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ROMAN NR. 10 – Leseprobe 4

Kapitel 10

Nicolas und Zoé hörten sich einen Vortrag von Christopher Clark an. Der Redner führte unter anderem aus:

„Als der Schwedenkönig Gustavus Adolphus 1631 mitten im Dreißigjährigen Krieg mit einer großen Armee nach Berlin kam, fragte er den Kurfürsten von Brandenburg nach seinen Intentionen. Der Kurfürst sagte, er habe vor, neutral zu bleiben. „Neutral?“, fragte der König. „Ich will von diesem Wort nichts hören. Es geht um einen Kampf zwischen Gott und dem Teufel.“ Es gibt natürlich in der wirklichen Welt, in der Welt, die wir bewohnen, keine Kriege zwischen Gott und dem Teufel, und die Optionen sind immer zahlreicher, als die Mächtigen zugeben wollen.

Die klügsten Antworten auf die dornigen Fragen, die die Geschichte uns stellt, sind niemals absolut, sondern immer partiell und situationsbedingt gewesen. Aber jedes Prinzip hat seine Grenzen. Gerade heute mehren sich die Indizien, dass uns eine Entscheidung zwischen der pluralistischen, rechtsstaatlichen Demokratie und einer Reihe von autoritären Alternativen bevorsteht, von der „illiberalen Demokratie“ bis hin zur offenen Gewalt und Willkürherrschaft. In dieser existenziellen Frage sind wir – so hoffe ich – in diesem Saal alles andere als neutral.“

Die Beiden gingen tief berührt hinaus. Sie diskutierten lange den Zustand der Welt – in einem Wiener Kaffeehaus. Ein ärgerer Kontrast war kaum vorstellbar – dort die katastrophale Lage, hier die Gemütlichkeit des Lokals.

Kapitel 11

Zoé ging auf‘s Ganze.

Nicolas wunderte sich über die Ungestümheit, die sie neuerdings an den Tag legte. War das der Tatsache geschuldet, dass die Beiden mittlerweile verheiratet waren. Sie hatten am Standesamt Floridsdorf in einer schlichten Zeremonie das Ja-Wort gegeben. Trauzeugen waren von Seiten Nicolas’ Felix Steinfeld, von Seiten Zoés Alma Fürst (von ihr werden wir später noch etwas mehr hören werden).

Nicolas und Zoé gingen anschließend an die Veranstaltung mit ihren Trauzeugen in‘s Uferhaus in Orth an der Donau – einem Wunsch von Zoé folgend, da sie dort glückliche Stunden verbracht hatte. Außerdem wollte sie nicht in der Stadt ihre Hochzeit feiern, sondern in der freien Natur.

Zoé wirkte nach relativ kurzer Zeit schon fahrig und genervt – die Trauzeugen schienen pikiert angesichts des gegebenen Umstands, dass das ein gemütliches familiäres Zusammentreffen war. „Was hast du bloß?“, sagte Alma, damit der Ratlosigkeit eine Stimme gebend. „Och nichts, es ist nichts!“, antwortete Zoé. „Jetzt will‘ ich genau wissen, was dir über die Leber gelaufen ist!“

„Es ist nichts!“

„Du hast doch irgendetwas!“, insistierte Alma.

Die Trauzeugen brachen kurz entschlossen auf – Nicolas und Zoé blieben allein zurück. „Jetzt kannst du mir sagen, was los mit dir.

„Ich habe solche Sehnsucht nach dir in mir gespürt…“

Kapitel 12

Wir zogen uns in neu erworbenes Haus bei Alten Donau zurück. Dort fiel sie über ihn her – er hatte sich nicht mit seiner Annahme, dass Zoé jetzt nach der Hochzeit entfesselt war. Es konnte nichts passieren – kein ungewolltes Kind, wenn sie drohte schwanger zu werden. Dann würde der Säugling in geordneten Verhältnissen aufwachsen – kein Problem.

Nicolas war von dieser Aussicht nicht sehr angetan. Zoé hatte ihn überrumpelt – er ließ es an sich lockerer abgehen mit der Nummer. Aber was soll’s: Zoé machte ihm den aufregendsten Blow-Job – und das freiwillig. Sie schliefen auch ganz normal miteinander (ein Beobachter würde das Blümchen-Sex bezeichnen). Nicolas war im Himmel, und auch ein klein wenig wie in der Hölle.

Die Erfahrung, dass männliche Partner beim Sex zum Höhepunkt kommen und man selbst nicht, hat auch Zoé jahrelang gemacht. Sie wollte hauptsächlich gefallen und habe ganz viel Bestätigung gesucht. Vor allem in langfristigen Beziehungen habe es sie gestört, dass die Männer im Ausbleiben ihrer — Zoés – sexueller Befriedung offenbar nie ein Problem gesehen haben. Sie glaubte, die Beziehungen sind auch teilweise daran zerbrochen, dass sie nicht mehr kommuniziert habe, was ich will. Wie wichtig gute Kommunikation und die Qualität der Beziehung für erfüllenden Sex sind, spiegelt sich auch in der Tatsache wieder, dass Frauen, die sich in ihrer Beziehung wohlfühlen, auch häufiger einen Orgasmus haben.

Auch ist klar: in Beziehungen wird oft nicht genug miteinander geredet. Insbesondere Frauen fällt oft schwer, zu sagen, was sie wollen. Zoé traute sich in der Vergangenheit nicht einzufordern, dass die Klitoris mindestens eine Viertelstunde bespielt wird. Klar ist ferner, dass Frauen häufig dazu sozialisiert werden, Sex als etwas zu sehen, das sie geben – nicht etwas, das sie für sich selbst erleben.

Zoé richtete daher Nicolas aus, dass er darauf achten müsste, stets auf die Befindlichkeit beider Geschlechtspartner einzugehen – dann stünde einer glücklichen und ergreifenden Beziehung nichts im Wege…