DER IMPERATOR – Leseprobe 19
FÜNFUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL
Die Kaiserin ließ im Rahmen ihrer Möglichkeiten keine Gelegenheit verstreichen, ihre faktische Macht auszuweiten – und ihr Pouvoir reichte sehr weit, grenzenlos, jedenfalls nach dem Dafürhalten der Monarchin. Es kann sich auf die Fähigkeit beziehen, etwas zu tun oder auf die Autorität, etwas zu bestimmen.
Es machte ihr Spaß, an die Barrieren und manchmal darüber hinaus zu gehen. Dabei war es ihr gleichgültig, kräftig anzuecken. War ihr manchmal Gallienus zu konziliant erschienen (was er übrigens gar nicht war), ging sie nunmehr mit äußerster Brutalität vor, und zwar gegen innere und äußere Feinde. Da sie sich das teilweise nur einbildete, „erarbeitete“ sie den Ruf eines bedenkenlos zuschlagenden Wesens. Das gefiel ihr ungemein!
Livia erhöhte beispielsweise die Steuern, die für Importe in die Stadt Rom erhoben wurden (dafür, dass die fremden Kaufleute die Hauptstadt überhaupt beliefern „durften“), auf sechzig Prozent, zuvor zwanzig Prozent – eine deutliche Steigerung, die auf Grund der Fülle an Waren, die die Stadt täglich benötigte, eine Menge Sesterzen ausmachte, die der Staatskasse zuflossen. Ende waren es hundert Prozent – der Hunger des Staats war schier unermesslich.
Mit Hilfe dieser zusätzlichen Einnahmen nahm die Kaiserin die abtrünnigen Provinzen wieder stärker an die Kandare – sie hatten sich niemals völlig von Rom gelöst. Das ermöglichte es Livia, sie erneut einzufangen – mit viel Geld, das ihnen die Sinne raubte. Geld regiert die Welt!
Dieser alte und eiserne Spruch war auch hier anzuwenden.
SECHSUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL
Lara war von Felix schwanger. Das hatte niemand erwartet, zumindest seit ruchbar geworden war, dass er schwul war. Sie hatte, technisch gesehen, einen Mordsaufwand getrieben, bis es soweit war (die genauen Einzelheiten haben hier nicht zu interessieren).
Es war nämlich ein großer Unterschied, je nachdem, ob ein bloßer Geschlechtsakt stattfinden sollte, oder ob es zu einem Geschlechtsakt mit komplettem Vollzug kommen sollte. Felix war manchmal so naiv, ihr kleiner Bruder (sie bezeichnete so er um zwanzig Minuten jünger als sie).
Lara wusste genau, wie man schwanger wird – sie hatte das bewusste Mittel, das die Mutter ihr gegeben hatte, zwar eingesetzt, aber in der Periode, an der sie gravid werden wollte, ausgesetzt. Volltreffer!
Zunächst war nichts zu sehen. Aber dann wölbte sich ihr Bauch verräterisch und zum Schluss war gar nichts mehr zu verbergen. Lara wollte diesen Umstand auch gar nicht verheimlichen und sagte auf Livias Frage: „Wer war‘s?“ – „Mein eigener Bruder! Felix war‘s!“
Lara bekundete gleich und unaufgefordert: „Ich habe darauf hingearbeitet! Weil wir uns gut verstehen!“ – „Und Du, Du hast Du mir etwas zur Verteidigung zu sagen!“, heischte Livia auf Antwort.
„Ich höre immer die Phrase ‚Verteidigung‘. Wir haben nichts Unrechtes gemacht!“, fuhr Lara dazwischen. Felix hatte noch immer nicht auf die Anschuldigung geantwortet – und so blieb es auch. Entweder es fiel nichts dazu ein – oder übte sich in vornehmer Zurückhaltung.
Die nunmehrige Kaiserin überlegte im stillen krampfhaft, wie das sie dem Publikum, das danach gierte, Auskünfte zu erhalten, plausibel machen sollte. Dann fasste einen Beschluss.
„Im alten ‚Egyptus‘ (das ist der Name für Ägypten) war es üblich, dass der Pharao seine Schwester oder die Pharaorin ihren Bruder bestieg und dass daraus die Pharaonen entsprangen – abgesehen von diversen Affären, die jemand zuhauf hatte. Aber die wahren Herrscher konnten nur Geschwister zeugen! Hiermit verfüge ich, dass das bei uns von Stund‘ an genauso sein wird! Der Kaiser oder die Kaiserin muss aus geschwisterlichen Beziehung entstammen!“
Dieser Tabu-Bruch sollte in weiterer Folge der Kaiserin und ihren Nachfolgern und Nachfolgerinnen Probleme bereiten – wegen Inzucht-Gefahr.
SIEBENUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL
Gallienus und Arminia kamen sich etwas näher – wenn sie sich je voneinander entfernt hatten. Da war in ihrer Beziehung viel Show dabei!
Ihr Verhältnis hatte inzwischen eine Tiefe erreicht und es wurde immer tiefer, sodass keine Rolle mehr spielte, ob Arminia im Auftrag ihres Mannes fremdgegangen war oder ob Gallienus mit seiner Mutter geschlafen hatte. Das war in einem Aufwaschen vergeben und vergessen, wenn es denn etwas zu vergeben und vergessen war. Normalerweise hatte jede der Beiden es genossen – nur dass Arminia teilweise etwas genervt war, wenn die potenzielle Geschlechtspartner alt oder häßlich oder beides waren.
Arminia und Gallienus versuchten, an ihre Romanze anzuknüpfen und zwar bedingungslos die Leidenschaft wiederzuerwecken, die ganz am Anfang geherrscht hatte. Sie fanden rasch heraus, dass das gar möglich war, und sie entdeckten sich vollkommen neu, so als ob sie das erste Mal gesehen hätten.
„Guten Tag, schöne Frau!“, sagte Gallienus. – „Guten Tag, interessanter Mann!“, antwortete Arminia – ziemlich anlassig, wie er fand.
Er hatte sich stante pede in die markomannische Prinzessin, die seit langem im Römischen Reich gelebt hatte, verliebt – und sie war ihm gleich um den Hals gefallen, hatte sich ohne weiteres ausgezogen, er detto ganz ungeniert. Und dann hatten sie wilden Geschlechtsverkehr. Die „Ladys“ von Transdanubien waren nicht so zimperlich waren, wie seine Angetraute. Und selbst seine Gespielinnen (immerhin Sklavinnen) zierten sich.
Gallienus und Arminia verknallten sich erneut ineinander. Der Sex zwischen ihnen war nicht mehr so spontan wie früher, dafür aber bodenlos. So bodenlos, dass eine neue Idee in ihnen immer stärker Gestalt annahm.
„Was hältst Du davon, wenn wir in Form eines Doppelselbstmordes aus dem Leben scheiden!“, sagtetut Arminia in ihrem Landhaus.
„Ich habe auch schon darüber nachgedacht, wagte es aber bis jetzt nicht, Dir die Sache vorzuschlagen!“
„Die Sache ist die – was sollten wir warten. Bis wir alt und klapprig sind!“, überlegte Arminia. „Ich kenne (als geborene Markomannin) ein Kräutlein, das einen kurzen und schwerelosen Exitus ermöglicht. Wir könnten uns lieben, während wir diesen Trank einnehmen…“