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FEMBOY

Ein „Femboy“ ist eine Person (häufig ein Mann oder eine nicht-binäre Persönlichkeit), die sich durch einen femininen Ausdruck von Kleidung, Verhalten oder Ästhetik auszeichnet, ohne jedoch ihre männliche Geschlechtsidentität zu verleugnen. Der Begriff ist ein Slang-Ausdruck, der aus den englischen Wörtern „feminine“ und „boy“ gebildet wurde und heute sowohl eine sexuelle als auch eine nicht-sexuelle Bedeutung haben kann.

Wolfram Warim war ein Femboy, wie er im Buche steht: Femboys zeigen traditionell weibliche Züge in ihrem Auftreten, zum Beispiel durch das Tragen von Röcken, Kleidern oder Make-up. Aber fühlte sich als Mann, der nur etwas anders war.

Er war des Öfteren gewissen Anfeindungen ausgesetzt, die sich eindeutig auf sein Anders-Sein bezogen – nur zu Hause fühlte er sich völlig geborgen, in seinem herrschaftlichen Anwesen im neunzehnten Bezirk in Wien. Er hatte dank einer umfangreichen Erbschaft, die ihn bis weit über seinen Tod versorgte, zu arbeiten aufgehört, und führte im stillen Kämmerlein ein Dandy-Leben.

Die externen Beschimpfungen, Verbalattacken und aggressiven Aktionen nahmen zu, sobald er außer Haus ging, in seiner Montur aus Bluse und möglichst kurzen Röckchen, dazu Strümpfe in den entsprechenden Farben, die blonde Perücke mit langen Haaren. Auf sein Gesicht hatte er ein besonderes Augenmerk gerichtet – die perfekte Camouflage.

Wolfram hatte stets ein mulmiges Gefühl dabei, weg zu gehen. Die praktische Lösung wäre ganz einfach gewesen: Er musste sich nur „normal“ anziehen, dann wäre er „das Problem“ losgeworden, aber das verbot ihm sein Stolz. Er wollte sich so kleiden, wie er für richtig hielt. Das hieß also, die anzüglichen Bemerkungen seiner Mitmenschen schlechterdings auszuhalten – und zu hoffen, dass es bei den Kommentaren blieb.

Es genügte ihn zu beobachten, wie er in seinen hochhackigen Schuhen dahinstiefelte – da wusste man alles über seine Veranlagung, dazu den femininen Ausdruck, also die weiblich-assoziierten Verhaltensweisen, nicht aber eine weibliche Identität. Auf Deutsch bedeutet „cis“ (kurz für cisgender) die Übereinstimmung der Geschlechtsidentität einer Person mit dem bei der Geburt (Männer sind Männer, Frauen sind Frauen) zugewiesenen Geschlecht. Nur waren sie halt doch anders.

Diese sexuelle Orientierung wurde ihm schmerzhaft bewusst, als er in einer üblen Straße zusammengeschlagen wurde. Was hatte er dort überhaupt zu suchen? Er hielt nach einem Club Ausschau, der ihm empfohlen worden war. Die Unholde zogen seinen Slip herunter und bemerkten erst jetzt, dass es sich bei ihrem Opfer um einen Kerl handelte. Da konnten sie sich gar nicht einkriegen vor lauter Gelächter: „Du verdammte Tunte! Wir werden Dir schon das Leben versüßen!“

Sie quälten ihn von vorne und von hinten und sie nahmen BH-Ersatz ab – da fühlte er sich besonders nackt. Sie vergewaltigen ihn zuletzt brutal und ließen ihn liegen. Er rührte sich nicht. Und das für lange Zeit…

Wolfram fragte sich, wieso das möglich war – nur weil er divergent war. In Wahrheit fragte er sich das schon ewig nicht mehr. Er suchte seine Habseligkeiten zusammen und rief sich ein Taxi. Das Geld hatten sie ihm abgenommen, bis auf wenige Scheine – das musste reichen. Er war mittlerweile soweit wiedergestellt, dass er als Frau durchgehen konnte. Der Fahrer bemerkte dennoch etwas – auf seine Frage hin, antwortete Wolfram mit leicht verstellter Stimme: „Ich bin überfallen worden. Ich mag nur nach Hause!“ – Und der Chauffeur beeilte sich, um zu der angegebenen Adresse zu gelangen.

Wieder daheim, duschte er sich den ganzen Dreck herunter, worauf er sich besser fühlte. Er verließ das Haus für ganze Weile nicht – das Essen und sonstige Güter des täglichen Bedarfs er sich liefern. Dann mit einem Mal überkam Wolfram wieder die Lust auf einem Club-Besuch. Er fuhr von Beginn an mit dem Taxi – das hätte er auch bei der letzten Gelegenheit machen sollen, aber er bildete sich ein, mit der Straßenbahn anzureisen – zwecks Zurschaustellung ihrer Identität. Das hatte er bitter bereut.

Das Taxi war wieder dasselbe wie beim letzten Mal, mit demselben Fahrer. Sie begrüßten sich herzlich. Da war etwas wie ein Funke, der zwischen beiden übersprang. Wolfram nahm den Chauffeur näher in‘s Visier und da stellte sich heraus, der Fahrer war in Wirklichkeit eine Fahrerin. Flach wie ein Brett war sie, aber unverkennbar weiblich. Sie trug einen chicken Hosenanzug und auch sonst die Insignien ihrer Männlichkeit. Sie war aber eine Frau.

Er (eigentlich eine „sie“) parkte sein Auto in der Nähe. Er begleitete sie (eigentlich ein „er“) in die „City Queer Bar“. Dort fanden sie lauter Gleichgesinnte – was immer das in dem Zusammenhang bedeutete. Dort fühlten sie sich wohl. Dort diskutierten sie diverse Themen auch über den Tellerrand hinaus, das heißt auf queere Weise – unaufgeregt und nicht aggressiv. Sie hätten den Club theoretisch überhaupt gebraucht – rein praktisch aber doch. Er erfüllte quasi als Katalysator für Wolfram Warim und Laura Thót (so hieß die neue Bekannte).

Die Beiden quittierten den Club und machten sich auf den Heimweg. Wolfram lud Laura ein, bei ihm einzuziehen (es kam ganz spontan). Es stellte sich heraus, dass die Thót ein Loch im zweiten Bezirk bewohnte und ganz froh war, die Einladung annehmen zu können.

„Wir haben genug Platz, bei fünfzehn Zimmern und drei Bädern. Ich war in der gleichen Situation, bevor ich die Erbschaft antreten durfte. Wir könnten uns auch ständig aus dem Weg gehen – aber das wollen nicht, habe ich recht!“

Und dann schliefen sie miteinander. Alles lief ganz normal ab, bis auf die Tatsache, dass er (die eigentlich „sie“ war) seinen künstlichen Penis ablegte, und sie (die eigentlich ein „er“ war) ihre gefakten Brüste und ihr Glied, das zwischen den Arschbacken eingeklemmt war, wieder frei schweben ließ. Dabei stellte sich heraus, dass sie bis zum Tag des Überfalls außer ein bisschen Petting nichts passiert war. Sie war noch „Jungfrau“, während bei ihm die Initiationsriten längst vorbei waren – mit einem Wort, er hatte kräftig herumgevögelt.

Seine (eigentlich eine „sie“) reichhaltigen Erfahrungen, gepaart mit der Unschuld, die sie (eigentlich ein „er“) aufwies, eröffneten ungeahnte Möglichkeiten des Glücks.

Zuerst galt es, Lauras wenige Sachen abzuholen, aus dem zweiten Bezirk, und sie im vornehmen neunzehnten Bezirk, dort wo die großen Villen stehen, in Sicherheit zu bringen. Dann gönnten sie sich ein ausgiebiges Sonnenbad bei dem (selbstverständlich) vorhandenen Swimmingpool – Wolfram im Bikini und Laura im Speedo.

Sie unterhielten sich über die Weltlage, die nicht günstigste war – um es milde auszudrücken. Aber sollten sie schon ausrichten – sie wurden immer wieder über ihr Anders-Sein definiert. Und das war es dann im Normalfall. Schluss der Debatte! Dabei hätten sie was Wesentliches beitragen können, nämlich ihre queere Betrachtungsweise, die die Dinge divergent sah – und komplizierter, als die einfache Schau man insinuierte. Es war dieses Schwarz-Weiß-Denken, das nervte. Aber konnten es nicht verhindern, dass sie konkret immer auf ihre Divergenz angesprochen zu werden.

Dann ritten Laura und Wolfram aus – ja, Sie hören richtig. Es gab einen Stall in nächster Nähe. Dort wurden die Pferde professionell gepflegt und stundenweise ausgeliehen werden. Wolfram musste unheimlich reich sein, um sich das leisten zu können. Laura hatte offensichtlich das große Los gezogen – dabei war sie ursprünglich nur aus Spaß mitgegangen. Aus Spaß wurde Ernst – die Beziehung entwickelte sich bemerkenswert schnell, und die Intimität war rasch gegeben. Eines noch – sie war seit ihrer Jugend, die sie auf dem Land (in einem Dorf) verbracht hatte, mit Pferden vertraut.

Sie ritten also aus und sprachen dies und das – unter anderem hatten (wenn sie nicht die Weltlage nicht ändern ließ), sie die Absicht, wenigstens im einem wesentlich kleineren Ausmaß anzusetzen. Da stellte heraus, dass sie Beiden von ihren Familien verstoßen worden waren und dass sie keine Freunde im engerem Sinn hatten.

Sie waren neuerdings selbst genug – Wolfram, wenn er seiner Rolle als Frau auftrat, nannte sich „Ottilie“ und Laura, wenn sie als ihrer Rolle als Mann auftrat, nannte „Otto“, in Anlehnung an Goethe‘s „Wahlverwandtschaften“, was sie unabhängig voneinander beschlossen hatten, lange bevor sie sich begegnet waren.

„Ottilie“ und „Otto“ waren ein Traumpaar, wenn sie allerdings hatten vom Versteckspiel, was bisweilen vorkam, waren sie wieder „Laura“ und „Wolfram“ – so wurde es ihnen niemals langweilig. Sie gingen durch die Mariahilferstraße wie alte Eheleute, nur halt mit umgekehrten Vorzeichen, aber das merkte auf den ersten Blick niemand, und wenn sie Glück hatten, auch niemand auf zweiten und alle übrigen Blicke. Das war der Vorteil, als Partner zu fungieren – da war man gleich unverdächtig.

Sie steuerten „Peek & Cloppenburg“ an, wo sie ein elegantes weißes Kleid für „Ottilie“ (aber kurz, dass es kaum die Arschbacken bedeckte) erstanden, für „Otto“ einen schwarzen Anzug, der reichlich verziert war. Der Verkäufer ahnte nichts von ihrer Charade – er ging von einem exzentrischen Paar aus, das sich einen extravaganten Anstrich geben wollte.

Wolfram und Laura gingen nach Hause, um ihren nächsten Coup zu planen: die Hochzeit!

Das wäre unter anderen Umständen kein Problem gewesen, aber die Umstände waren in keiner Weise normal. Sie trachten nämlich danach, ihre Rollen zu tauschen. Das war, was die wechselseitigen Identitäten auf dem Papier betraf, gar nicht so leicht zu bewältigen. Sie waren in etwa gleich groß, aber das war‘s dann mit den Ähnlichkeiten. So kamen nicht weiter – sie mussten sich neue Dokumente beschaffen.

Das war gar nicht so einfach – mit den ganzen Sicherheitsmaßnahmen, die es zu beachten gab. Schließlich hatten sie den Meisterfälscherin gefunden. Die Dame sagte: „Das wird aber nicht billig!“ – Wolfram antwortete: „Egal, wir zahlen jeden Preis!“ – Die Fälscherin, die im Geiste die vereinbarte Gebühr noch einmal nach oben geschraubt hatte, dachte sich, wenn er so mit dem Geld um sich wirft, kann er jede Summe aufbringen. Dann hatten sie ihre Papiere – inklusive Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis, Führerschein und was so dazu gehört. Wolfram hatte ein Vermögen dafür hingeblättert.

Anschließend begann erst ihr großer Coup – das zuständige Standesamt! Bei ihrem Besuch zitterten sie, ob alles in Ordnung wäre – aber es war alles okay. Ottilie Garlipp und Otto Marbeck – so hießen sie jetzt. Zum Glück erfolgte keine Leibesvisitation, denn sonst wären sie sofort aufgeflogen, aber das war im Standesamt nicht üblich. Sie bestellten ihre „Anmeldung der Eheschließung“.

Die Hochzeit selbst war dann schlicht – Otto trug seinen schwarz Anzug (der reichlich verziert war) und Ottilie ihr weißes Kleid (das aber so kurz war, dass es kaum die Arschbacken bedeckte). Trauzeugen gab es nicht, auf dem Standesamt Wien-Ottakring. Sie gingen anschließend essen, allein und trotzdem nicht zweisam, denn sie insgesamt vier Personen, nämlich Wolfram und Laura eingerechnet.

Und hier endet die Geschichte vom Femboy und seinem mittlerweile angetrauten Lover oder seiner Loverin.