ASHES AND SMOKE
Der Text geht auf einen Song der großartigen BETH HART („Fire on the Floor“) zurück!
Er hatte sie zum ersten Mal gesehen und sich gleich in sie verliebt – das ging bei ihm schnell. Ihr kurzes rotes Haar (das vor allen Dingen), ihr ebenmäßiges Gesicht und die ansprechende Figur, die sich unter dem schwarzen Hosenanzug erahnen ließ, hatte es ihm a priori angetan. Er würde das rote Haar anders tragen, nämlich lang und offen, mäkelte er unvermittelt an ihr herum.
Dabei kannte er sie für‘s erste gar nicht – und wenn er sie anredete und wenn sie ihm einen Korb geben würde, würde er sie nie kennenlernen. Er vertraute auf seinen natürlichen Charme. Dabei war der Charme nicht so natürlich, wie es ihm scheinen mochte – er ging eher, so musste für andere anmuten, mit der Brechstange vor.
„Guten Tag, meine Schöne, sie haben ein prachtvolles rotes Haar, das ist mir schon beim ersten Anblick aufgefallen! Es würde mir nur besser gefallen, wenn sie es lang und offen tragen würden!“
Bei dieser „originellen“ Anmache ging sie nicht gleich weiter, wie sie es normal tat. Irgendwie hatte der Typ ihre Aufmerksamkeit erregt – wofür sie sich gleich wieder hassen würde.
„Aber so lange können wir nicht warten – nicht wenn wir es bei einem kurzen Flirt belassen würden!“, sagte sie, ohne es so richtig zu wollen – es sprudelte so unbewusst aus ihr heraus. Der Kerl machte sie kirre, zumindest was sein überwölbendes Auftreten betraf.
„Louis Klein – mein Name! Verraten Sie mir auch Ihren?“
„Andrea Brendler!“
„Wenn Sie Zeit haben, würde ich Sie gerne in‘s Kaffeehaus einladen – unverbindlich selbstverständlich!“ – Das Ganze spielte sich in der Stallburggasse im ersten Wiener Gemeindebezirk beim „Café Bräunerhof“ ab.
„Einverstanden – aber nur einen…“
Sie betraten das Café und fühlten sich gleich in die Epoche vor hundert Jahren versetzt – so lange war dort offensichtlich nichts verändert worden. Allein die verschlissenen Bänke deuteten auf eine jahrzehntelangen Gebrauch hin – mit einem Wort, es war ungemütlich. Der Ober – es war noch der alte, soignierte, der aussah wie ein Sir, anders als so mancher Gast – fragte nach ihrem Begehr. Dabei stellte sich heraus, dass es nicht das erste Mal war, dass Klein dieses Lokal frequentierte. Er war sogar Stammgast und die Brendler erfuhr bei der Gelegenheit, dass er den Doktortitel besaß. Er bestellte zwei „Schale Gold“ und harrte der Dinge, die da noch kommen sollten.
„Jetzt wissen Sie schon Einiges vor mir!“, behauptete er. „Wird Zeit, dass Sie mir Einiges von sich erzählen!“
„Ich muss gar nichts Derartiges tun. Da wir uns keinesfalls wiedersehen werden!“ Und sagte sie es mit Nachdruck!
Er war sichtlich befremdet: „Schade, wo wir uns gerade so nett unterhalten haben! Egal, wir trinken unseren Kaffee aus und das war‘s dann!“ – Er spielte All-In!
Jetzt würde sich in Kürze zeigen, ob er wirklich gleichgültig war und ob er den Kaffee umsonst investiert hatte. Und tatsächlich – sie gab auf und ließ es zu, dass sie fürderhin für Ausquetschungen seinerseits bereit war. Als Zugeständnis verriet er außerdem, dass er unabhängiger Unternehmensberater war.
Die Brendler gestand, dass sie neben ihrer Tätigkeit als Direktionsassistentin in einer großen österreichischen Bank auch bei Nacht als Edelprostitutierte mit denselben Freiern „arbeitete“, mit denen sie tagsüber als Angehörige der großen Kunden des Instituts zusammen war – das heißt nur mit Direktoren und Generaldirektoren. Sie machte das aus purer Fadesse mit ihrem öden Beruf.
Sie hätte ihren Zweit-Job nie zugeben müssen, aber irgendetwas zwang auf magische Weise dazu, und das hatte mit ihrem neugewonnenen Freund zu tun. Sie wollte sich das von der Seele reden und wer war hierfür besser geeignet als ein völlig Fremder.
„Nachdem wir soweit gekommen sind: Mein Name ist Louis! Freut mich, Deine Bekanntschaft zu machen!“
„Andrea! Auch ich bin hocherfreut!“
„Und was geschieht jetzt mit diesem angebrochenen Nachmittag?“
„Was Du unternimmst, weiß ich nicht. Ich muss einen wichtigen Termin wahrnehmen – ich komme eh‘ schon zu spät. Aber ich kann bei meinen „Abend-Rendezvous“ einschieben. Geht zweiundzwanzig Uhr?“
„Ich werde dasein. Jetzt musst Du mir noch verraten, wohin?“
„In meiner Wohnung in der Habsburgergasse gleich um‘s Eck!“ – sie verschwand grußlos.
Der Ober sagte: „Das ist eine Dame vom horizontalen Gewerbe. Ich wollte vor ihr nicht darauf anspielen – aber sie ist mir geläufig, obwohl sie noch nie im Bräunerhof war. Aber sie ist stadtbekannt. Bitte um äußerte Vorsicht im Umgang mit ihr, Herr Doktor!“
„Ich habe zweiundzwanzig Uhr einen „Termin“ mit ihr. Wenn es Sie beruhigt, komme ich anschließend noch einmal vorbei. Es sei denn, ich verbringe die Nacht mit ihr – dann selbstverständlich nicht! Und dann wissen Sie, wo Sie mich notfalls finden können – in der Habsburgergasse!“ – Klein verabschiedete sich…
Er hatte – genauso wie die Brendler – einen wichtigen Termin bei einem Kunden. Er wollte seine Geschäftsstrategie komplett umbauen – sie war ganz einfach nicht mehr zeitgemäß. Diese Erkenntnis ehrte ihn zwar, doch er wusste nicht weiter. Hier kam der Consultant in‘s Spiel, bei dem sich der Mann Rat holte. Klein machte ihn im persönlichen Gespräch mit den Grundsätzen der Neugestaltung vertraut. Erschwerend wirkte, dass sich das selbstverständlich bei laufendem Betrieb vollziehen musste. Hier konnte nur ein professioneller Unternehmensberater helfen, dessen volle Aufmerksamkeit auf die Gesamtheit gerichtet war.
Trotz aller Konzentration verlor Louis seinen Zweiundzwanzig-Uhr-Termin mit Andrea nicht aus den Augen und pünktlich stand er in dem herrschaftlichen Haus vor ihrer Tür. Sie öffnete ihm in Negligé – offensichtlich hatte den Direktor, der vor ihm dran war, „abgefertigt“ – und war bereit zu neuen Taten. Er hatte sich seit ewig gefragt, wieso eine Prostituierte (und hier meine ich nicht jene bedauernswerten Geschöpfe, die das unter Zwang machen) so leicht von einem Freier zum nächsten überwechseln könnten.
Dabei war er gar nicht ein Freier im üblichen Sinn, zumal sie von ihm kein Geld entgegennahm. Und sie gab ihm einen Zungenkuss, was bei Nutten sämtlichen Zuschnitts ein absolutes Taboo darstellte. Überhaupt war ihre Performance, die sie zum ersten Mal bei ihm abzog, sensationell – da bekam man was für seinen Zaster, um es einmal so landläufig auszudrücken. Dabei nahm sie von ihm kein Bares, nur seine neuentdeckte Liebe.
Andrea bereitete ihm selten erlebte Wonnen!
Was der Professionalität einer Liebesdienerin zuzuschreiben war – aber nicht nur. Warum sollte sich eine Edelnutte nicht auch einmal echt verlieben. Das aktuelle Beispiel zeigte es ganz deutlich!
Aber es zeigte ebenso deutlich den Unwillen Andrea‘s, ihren „Zweit-Job“ aufzugeben. Sie war ihren Auftraggebern, den Direktoren und Generaldirektoren, im Wort, dass sie sie nicht hängen ließ, wenn diesen die jeweiligen Angetrauten auf die Nerven gingen und Andrea ihnen Linderung versprach. Dabei ging es nicht um ungetrübten Sex, sondern um interessante Gespräche, an denen die Ehefrauen durch die Bank kein Faible hatten und sie gaben lieber das reichlich verfügbare Geld ihrer Männer aus – nebenbei bemerkt, die wirklich relevanten Positionen waren zu jener Zeit fest in männlicher Hand.
Blieb für Louis die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder Andrea ganz aufgeben oder zu akzeptieren, dass sie noch andere „Kerle“ hatte – er nannte insgeheim so, was eine gewisse Respektlosigkeit gegenüber den Direktoren bedeutete und eine noch größere gegenüber den Generaldirektoren. Es war nicht ungefährlich, so zu handeln, denn das waren zum Teil auch seine Kunden.
Einerlei – er ließ das Problem einfach links liegen, machte die Augen zu und genoss die Wonnen, die Andrea ihm bot – und genoss den Zungenkuss, der als einzigen ihm gewährt wurde. Er stürzte sich tagsüber auf seine Arbeit – er hatte genug zu tun. Die Aufträge prasselten wie nie zuvor über ihn herein. Und er hatte Mühe, sie zu bewältigen.
Auf die Idee, dass an der Fülle an Orders Andrea nicht ganz unbeteiligt war, kam er erst gar nicht – er tippte auf seine Tüchtigkeit, die ihn seiner Ansicht nach zum Ziel geführt hatte. Seine Geliebte zweifelte keineswegs an seinen Fähigkeiten, setzte sich zur Sicherheit bei diversen Vorstandsmitgliedern dafür ein, dass er die entsprechenden Gebote bekam.
Sie ließ ihn gewähren – sollte er nur glauben, dass es seiner Vortrefflichkeit zu verdanken war. Da hatte sie ein Mittel in der Hand, ihn fallweise zu disziplinieren, wenn es jeweils soweit kommen würde, dass er aufbegehrte. Noch war es lange nicht so weit. Andrea beschloss, ganz lieb zu ihm sein – alternativ auch strenger, wenn er es wollte.
Sie war wie Wachs in seinen Händen. Dabei manipulierte sie ihn, ohne dass er es merkte. Sie war mittlerweile die perfekte Nutte geworden, mit einer Freude an ihrem Gewerbe. Wann sie schlief (ich meine schlafen im Sinne von sich ausruhen), war ihm ein Rätsel – er versuchte nicht darüber nachzudenken. Hauptsache war, dass er mit ihr und sie mit ihm in der vollsten Zufriedenheit lebten – mit der Einschränkung des Erst-Jobs und Zweit-Jobs. Er hatte manchmal den Eindruck, nur ein Dritt-Job für sie zu sein – aber er schob diesen Gedanken rasch beiseite. Dafür liebte sie ihn zu sehr – auf ihre Art freilich.
Klein machte sein Consulting-Business zunehmend besser und routinierter. Er nützte Synergien, wo immer sie sich ihm boten. Damit machte er auch für sich einen ordentlichen „Schnitt“. Er hatte soviel zu tun, dass er sich mit Müh‘ und Not die Zeit, die er mit Andrea verbringen konnte, allweil geringer wurde. Und er brauchte – im Gegensatz zu seiner Geliebten – ein Mützchen „echten“ Schlaf.
Sein Geschäft entwickelte sich weiterhin gut, sodass er bald bei denselben Vorständen aus- und einging, die auch Andrea frequentierte, wenn auch im anderen Konnex. So verschlossen sie gegenüber einzelnen „Kundenbeziehungen“, indem sie sie strikt auseinanderhielt, so offen war sie gegenüber Louis. Sie erzählte ihm alles, bis in die Details, dass es ihm oft schon genug war. Er sagte aber nichts, denn es war auch in seinem Interesse, dieses Hintergrundwissen auszunützen.
Er erfuhr von seiner Geliebten, dass…
… einer von ihren Kunden ganz normal verkehren wollte,
… während ein anderer a tergo vorzog, wobei es zwei Varianten gab: eine vaginale und eine anale,
… während einer nur reden wollte (das war überhaupt ihr bevorzugter Typ – er hatte daheim Funkstille, was ihm als Direktor, der im Büro stets das große Wort führte, besonders schwer fiel)
… und so weiter, das ganze Sortiment aus der Beziehungskiste entlang.
Louis passte genau auf, dass er nichts versäumte. Dann wie aus heiterem Himmel verlangte er urplötzlich, dass sie ihre Existenz als Edelprostituierte aufgeben und exklusiv nur mehr für ihn da sein – Vorteile hin oder her. Dabei wusste er gar nicht, welche Folgen sein Handeln zeitigen würden – keine guten, war Andrea überzeugt. Und daher lehnte sein Anliegen rundweg ab. Er hatte seinen Einfluss auf sie gründlich überschätzt.
„Jetzt trennen sich unsere Wege!“, sagte sie scheinbar unberührt – wie es in ihren Inneren aussah, blieb rätselhaft. Fazit – sie wollte an dem Arrangement nichts ändern. Ob mit ihm oder ohne ihn.
Asche und Rauch…