DER IMPERATOR – Leseprobe 4
ZEHNTES KAPITEL
Gallienus und Arminia waren nach Britannien aufgebrochen. Ihre Entourage umfasste, abgesehen von der Tochter, die mitmusste, da sie sonst schutzlos zurückgeblieben war, eine wahre Fülle von Senatoren und sonstigen Beratern. Der Grund war, sodass der Kaiser sie im Auge behalten wollte.
Gegen Ende des 3. Jahrhunderts war Britannien militärisch erneut zu einem Machtfaktor innerhalb des Römischen Reiches geworden. General Carausius, einem romanisierten Gallier aus der Provinz Belgica, war gelungen, von seiner Armee in Britannien zum Gegenkaiser ausrufen zu lassen. Carausius beanspruchte ein Sonderreich, bestehend aus Britannien und dem an den Kanal angrenzenden Teil Galliens.
Carausius empfing Gallienus mehr als reserviert – seine Frau konnte in dem Fall nicht helfen, da sich Gallier und Germanen nicht grün waren, milde ausgedrückt. Dem „Gegenkaiser“ (aus der Sicht von Gallienus) wäre es ein Leichtes gewesen, den ganzen Tross einzukassieren, aber er fürchtete die Rache Roms. Warum das bequeme Dasein als Landesfürst auf‘s Spiel zu setzen?
Also machte er gute Miene zum bösen Drama, bewirtete kurz seine Gäste und war froh, sie ehebaldigst wieder loszuwerden. Dabei hatte Gallienus mit Odenathus allerdings beste Erfahrungen gemacht mit den regionalen Machthabern – sodass er ihm gar nicht an den Wagen fahren wollte. Es ging ihm lediglich darum, Präsenz zu zeigen.
Sowie Carausius das begriffen hatte, begrüßte er die Delegation besonders herzlich und gab ein Festmahl für seine Besucher. Er erbot sich persönlich ihnen Londinium (das heutigen London) zu zeigen – eine Stadt, die sein ganzer Stolz war, mit ihren 30.000 Einwohnern. Er hatte bis jetzt noch nicht Rom gesehen, eine Metropole mit geschätzten 1,2 Millionen Einwohnern – Gallienus wollte ihm die Freude keineswegs verderben. In diesem Drecksnest…
ELFTES KAPITEL
Wieder fuhr man auf Reisen, diesmal in die Provinz Africa proconsularis. Diese galt allgemein als eine der reichsten des Römischen Reichs und als Kornkammer des Imperiums, neben der Provinz Aegyptus. Wie schon gewohnt, ging es unter großem Gepränge zu: die zweite Frau Arminia, die gemeinsame Tochter Livia (so war ihr Name), eine Fülle von Senatoren und Beratern (damit Gallienus sie beobachten konnte).
Marcus Licinius Rufus, der Präfekt der Provinz, hieß sie willkommen. Scheinbar unterwürfig: „Majestät, es ist mir eine große Ehre, Dich in unserer Mitte begrüßen zu dürfen! Was steht zu Diensten?“ – „Ich wollte nach dem Rechten sehen!“, war die Antwort.
„Ich habe meine Provinz gut im Griff!“ („Bonum tractamus“) – „Das mag schon sein. Dennoch sind wir gekommen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Gibt es eigentlich Korruption bei Euch?“, fragte der Kaiser schlau. – „Da seien die Götter vor!“
Arminia schnüffelte herum, ohne dass es jemand auffiel. Sie redete mit Kaufleuten, mit niedrigen Beamten und zum Schluss mit der Sekretärin des Präfekten, namens Victoria. Diese war besonders auskunftsfreudig – Arminia hatte mit reichlich Alkohol nachgeholfen. Victoria wurde zunehmend zudringlich. Sie zog sich aus – Arminia ließ es geschehen, hatte sogar Vergnügen daran, erstmals mit einer Frau zu schlafen. Victoria hatte wenig davon – betrunken wie sie war. Dafür plauderte sie aus ihrem Nähkästlein aus, was die Götter verboten hatten: Über die Machenschaften des Präfekten.
Arminia war zufrieden – das Abenteuer mit Victoria verschwieg sie tunlichst. Gallienus setzte den Präfekten in der Hoffnung ab, dass die Malversationen so bald nicht wieder auftreten würden. Der Glaube daran hielt sich in Grenzen, da er nicht so rasch wieder hier auftauchen würde…
ZWÖLFTES KAPITEL
Livia, die Tochter von Arminia und Gallienus, entwickelte sich prächtig. Sie war mittlerweile fünfzehn Jahre und von ungeheurer Schönheit, sodass sich die Leute auf der Gasse nach ihr umwandten, wenn sie auf ihrer Sänfte vorüberkam. Dabei war von einem gesunden Selbstbewusstsein – wehe sie zu wenig beachtet wurde, dann rastete sie aus. Dasselbe galt, wenn sie nicht mit gebührenden Respekt behandelt wurde, als Kronprinzessin und Erbin des Reiches – ihr Bild war nicht annähernd so märchenhaft wie ihr schauriger Charakter.
Arminia machte sich langsam richtig Sorgen, welche Persönlichkeit da heranwuchs – Gallienus hatte immer zuviel zu tun, um auf dem Laufenden zu sein. Arminia war die Einzige, die sich darum kümmerte, abgesehen von den zahllosen Menschen, die von Livia angepöbelt worden waren. Die Mutter redete ihr in‘s Gewissen, nur um darauf zu kommen, dass Livia gar kein Gewissen hatte – vollständig kaltschnäuzig war. Sie sah einfach nicht ein, was an ihrem Verhalten falsch gewesen sein konnte.
„Papa macht‘s ja auch so – der geht fallweise über Leichen!“, sagte Livia brutal. – „Ich habe Dich nicht so erzogen!“, war die Antwort . – „Ich habe mich mehr an meinen Vater orientiert!“
War Gallienus wirklich so ein Monster, dachte Arminia, und es war ihr bis jetzt nicht aufgefallen. Als markomannische Prinzessin war sie einen raueren Umgang aus ihrer Heimat gewöhnt, aber das ging zu weit. Livia stellte alles in den Schatten!
War sie nicht die „Barbarin“, als die sie sich immer gesehen hatte – war nicht Gallienus der „Barbar“. Plötzlich fiel ihr es wie Schuppen von den Augen, dass er beim Sex schon immer eine Spur zu weit gegangen war und dass er bedenkenlos zugeschaut hatte, wenn sie mit anderen Männern schlief. Und Livia hatte offensichtlich die Neigung, dieses fortzusetzen. Eine optische Schönheit, die innerlich bereits in‘s Letzte verdorben war, und das mit fünfzehn Jahren.