ALICE – Leseprobe 6
16
Valentina Lena Sterling kümmerte sich nicht um Alice – die würde für sich selbst sorgen. Und so war‘s auch! Wo immer die Tochter war, sie ließ es sich gutgehen – der Schock über das Verhältnis mit Udo war längst überwunden. Das ging Valentina nichts mehr an – damit war sie endgültig fertig.
Sie war persönlich wieder einmal in Japan und freute sich auf ein Wiedersehen mit Seiji Yamamoto, dem Oyabun der Yakuza-Netzwerke. Sie glaubte nicht daran, dass er ihr in irgendeiner Form treu geblieben war – weibliche Geschöpfe waren im seiner Vorstellung Wesen, die tief unter den Männern standen. Trotzdem war sie fasziniert von ihm.
Sie hatte auch einen offiziellen Auftrag: Sie sang im „Opera Palace Tokyo“ die Donna Leonora de Vargas in der Verdi-Oper „La forza del destino“. Das war sie sich schuldig, dass nichts dabei schief lief. Der Erfolg war wieder einmal auf ihrer Seite – sie war einfach untadelig.
Seiji hatte die Aufführung in seiner Loge mitverfolgt. Als er nach Ende des Events im ihre Künstlergarderobe kam (es hatte niemand versucht, ihn aufzuhalten), stellte er sich breitbeinig vor Valentina und fragte sie unverschämt: „Hast Du Dein Tattoo noch?“
Er machte sich über die zahlreichen Rüschen und Schleichen her, bis er ihren Körper soweit freigelegt hatte, um das Tattoo zu sehen. Er entkleidete sie völlig und sie ließ das widerstandslos mit sich geschehen. Er befahl der Garderobiere: „Wir wollen nicht gestört werden!“
Und da er der Oyabun war, rannte die Frau geflissentlich zu den Anderen, um seine Wünsche weiterzugeben. Und Seiji und Valentina vollzogen Sex miteinander – anders konnte man das nicht ausdrücken: Er entledigte auch seiner auch seiner Kleidung und ging‘s los. Er war der Dominante in ihrer Beziehung – hammerhart und brutal und drakonisch. Sie hatte kaum Gelegenheit, die Tatoos von seinen Heldentaten zu sehen.
17
Der Scheich zeigt sich ungeniert mit seiner neuen (blonden) Errungenschaft in der Öffentlichkeit. Er hatte in jener ersten Nacht mit ihr geschlafen und das war für sie Beide ein beglückendes Gefühl – er, weil er schon lange keine Frau mehr berührt hatte, und Alice, weil sie endlich eine Erfahrung machen konnte, abseits der inzestuösen Beziehung zu ihrem Vater. Halt, da war noch etwas – das Verhältnis mit einem wesentlich älteren Mann. Da kam Alice offensichtlich nicht davon los.
Er führte sie ganz stolz in die Crème de la Crème des Oman ein – sie wurde zum Gesprächsthema Nummer eins. Insbesondere die Blondheit des Objekts bedeutete immerzu einen Gegenstand des Tratsches, zumal die einheimischen Damen großteils schwarzhaarig waren – abgesehen von einigen Rotschöpfen, die als Hinterlassenschaft von versprengten Kreuzrittern geblieben waren.
Der Sultan von Oman wollte persönlich in Augenschein nehmen, was im Rahmen eines Empfanges geschah. Hier erfuhr er – außer der Farbe ihres Haares -, dass sie sich auch als Architektin einen Namen gemacht hatte. Er beauftragte sie spontan, einen ganz neuen Sommerpalast direkt am Meer zu entwerfen.
Alice machte sich bei nächster Gelegenheit an die Arbeit hinsichtlich der Planung des Palastes. Hier kam ihr zugute, dass sie seinerzeit in Wien im Rahmen ihres Architektur-Studiums eine Vorlesung über arabische Baukunst belegt hatte. Damit waren ihr die Spezifika bekannt, insbesondere was das ausgeklügelte Kühlungssystem betraf – Windtürme (sogenannte Badgirs) ermöglichten einen Durchzug ganz ohne Klimaanlage.
Soweit die Theorie. In der Praxis machten die Bauarbeiter einen Aufstand – sie wollten von einer Frau keine Befehle entgegennehmen. Das trieb kuriose Blüten. Am Ende musste ihr Scheich, als ihr Vertrauter, die Anordnungen auf Arabisch weitergeben, während sie sich auf das Englische beschränkte. Das war ohnehin effizienter, da seine Anweisungen widerspruchslos befolgt wurden.
18
Udo hatte es längst aufgegeben, nach Alice zu suchen. Er ging weiter seiner faden Beschäftigung nach, ohne Aussicht darauf, dass sich je etwas daran ändern könnte. Er sah in seiner Freizeit ebenso fade Pornos an und war davon nicht wirklich befriedigt. Er war zutiefst unglücklich.
Dann aber hatte er eine Idee! Er begann, Sport zu betreiben, konkret Laufen – hatte er noch nie in seinem Leben gemacht. Er kaufte die Ausrüstung vom Feinsten: zwei Paar Laufschuhe, einen Sommerlaufanzug und gleich einen für den Winter, zwei Stirnbänder, zwei Hauben. Er nahm sich vor, die Marathon-Distanz innerhalb eines Jahres zu schaffen. Ein ehrgeiziges Ziel, aber das wäre gelacht, wenn er das nicht zustande bringen würde.
Zunächst aber ging es darum, kleinere Brötchen zu backen. Udo hatte seine Leistungsfähigkeit überschätzt, und das gehörig. Er machte schon frühzeitig schlapp und musste immer wieder hinsetzen. Das stank ihm gewaltig – er schmiss die Laufschuhe und restliche Zeug in den hintersten Schrank.
Udo verlegte sich auf‘s Radfahren. Er war klüger geworden und kaufte sich ein ganz herkömmliches Rad, ein Herren-Trekkingrad, wo er normaler Straßenkleidung radelte. Das ging schon besser – da konnte absteigen, ein Bier trinken und dann weiterfahren. Er liebte sein Rad, immer dann, wenn es regnete oder im Winter ließ er es stehen, und benützte ein öffentliches Verkehrsmittel.
Und er hatte auch wieder Spaß an seinen Porno-Filmen. Es war ja keine Alice da, die ihm den Kopf verdrehte.