DAS DESSOUS-MODEL
Es wurde ihr vorgeschlagen, als Dessous-Model zu arbeiten – die Figur hatte sie allemal. Außerdem winkte ihr ein satter Gehaltsbonus gegenüber dem Vorführen von Kleidern.
Miranda Kaiser wusste keinesfalls, was sie erwartete. Eine neue Firma – neues Glück! Oder vielmehr zusätzlicher Stress, angesichts der ungewöhnlichen Tätigkeit! Mulmig war ihr nur, dass sie nicht von vornherein wusste, um welche Art Unterwäsche es sich handeln würde. Aber ihre schlimmsten Befürchtungen wurden Wirklichkeit – da konnte allerdings aus dem Vertrag nicht mehr zurücktreten. Andernfalls hätte sie eine empfindliche Pönale zahlen müssen, die sie in Anbetracht ihrer finanziellen Situation bis zum Tod beschäftigen würde. Mit einem Wort – sie musste da durch!
Als Miranda die ersten konkreten Stücke sah, dachte sie insgeheim „Pornografie“. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, die Teile vor Publikum herzuzeigen und dabei noch „bella figura“ zu machen. Sie hatte bei ihrem früheren Arbeitgeber schon so manches Mal freizügige Kleidung getragen und war auch mit den Gepflogenheiten der Branche (inklusive primitive Anmache) durchaus vertraut. Aber das überstieg bei weitem ihre Toleranz!
Aber wie auch immer – sie musste da durch!
Als sie das erste Mal im neuen „Outfit“, das ein Hauch von Nichts mit zwei Nippelpads und einem Slip, der aus einem Netz bestand, paradierte, schämte sie sich in Grund und Boden. Sie durfte sich allerdings nichts anmerken lassen, denn sonst wäre der Veranstalter ernsthaft böse geworden. Er hatte nur ein Interesse – seine Ware zu verkaufen. Was kümmerten ihn da die Skrupel eines kleinen Models?
Miranda Kaiser ging nach dem Event wie in Trance nach Hause im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Sie hatte heimlich davongestohlen von einer Feier, die „großzügigerweise“ für die Mannequins veranstaltet worden war. Darauf konnte sie dankend verzichten. Sie zog ihre eigenen Klamotten an – da war nichts Glamouröses dabei. Insofern konnte sie durch eine Hintertür verschwinden – ihre gestylte Lockenpracht hatte sie unter einem Hut versteckt.
Daheim schlüpfte aus dem Hosenanzug und aus der Unterwäsche (ihrer eigen wohlgemerkt), schminkte ab und ging in‘s Bett. Die Tragtasche mit den Dessous hatte sie achtlos in ein Eck geworfen. Der Veranstalter erlaubte den Mannequins, sich ein „Modell“ auszusuchen und mit nach Hause zu nehmen. Sie hatte unter all den vielen Dessous, die sie im Lauf des Abends vorführen durfte, jenes ausgesucht, das ihren Ärger erregte, gleichzeitig aber einen eigenartigen Zauber auf sie ausübte.
Man wird sehen, was von den Zauber noch übrig blieb, wenn das helle Tageslicht seinen Schein darauf richtete. Jetzt aber schlief den Schlaf der Gerechten. Miranda war hundemüde.
Der Zauber hielt am Morgen noch an. Sie zog ihren Schlafanzug aus und das „Teil“ an. Jetzt konnte sie es so richtig genießen – sie vollführte die abenteuerlichsten Verrenkungen und Verdrehungen, ging in die Knie und stand wieder auf, ging in die Hocke und machte die Brücke. Miranda verharrte so eine Zeitlang. Sie voll versöhnt bezüglich ihres Outfits.
Aber halt – was machte sie da: Sich in den Dienst der großen männlichen Mafia zu stellen! War sie komplett bescheuert? Die große männlichen Mafia wartete nur darauf, dass sich willfährige junge Dinger mißbrauchen ließen, um des schnöden Gewinns willen! Dafür hatten die Mädels ihre Seele verkauft! Miranda beschloss, etwas dagegen zu unternehmen – aber was? Der Knebelvertrag lastete schwer auf ihrem Gemüt!
Da kam unerwartete Hilfe für die Kaiser: Sie spielte seit ewig „EuroMillionen“ vergeblich – sie hatte die Hoffnung auf einen Gewinn längst aufgegeben, versuchte es aber immer weiter. Es war wie ein Rausch, aber das machte sich am Ende bezahlt: Sie gewann eine Summe von ungefähr 130 Millionen Euro!
Während die übrigen Glückspilze oft nicht wussten, was sie mit dem plötzlichen Segen jetzt konkret anfangen sollten, hatte Miranda eine genaue Vorstellung. Sie kaufte kurzerhand den Laden, wo sie bis jetzt angestellt gewesen war. Da sie mittlerweile das Sagen hatte, krempelte sie das Sortiment in Richtung auf tragbare Unterwäsche um, die durchaus ein bisschen sexy sein konnte, aber niemals ordinär. Die Frauen sollten sich nicht vorkommen wie im Puff.
Die Damen liebten „Kaiser‘s Secret“, wie ihre neugestaltete Produktlinie hieß. Miranda ließ nur bei erstklassigen Herstellern produzieren – sie konnte es sich leisten. Und sie konnte fallweise auch – als Firmenchefin – den Catwalk betreten und ihre Kreationen selbst vorführen, da sie gut in Schuss war. Es machte ihr – im Gegensatz zu früher – direkt Spaß, dies hier und da zu tun, wenn sie nicht durch andere übergeordnete Aufgaben daran behindert wurde.
Andere Aufgaben: Das war das Management, von dem sie wenig Ahnung hatte. Zum Glück hatte Miranda einen jungen Betriebswirt zur Hand, der soeben mit seinem Studium fertig geworden war und der darauf brannte, praktische Erfahrungen zu sammeln – es war ein Risiko, doch sie wollte es ihm versuchen. Sie hatte ihn im Café Camus (eine Zufallsbekanntschaft eigentlich) aufgetan und sie hatte sich bis jetzt nur unverbindlich mit ihm unterhalten.
Beiläufig kamen Miranda und Christian Constantin (so hieß der Bursche) auf seinen Abschluss zu sprechen und die Tatsache, dass er einen Job suchte. Sie bot ihm spontan an, kommerzieller Geschäftsführer zu werden, während sie künftig nur um den „künstlerischen“ Zweig des Unternehmens – als kreative Geschäftführerin. Dann kamen die Beiden sich rasch näher – selbstverständlich auf beruflichen Ebene, da sie ja eng zusammenarbeiteten, mit der Zeit aber auch privat.
Als sie ihr erstes Date hatten (das quasi nicht offiziell war), erfasste sie große Unruhe hinsichtlich dessen, was sie erwartete. Obwohl sie täglich miteinander zu tun hatten, war das doch anders.
„Wir sollten es lockerer angehen!“, sagte Miranda. – „Du hast gut reden! Wenn ich aber versage, beim ersten Date!“, antwortete Christian. – „Du denkst aber weit voraus!“, sagte die potentielle Geliebte. – Er schämte sich ein wenig – aber nicht sehr. Sie sollte nur wissen, worauf er auswar.
Sie war um fünf Jahre älter als er – daher hatte sie mit größter Selbstverständlichkeit die Führung bei dieser Aktion übernommen. Er war mit derselben Selbstverständlichkeit einverstanden. Endlich einmal jemand, der nicht von ihm die Initiative verlangte. Er ließ sich führen und dann war alles ganz einfach. Er überließ beim Essen die Auswahl der Speisen und Getränke – dann aber, als es zu ihr nach Hause ging, setzte sie die Akzente.
Sie hielt es am Ende nicht länger aus, und Miranda und Christian schliefen miteinander – dafür, dass erstes Mal war, verlief die Begegnung durchaus zufriedenstellend. Aber sei dem wie dem sei, es würde schon noch besser werden. Sie holte das ominöse Outfit (Sie wissen schon, welches, das ein Hauch von Nichts mit zwei Nippelpads und einem Slip, der aus einem Netz bestand) von aus irgendeiner Ecke hervor. Sie legte es an.
Das würde Christian schon aufgeilen, dachte sie und so war‘s auch. Er war hin und weg von dem Teil, und hatte es auch ihr Gutes. Er schlief mit ihr noch einmal, und es fühlte sich diesmal hervorragend an.