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DER IMPERATOR – Leseprobe 20

ACHTUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL

Livius war auf dunklen Pfaden in die arabische Wüste abgetaucht, wo sich seine Spur verlor. Er hatte seine Feldherren-Uniform an den sprichwörtlichen Nagel gehängt, sodass ihn keiner mehr erkannte. Er ging weder Livia noch Lara ab – lediglich Felix weinte ihm Tränen nach. Für ihn war sein Vater der große „Held des Ostens“, den er verehrte – nun war fort. Da machte ihm reichlich zu schaffen und überlagerte die Geburt seines Sohnes Julius.

Felix war daher nicht ganz bei der Sache im Gegensatz zu Lara, Livia und den Urgroßeltern Gallienus und Arminia. Er hoffte, dass das in dem Trubel nicht auffallen würde und so war es auch: Die Kaiserin schwadronierte über die Tatsache, dass JULIUS auf den Stammvater des Kaiserhauses – Gaius Julius Caesar – hinwies, obwohl der sich noch nicht so nennen durfte. Im Geiste war er es!

Abseits stehend, hing Felix seinen Gedanken nach.

„Was ist denn mit Dir los?“, fragte Lara. „Freust Du Dich etwa nicht, dass Julius gesund und munter ist?“ – „Oh ja, über das freudige Ereignis freue ich mich wie Ihr! Aber ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass Ihr das Verschwinden unseres Vaters so leicht nehmt…“

Lara war von einer für sie ungewöhnliche Milde: „Wenn Vater sich etwas einbildet (Du weißt es genau, wie er bei seinem Abenteuer in Delphi geradezu seine Spuren verwischt hat), beißt Du auf Granit!“

„Ich weiß es – und das stimmt mich traurig!“ – „Ich weiß, dass es weißt! Aber jetzt komm‘ feiern und denk‘ nicht an das, was nicht zu ändern ist!“, sagte Lara.

NEUNUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL

Livius lebte neuerdings inkognito in einem Beduinenzelt unter dem Titel „Der Fremde“. Er hatte schon bald seinen wahren Namen vergessen – war einfach der Fremde, al Gharib, selbst als er nicht fremd und der Sinn des Gesagten längst in den Orkus hinunter gewandert war.

Al Gharib existierte fortan auf einem wesentlich niedrigerem Niveau als bisher – auf gar keinem Niveau, wenn man die Standards eines Livius anlegte. Hier waren Essen und Trinken, die beide im Zelt stattfanden, während Urinieren und Stuhlentleerung abseits vom Zelt in einer Latrine passierte.

Karge Nahrungssuche war angesagt, Milch von den wenigen Ziegen, Brot, die Frauen händisch erzeugten, und als Delikatesse Datteln, wenn sie gerade in den zufällig auftauchenden Hainen zu finden waren. Zu den hohen Feiertagen wurde schon einmal ein Zicklein geopfert – mit einigermaßen Bauchweh, da das Fleisch kostbar war.

Und die Musik – mit einfachsten Mitteln wurde musiziert, auf einer Flöte und einem Saiteninstrument, dazu monotoner Gesang, der sich über viele Stunden erstreckte. Al Gharib entwickelte sich zu einer Kapazität, was das Flötenspiel betraf. Er konnte stundenlang diese abwechslungslose Geräuschkulisse aufrechterhalten.

Von al Gharib (und demsprechend einem gewissen Livius) hat man nie wieder etwas gehört. Er blieb in der arabischen Wüste verschollen…

SECHZIGSTES KAPITEL

Die Kaiserin war mehr als besorgt, nachdem sie die letzten zehn Tage nichts von Gallienus und Arminia gehört hatte. Sicher, sie war sehr beschäftigt, aber das war zu lang. Sie machte sich persönlich auf den Weg.

Im Landgut angekommen, sah sie Bescherung, oder eigentlich war es gar keine Bescherung: Sie lagen friedlich nebeneinander und sie waren nackt und tot. Gallienus‘ Penis steckte noch immer in Arminias Vagina und sie schliefen selig. Der Verwesungsprozess war bereits sehr weit fortgeschritten. Livia traf Vorkehrungen für den Abtransport auf Egnatia Marinianas Anwesen, wo Gallienus und Arminia im Mausoleum beigesetzt wurden – Arminia weit von ihrer tatsächlichen Heimat entfernt.

Der Kaiserin erster Gedanke war – jetzt konnte sie sich wirklich und wahrhaftig „Imperatrix“ nennen, nachdem Gallienus tatsächlich verstorben war.

„Gallienus, imperator prior, mortuus est. Imperatrix venit. Imperatrix vidit. Imperatrix vicit.“
(Auf deutsch, nach einem berühmten Vorbild: Gallienus, der frühere Kaiser ist tot. Die Kaiserin kam. Die Kaiserin sah. Die Kaiserin siegte.)

Sie sonnte sich insgeheim an der Tatsache, dass Gallienus verstorben war – eine schwere Sünde an sich, und offiziell ließ sie sich gar nichts anmerken, trauerte wie das ganze Reich (oder ein halbes) um seinen Tod. Inoffiziell hatten die Beiden nicht viel am Hut, sie waren das Öfteren über kurz oder lang wieder zusammengekracht. Bis dann Gallienus den endgültigen Bruch vollzog – er selbstnur noch nominell der Kaiser und Livia die Regentin, die die administrative Gewalt innehatte. Da war ihr schon ein bis‘chen schwummrig geworden. Aber das steckte sie locker weg – als der Vater unwiderruflich abdankte, zugunsten von ihr als Kaiserin, löste das bei ihr keine Panikattacken mehr aus.

Sie konnte sich aus Freude über den neuen (von keinem Altvorderen beeinträchtigten) Job nicht einkriegen.