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ROMAN NR. 10 – Leseprobe 2

Kapitel 4

Nicolas hatte einen seltsamen Traum. Er phantasierte.

„Ich glaube du bist verrückt! Genauso wie ich selbst. Meine Helden hatten den Mut etwas zu riskieren, sie lehnten sich weit aus dem Fenster. Und seit ich denken kann, wünsche ich mir, wie sie zu sein. Und das ich lebe, ist kein Zufall! – Ich bin da! Und sterben werde ich erst, wenn ich hier fertig bin! Aber vielleicht bin ich nur verrückt? Vielleicht bist du verrückt? Vielleicht sind wir alle verrückt? Vermutlich schon…“

Er versuchte, diesem Traum einen Sinn zu geben – aber vergeblich. Dessenungeachtet: der Traum verfolgte Nicolas und ließ ihn mehr los. Der Traum behinderte seine alltägliche Arbeit, da er ständig an ihn denken musste. Und von den Nächten ganz zu schweigen – da wiederholte sich der Traum quasi in einer Endlosschleife. Es war im Wortsinn zum Verrücktwerden. Nicolas fasste einen radikalen Entschluss: was wäre es, wenn er gar nichts denken würde. In seinen bisherigen Meditationsübungen hatte er genügend Erfahrungen mit Nicht-Denken gesammelt – oft minutenlang. Sein absoluter Rekord lag bei einer vollen Stunde.

Der Traum ließ ihn nach und nach los. Nur des nachts kehrte er fallweise wieder. Nicolas unterdrückte jeweils rasch und immer rascher seine Fixierung auf den Traum. Dennoch blieb die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Hirngespinstes – aber vergeblich, er kam nicht drauf. Er gab es endgültig auf – nur um sich gleichzeitig ein Hintertürchen, und streng geheim, offen zu halten.

Nicolas versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren – allein es ging nur unvollkommen. Zu sehr umfing ihn sein Traum, den er neuerdings unverhohlen als seine Vision bezeichnete, zu sehr steigerte er sich immer weiter in diese Fata Morgana hinein – in diese Mirage.

Das Zauberwort hieß Aspiration.

Und so begab Nicolas sich auf immerwährende Karavane der Wiedergeburt. Aber wie ging das mit seiner Rolle als Agnostiker zusammen. Mühelos, würde man sagen – in dieser Situation mühelos. Alles ist eins – alles ist Leere.

Die Zeit war in dieser Situation aufgehoben.

Nicolas erwachte…

Kapitel 5

Zoé hatte ein besonderes Geschenk für Nicolas mitgebracht – sie war endlich bereit für einen Blow-Job. Sie hatte ein ungutes Gefühl dabei, immerhin sie sowas noch nie gemacht. Sie erkannte den charakteristischen Geruch und Geschmack, etwa den von weißem Moschus oder Kastanienblüten, aus nächster Nähe. Sie überwand sich und ergriff Nicolas‘ Penis, was er wieder zum Anlass nahm – Moment, nicht zu schnell. Zurückhaltung war gefragt.

Zoé war dankbar, dass es Nicolas langsam anging. Er schlug vor, für‘s erste eine 69-Position zu beziehen. Als Zoé neugierig fragte, wie sich das vorstellen sollte, sagte Nicolas: „Du Dummerchen, du weißt ja gar nichts! Als Neunundsechzig oder 69 wird eine sexuelle Stellung bezeichnet, bei der beide Partner einander gleichzeitig oral stimulieren. Dabei liegen die Partner übereinander oder auf die Seite gedreht, so dass jeweils das Gesicht des einen Partners den Genitalien des anderen zugewandt ist.“

Es folgte die Probe auf‘s Exempel – da auch Zoé plötzlich bildungseifrig war. Sie nahmen die entsprechenden Körperstellungen ein. Zoé machte sich mit dem Mund an Nicolas‘ Körpermitte zu schaffen, während Nicolas umgekehrt mit seiner Zunge Zoés Muschi bearbeitete. Das ging noch nicht reibungslos ab, wie sie sich das gewünscht hatten. Dessenungeachtet waren sie einigermaßen befriedigt, als sie sich, so wie waren, entspannten.

Anschließend nahmen sie sich wieder, wie gewöhnlich, geistige Nahrung vor. Die Wahrnehmung von Zeit prägt das Denken und hat Einfluss darauf, wie wir mit dem eigenen Leben, Weltgeschehnissen und der Natur umgehen beziehungsweise sie bewerten. Dabei fällt auf, dass die großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam eher einem linearen Lauf folgen. Anders ist das beispielsweise in den Hindu-Traditionen. Sie gehen von einem Kreislauf von Werden, Vergehen und wieder Werden aus. Die Lebewesen, die Erde und der gesamte Kosmos sind Zyklen unterworfen. Deutlich wird das in der Vorstellung von vier aufeinanderfolgenden Zeitaltern. Diese viele hunderttausend Jahre dauernden Phasen werden qualitativ immer schlechter, bis sie nach mehr als vier Millionen Jahren wieder mit dem besten Zeitalter beginnen.

Zoé neigte eher der Idee eines linearen Lauf zu, während Nicolas eher dem Kreislaufphänomen Glauben schenkte. Sie redeten sich richtig heiß bei der Frage – bevor sie zugleich einschliefen.

Kapitel 6

Zoé hatte auch ihre Träume. Diese drehten hauptsächlich um Sex – am Morgen hatte sie diese im Normalfall vergessen. Die Träume waren durchwegs wüst, obwohl sie sich nicht oder nur in den seltensten Fällen daran erinnern konnte. Mal träumte sie von ungehemmten Geschlechtsverkehr, mal fielen gleich mehrere Männer über sie her – in Form eines Gangbangs. Aber auch Frauen spielten in ihren Visionen eine Rolle. Dabei fühlte sie sich im wachen Zustand beileibe nicht homosexuell.

Ein Traum ist die Erinnerung an die unwillkürlich ablaufende Sequenz von Sinneseindrücken und Emotionen, die während des Schlafes autonom vom Zentralnervensystem produziert wird. Die Inhalte eines Traums können real erlebte Situationen referenzieren oder frei imaginierten Charakter haben. Sie werden ausgelöst durch einen unbewussten Orgasmus. Da dies hauptsächlich während eines Nachtschlafes vorkommt, wird auch von einem feuchten Traum gesprochen.

Zoé trieb es wohlgemerkt – in ihren Träumen, nicht in Wahrheit – mit unzähligen Kerlen. Zum Drüberstreuen waren es auch (wenig) Frauen, denen sie ihre Gunst schenkte.