören bei der Geschichte, die Stevens erzählte. Akiko hatte sich bewusst darauf eingelassen, in das Schicksal der Hanna Hevelius einzutauchen (im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man ihren Beruf bedenkt), jedenfalls für den Moment „Hanna Hevelius“.
Sie hatte die einzigartige Fähigkeit, herauszutreten aus ihrer gegenwärtigen Existenz und ein anderes Dasein zu schlupfen – unterstützt durch die Meditation, die sie in der Vorbereitung zum Tauchen erworben hatte. Beim Tauchen musste man ebenfalls aus sich heraustreten, wenn man so richtig gut sein wollte – anders hätte man die alles entscheidend Schwelle nie geschafft. Die bestand darin, eine an sich feindliche Umgebung zu einem freundlichen Ort zu machen.
Lee konnte das übrigens eins zu eins nachvollziehen – er hatte die gleiche Erfahrung erzeugt. Er fand sich als „Carlos Fernando Monteiro Lindenberg“ wieder, dem Erzähler. Er realisierte, dass er nahezu doppelt so alt war, wie Akiko. Er war normalerweise schon dem alten Eisen zuzurechnen, wäre da nicht auch in diesem Fall die Meditation, mit deren Hilfe er wahnsinnige Dinge vollbringen konnte.
Apropos – wahnsinnige Dinge. Stevens war durch seine quasi-religiöse Versenkung in der Lage, seine Männlichkeit bis zu einer Stunde hochzuhalten (wobei ihn mancher wesentlich Jüngere beneidete). Das traf sich gut mit der Langsamkeit, mit der Akiko an den Geschlechtsverkehr heranging.