DER IMPERATOR – Leseprobe 22
VIERUNDSECHZIGSTES KAPITEL
Julius und Quintus versuchten es noch einmal – von Brundisium schifften sie sich auf einer Trireme direkt nach Aegyptus ein. Als auf der Überfahrt ein Sturm losbrach, zitterte Julius vor Seekrankheit – das Meer hatte ihm immer schon Angst eingeflößt, selbst wenn es ruhigen Zustand war.
Quintus hingegen meditierte. Und er tat das für längere Zeit.
Und dann empfahl er dem Jüngling mit einem Zitat von Seneca: „Una tantum catena nos tenet, nempe amor vitae. Non eam repudiare debemus, sed eius pressionem minuere debemus, ut, sub pressione rerum, nihil nos impediat quominus parati simus statim facere quod aliquando faciendum est.“
(Was auf deutsch heißt: „Es gibt nur eine Kette, die uns gefesselt hält, nämlich die Liebe zum Leben. Wir dürfen sie nicht von uns weisen, aber wir müssen ihren Druck mindern, damit uns unter dem Druck der Umstände nichts zurückhalte und hindere bereit zu sein, unverzüglich das zu tun, was einmal doch geschehen muss.“)
Und dann war das Meer wieder ruhig, aber Julius‘ Laune verbesserte sich nicht, bevor er und Quintus in Alexandria an Land gingen. Er verzehrte, von seiner Nausea schlagartig befreit, in einer Hafenkneipe Unmengen der unterschiedlichsten Speisen. Anschließend suchten sie sich eine Herberge im einem der besseren Viertel der Stadt. Dort machten sie für‘s Erste einfach gar nichts. Außer sich an die Hitze zu gewöhnen. Es war Hochsommer und irrsinnig heiß – glühend heiß.
Julius sagte, dass er gern die Pyramiden sehen würde – und Quintus war gleich dabei. Er sagte: „Jetzt haben wir als erstes Weltwunder den Leuchtturm auf der Insel Pharos in Alexandria gesehen und zweites die Pyramiden! Wir machen uns gut!“
Sie nahmen sich einen Wagen. Kaum dass das Weichbild von Memphis verlassen hatten, verließen sie die gepflasterten Straßen der Metropole und vertrauten sich den Feldwegen an – zum Schluß war das Nichts. Da mussten sie ihr Fahrzeug ganz aufgeben und da waren sie auch schon: die kolossalen Bauwerke!
Bewundernd standen Julius und Quintus und sagten gar nichts…
Abends bekamen sie spät noch Besuch von einem geheimnisvollen Gast. Er forderte sie auf mitzukommen. Er führte in irgendwelche Katakomben, wo irgendwelche Priester und Priesterinnen sie erwarteten. Die Identität der Eingeladenen oder besser Vorgeladenen war offensichtlich bekannt.
Die Sprecherin der Gruppe sagte: „Wir sind das klandestine Gericht!“
„Was wird uns vorgeworfen?“, erkundete sich Quintus. – „Nichts!“, war die überraschende Antwort. „Du hast Dich mit Stoa, zum Beispiel mit Seneca und den übrigen Stoikern, beschäftigt. Dann müsstest Du wissen, was Sache ist! Eine Weisheit von Seneca lautet: ‚Totum futurum in incertitudine iacet: nunc vive.‘ (Auf deutsch: ‚Die ganze Zukunft liegt in der Ungewissheit: Lebe sofort.‘)“
Quintus sagte: „Du formulierst in Rätseln, Hohe Frau! Weihst Du uns genauer ein!“
Die Priester und Priesterinnen zogen sich ohne weitere Aufklärung zurück. Julius und Quintus standen (man kann es nicht anders ausdrücken) wie die begossenen Pudeln da. Dann dämmerte dem Mentor einiges, worüber er im Moment nichts sagen wollte.
FÜNFUNDSECHZIGSTES KAPITEL
Wieder zurück in Rom (mit der üblich Seekrankheit bei der Überfahrt). Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – Julius und Quintus waren wochenlang abwesend, mit null Möglichkeit einer Kontaktaufnahme. Und dann stehen sie völlig unerwartet wieder auf der Matte.
Und hatten gleich mit der Beschwerde über das unmögliche Verhalten der Kaiserin zu tun. Mit der geboten Vorsicht war auch hier vorzugehen – die Monarchin hatte zweifellos auch ihre Verdienste. Julius stieg in die Gespräche allein ein.
„Oma, wie geht’s Dir, Eure Majestät?“ – „Wie war‘s im Aegytus?“, fragte die Kaiserin. – „Sehr interessant! Die Pyramiden allein schon – ich habe derart beeindruckende Bauwerke bis jetzt niemals gesehen. Und stell‘ Dir vor – ich bin allein die Mykerinos-Pyramide hochgeklettert, die Kleinste, doch auch von dort hat man einen traumhaften Ausblick auf die umliegende Wüste. Quintus ist nicht mitgekommen – dem war das zu anstrengend. Aber ich war überwältigt!“
Julius war in der Erinnerung noch immer enthusiasmiert…
Er fuhr fort: „Und dann – stell‘ Dir vor – wurden Quintus und ich zu einem geheimnisvollen Treffen in irgendwelche Katakomben eingeladen, wo uns manche mysteriöse Eröffnungen gemacht wurden, von denen ich nichts verstanden habe. Quintus hat aber eine Ahnung…“
Die Kaiserin sagte: „Dann holen wir ihn gleich her!“
Quintus war schon auf dem Sprung. Er verkündete im Namen von Julius: „Du hast zunehmend Schande über dieses Amt gebracht, Euer Majestät! Totum futurum in incertitudine iacet: nunc vive! Entsprechende Zeiten fordern entsprechende Maßnahmen!“
Und Julius fügte hinzu: „Daher verfüge zu Recht und Umgehung der üblichen Erbfolge MICH zum neuen Kaiser! Euer Majestät sind mithin abgesetzt! Dank und Anerkennung, die Du Dir zweifellos erworben hast, werden davon nicht berührt!“
Die bisherige Kaiserin erhob keinen Einspruch – froh, so dass sie künftig tun und lassen konnte, was immer sie wollte. Quintus, als einziger anwesender Untertan, brach in den Ruf aus: „Heil unserem neuen Kaiser Julius!“