DER IMPERATOR – Leseprobe 12
VIERUNDDREIßIGSTES KAPITEL
Gallienus und Egnatia Mariniana waren – wie gesagt – extrem vorsichtig. Aber dann kam der Augenblick der Wahrheit, sie mussten in einem Moment der Unaufmerksamkeit der Wachen die zinnoberrote Haut von Valerianus herunternehmen und in einen vorbereiteten Sack stecken. Der Mutter drehte es fast den Magen um, als die „Reliquie“ des Geliebten aus nächster Nähe sah. Sie hielt sich aber tapfer.
Die Aufpasser hatten nichts bemerkt, wohl aus Fadesse oder war Müdigkeit im Spiel – wer mochte schon auf diesen alten Fetzen aufpassen. Jedenfalls gelangten in‘s Freie und in ihre Herberge. Egnatia Mariniana wollte sofort aufbrechen, aber Gallienus verwies auf die herannahende Nacht – sie würden es nur verdächtiger erscheinen lassen durch ihre überstürzte Abreise.
Am nächsten Morgen in aller Früh machten sie sich gleich fort. Sie wagten sich nicht auf die Königsstraße – auf Feldwegen kamen sie langsamer voran, aber das war sicherer. Und wirklich hörten sie auf der Hauptstraße ein Getümmel von Reitern, die nach ihnen suchten. Es hatte sich herausgestellt, dass der Herbergswirt gleich lief und sie anzeigte. Zwei offensichtliche Ausländer, die Latein sprachen, waren von vornherein verdächtig.
Die Detektive nahmen ihre Arbeit auf und erkundigten sich, wo Egnatia Mariniana und Gallienus (die Namen der Betreffenden waren bis zuletzt nicht bekannt) und da führte die Spur gleich in den Tempel. Dort erlebten sie die böse Überraschung: Die Haut des römischen Kaisers war verschwunden!
Darauf wurde eine Reiterei organisiert, die Richtung der Suche war klar: Das römische Reich, nur auf welchen Wegen sie sich davongestohlen hatten, war die große Frage. Die Königsstraße hatte sich bald als Fehlanzeige erwiesen, danach ging es auf die kleineren Gassen, die natürlich wesentlich aufwendiger zu kontrollieren waren. Um es kurz zu machen, Egnatia Mariniana und Gallienus entkamen. Die Verantwortlichen im Perserreich wurden um einen Kopf kürzer gemacht.
FÜNFUNDDREIßIGSTES KAPITEL
EgnatiaI Mariniana und Gallienus hatten jenseits der persischen Grenze in der Stadt Palmyra, der Hauptstadt der Provinz Syria, Zuflucht gefunden, gaben sich nach wie vor nicht zu erkennen – sie traten unter den Namen Beata und Beatus auf. Sie frühstückten ausführlich und gingen dann in die öffentliche Badeanstalt, um sich den Schmutz von der Reise abzuwaschen. Anschließend gaben sie sich dem „Dulce nihil“ hin, für mindestens eine Woche.
Die Haut des Kaisers Valerianus ließen sie nicht aus den Augen – Beata (besser gesagt, Egnatia Mariniana) gruselte es immer noch, wenn sie daran dachte, wer das war. Dessenungeachtet war sie davon überzeugt, dass es richtig schien, die sterblichen Überreste oder was hiervon übriggeblieben war, in die Heimat zu expedieren.
Sie gingen Hand in Hand und das fiel nicht weiter auf, war doch Egnatia Mariniana eine Dame, die sehr gehalten hatte, um es so profan auszudrücken. In Wirklichkeit war sie auch im reiferen Alter eine Schönheit – was hatte das zu sagen, wenn sie Gallienus mit sechzehn Jahren bekommen hatte und der Unterschied folglich nicht so übermäßig groß war. Gallienus genoss das Zusammensein mit seiner über Gebühr – und hatte er insgeheim das Bedürfnis, dass mehr daraus werden könnte. Er verwarf jedenfalls den Gedanken an eine inzestuöse Beziehung mit seiner Mutter.
Gallienus und Egnatia Mariniana nahmen sich einen Wagen mit Kutscher (dieser machte das Geschäft seines Lebens). Es ging von Syria und weiter nach Cilicia, Lycia et Pamphylia, Asia, Thracia, Macedonia und schließlich Italia. Sie waren noch immer inkognito, obwohl ein Blick auf eine Münze gereicht hatte, um den Kaiser zu erkennen, aber er unterblieb.
SECHSUNDDREIßIGSTES KAPITEL
Der Kaiser ging niemandem mehr ab, mit Ausnahme von Arminia – selbst diese hatte sich schon ein wenig im Griff. Sie verbrachte ihre Tage nicht länger mit Trübsalblasen, sie machte das, womit alle reichen „Witwen“ sich beschäftigten, sie gingen karitativen Zwecken – dieser bezieht sich auf wohltätige oder humanitäre Aktivitäten, die darauf abzielen, Bedürftigen und Benachteiligten zu helfen. Er impliziert eine freiwillige und unentgeltliche Hilfe, die auf Nächstenliebe und Mitgefühl beruht.
Wenn die Kaiserin (und das war sie wohl, auch wenn sie eine „Barbarin“ war) bisher mit den Anliegen von Gallienus beschäftigt war – eine Aufgabe, die sie voll in Anspruch nahm -, saß sie plötzlich auf dem Trockenen. Livia hatte sich mittlerweile einen eigenen Beraterstab aufgebaut, sodass die Konsultanten von Gallienus nur herumsaßen – entlassen konnte man sie nicht, da keinesfalls sicher war, dass der Kaiser auf wundersame Weise wieder auftauchte.
Die Kaiserin beschäftigte sich, in Ermanglung anderer sinnvoller Pflichten mit Charity, darunter vor allen anderen die Obsorge kriegsgeschädigter Kinder und hier wiederum Vollwaisen. Man glaubt nicht, wie viele Kinder beide Eltern verloren haben, den Vater als Soldat und die Mutter als sonstwie Betroffene. Sie veranstaltete Tombolas, Wohltätigspartys und Empfänge für guten Zweck – bei derlei Aktivitäten überstieg oft getriebene Aufwand den Reinerlös beträchtlich.
Sei dem wie dem Sei, Arminia hatte ihre Beschätigung, die sie mit der Hingabe erfüllte wie zuvor diplomatischen Missionen.