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SUGARDATING – Leseprobe 6

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Ihre (nämlich Hannas) ursprünglichen Auftraggeber meldeten sich nach langer Zeit wieder, als Carlos und seine nunmehrige Geliebte auf dem Weg nach Japan waren. Hanna zeigte ihm ganz offen die entsprechende E-Mail, die da besagte: „Was haben Sie bis jetzt herausgefunden?“

Carlos empfahl ihr, mittels Fake-News den Schein zu wahren, so als nichts passiert wäre, was sie ohnedies bereits teilweise gemacht hatte. Und sie schrieb Fantasievolles, von ihrem Aufenthalten in den Vereinigten Staaten, in Mexiko, in Algerien und in Indien – keinesfalls dort, wo Carlos und sie tatsächlich gewesen waren. Sie kannte die Destinationen teilweise nur vom Hörensagen und aus Erzählungen, wenn diese auch allgemein bekannt waren. Und überdies gab es jetzt dieses Internet – diese unerschöpfliche Quelle an Informationen jeglicher Art, sei es nun, dass sie der Wahrheit entsprachen, oder sei es, dass sie komplette Trugbilder waren.

Und schrieb sie nun in unregelmäßigen Abständen, aber relativ konstant ihre Berichte. Bis die Stunde der Wahrheit kam und sie konkretere Ergebnisse vorlegen musste. Da riet ihr Carlos, da seine Identität durch die Auftragserteilung ohnehin bekannt war, durch die gezielte „Anfütterung“, dort wo es ihm nicht wehtat, möglichst exakt zu arbeiten. Das Resultat war verblüffend – die Klienten gaben für‘s erste Ruhe.

Japan – der Sehnsuchtsort für viele, nicht nur für Carlos mit seinen spezifischen Bedürfnissen. Diese richteten sich hauptsächlich auf eine Zusammenarbeit zwischen der Organisation von Carlos (von der Hanna nach wie vor nicht genau wusste, was die Bewandtnis dabei war), und jener der Yakuzas – zum gegenseitigen Vorteil. Gleichwohl belauerten sie sich von vornherein, denn so naiv waren sie nicht.

Carlos nahm Hanna zu den Verhandlungen mit als seine Assistentin vorstellte (da er sonst niemanden zur Verfügung hatte, was bei seiner Geliebten für gewisse Irritationen sorgte). Das Gegenüber bestand aus einem Dutzend martialisch dreinblickender Kerle, die trotz allem für Lindenberg Jausengegner waren. Er behandelte sie mit ausgesuchter Höflichkeit – das waren sie nicht gewöhnt, da fühlten sie sich von Anfang an über den Tisch gezogen, und konnten nicht das Geringste dagegen unternehmen.

Wonach die Yakuzas schielten, waren die internationalen Beziehungen von Carlos. Während ihre nationale Macht praktisch unbegrenzt war, reichte ihr Einfluss kaum über Japan hinaus. Dafür brauchten sie ihn jetzt – dafür waren sie auch bereit, zurückzustecken…

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Akiko Yamamoto und Lee Stevens hatten sich zur Ruhe gesetzt. Akiko zog es an‘s Cape Kadowakizakia, der Heimat der Ama-Taucherinnen. Dort war ihr eigentliches Zuhause, von wo sie ausgegangen war. Lee hatte nichts dagegen und so siedelten sie sich in der Nähe an – trotz der schmerzhaften Erinnerung, die er mit diesem Ort verband, auf der Suche nach seiner Tochter.

Aber das Andenken an Agatha Collins verblasste immer mehr, und das hing stark mit seiner jetzigen Geliebten zusammen, die ihn jedes Mal aufmunterte. Sie hatte ebenfalls einen Verlust zu tragen – ihre Mutter war vor geraumer Zeit verstorben -, und so trösteten sie sich gegenseitig, obwohl Lee insgeheim fand, dass sein Schmerz größer war, denn eine Mutter zu beklagen war etwas anderes, als sich von einer Tochter endgültig zu verabschieden. Das eine war ein sozusagen natürlicher Vorgang, während das andere ein wiedersinniger Verlauf war, zumal die Art und Weise, wie geschehen war, zutiefst absurd erschien.

Als Carlos und Hanna kurzfristig hereinschneiten – sie hatten von irgendwoher erfahren, dass Akiko wieder ihre Heimat zurückgekehrt war und sich dort zur Ruhe gesetzt hatte, unter Mitnahme von Lee -, war die Überraschung groß. Und die Wiedersehensfreude, obwohl sie sich erst kurz kannten. Sie waren sich a priori sympathisch – trotz unterschiedlichster Interessen.

Sie fielen sich gleich um den Hals – die Herren reservierter, die Damen inniger. Sie gingen essen in einfaches Lokal, das in keinem Feinschmeckerverzeichnis jemals aufgetaucht wäre. Aber das war ihnen egal, zumal sie ohnehin nur eine bloße Nahrungsaufnahme geplant hatten.

Sie hatten allerdings geplant, im Hotelzimmer von Akiko und Lee eine besondere Spezialität zu beobachten – eine Modenschau der eigentümlichen Art.

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Die Herren schauten zu, während die Damen in aufregenden Roben (wo sie diese herhatten, blieb im Moment ganz unwichtig) posierten. Diese Bekleidung wurde – bei wechselnden Farben und Formen – immer kürzer und kürzer, das Dekolleté immer ausladender, während der Unterteil immer knapper und knapper wurde, bis der Po mit Mühe und Not bedeckt war.

Fast unmerklich standen die Beiden in ihrer Unterwäsche da. Da gab es einiges zu entdecken – halterlose schwarze Netzstrümpfe, die Akiko und Hanna bis zuletzt anbehielten, zusammen mit hochhackigen Schuhen. Zuerst entledigten sie sich der raffiniert geschnittenen schwarzen BHs und der ebenfalls schwarzen Strings. Als sie die Strümpfe durchtrieben abgelegt hatten, wobei sie die Schuhe aus- und anzogen, blickten sie unverwandt in Richtung von Lee und Carlos.

„Wir sind nackt! Ist das schon irgendwem aufgefallen?“

Der Zauber, der auf dieser Szene lag, war verflogen. Lee und Carlos redeten durcheinander, wirres Zeug. Das war weit entfernt von dem distinguierten Auftreten, für das sie sonst bekannt waren.

Die Mädels sagten: „Wir haben uns Folgendes überlegt: Wie wäre es, wenn zur Abwechslung die Rollen getäuscht würden – wenn Akiko mit Carlos schlafen würde und Hanna mit Lee! Nur um das einmal auszuprobieren!“

Die Herren waren naturgemäß begeistert – Carlos schätzte die Gelegenheit, etwas mit einer Japanerin (denn seine Kontakte waren bis jetzt auf Männer beschränkt) – waren die Fernöstlichen so unterwürfig, wie man es ihnen nachsagte oder war ihre devote Art Teil eines gigantischen Täuschungsmanövers. Lee wiederum interessierte die ursprüngliche „Profession“ von Hanna – er fragte sich seit langem, wieso eine Kurtisane ihren Beruf anlegte (im Gegensatz zu einer normalen Nutte, die dem Freier nichts vormachen musste, war eine Mätresse dazu verpflichtet, echte Gefühle für den Regressanden zu heucheln). Und oftmals entwickelte sich ein authentisches Empfinden wie in Bezug auf Carlos und Hanna.