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ALICE – Leseprobe 8

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Udo Brinkmann hatte seine Berufung gefunden – das Tauchen!

Er tauchte im Winter im Hallenbad Brigittenau und im Sommer in der Alten Donau. Das wuchs sich derart zu einer Manie heraus, dass er jede frei Minute dort verbrachte in der warmen Jahreszeit bei nahezu jedem Wetter (ausgenommen ein schweres Gewitter), in der kalten Jahreszeit war er wetterunabhängig unterwegs.

Udo tauchte mit einem aus der Zeit gefallenen Bade-Stringtanga und sonst nichts – kein Taucheranzug, keine Flossen, nicht einmal eine Maske, die Augen geöffnet. Natur pur – den String trug er auch nur aus Rücksicht auf die anderen Badegäste.

Er lernte, die Luft anzuhalten – wobei er darauf achtete, in ausgeatmeten Zustand zu tauchen. Erstens, weil er sich leichter tat, grundsätzlich unter Wasser zu schwimmen, und zweitens, weil dann der Auftrieb beim Tauchen soweit gemildert war, dass seine Bemühungen nicht sofort konterkariert wurden. Das waren Erfahrungswerte, die er sich erst erst langsam (und ohne Hilfe) erarbeiten musste.

Was an sich streng verboten war – er machte es dennoch, er tauchte allein, selbst in der Alten Donau, wo es gefährlich war, und selbst in Meer, wo es doppelt gefährlich war. Er fuhr in seinem Urlaub ganz gerne nach Rhodos, seligen Andenkens, wo er mit Valentina und Alice seinerzeit glücklich gewesen war – und nunmehr als einsamer Taucher zugange war. Was da alles passieren konnte – auf dem menschenleeren Strand von Kalathos.

Udo schwamm weit hinaus, sodass man ihn vom Ufer kaum mehr sehen konnte. Und dann tauchte er, bis zu einer Tiefe von fünf Metern, wo er sich an einem Felsen festhielt und gar nichts dachte – für sieben Minuten. Das war sein momentaner Rekord in zweierlei Hinsicht, und zwar sowohl, was erreichte Tiefe, als auch, was die Minuten unter Wasser betraf. Er konnte sich nicht losreißen. Er wartete bis zum letzten Augenblick.

Dann legte er die doch sehr lange Strecke an den Strand zurück und fiel auf das Gesicht und rührte sich nicht mehr. In der Folge, nach einer sehr langen Zeit, raffte er sich auf. Die Heimreise stand an…

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Der Scheich Chalid und Alice Brinkmann waren in Wien eingetroffen. Sie hatten standesgemäß im Hotel Sacher Quartier genommen. Der „ehrenwerte“ Gast und seine Begleiterin wurden empfangen wie Könige – sie vermuteten zurecht, dass jedem Besucher das gleiche Service geboten würde.

Aber deswegen waren sie nicht hier, sondern Udo Brinkmann zu besuchen. Sie gingen also in die Börsegasse, wo ihnen ein völlig überraschter Bewohner die Tür öffnete.

„Sie sind Alices Vater!“, sagte Chalid. Sie waren im gleichen Alter, ungefähr sechzig. Sie verstanden sich auf Anhieb gut miteinander, was Alice mit gemischten Gefühlen zurückließ. Einerseits freute es sie, dass das Zusammentreffen gut verlaufen, andererseits hatte sie ihre Bedenken, was die Kontakte zweier Alpha-Männchen für sie bedeuten würde – immerhin hatte sie mit Beiden schon sexuell miteinander verkehrt.

Die beiden Machos verstanden nach Alices Geschmack zu gut. Sie behandelten sie plötzlich wie ein kleines Mädchen und nicht wie eine Frau von fünfunddreißig Jahren. Das brachte sie ungeheuer auf: „Jetzt werde ich mir einen flotten Zwanziger suchen, bei dem ich mein Glück als Ältere finden werde. Ihr zwei Alpha-Männchen könnt‘ sehen, wo Ihr bleibt!“

Stand auf und ging in‘s Hotel. Dort traf sie auf Valentina, ihre Mutter, die zufällig an Wiener Staatsoper die Rolle der Mimì in der Puccini-Oper „La Bohème“ sang. Alice sagte, dass sie grade von einer unschönen Szene in der Börsegasse gekommen wäre, wo ihr Vater und ihr Freund, der Scheich Chalid (sie musste ihr gelegentlich von ihm berichten) zusammengetroffen waren und sie hatten wie ein kleines Mädchen behandelt. Darauf war sie in’s Hotel geflüchtet.

„Ich nehme an Dein Freund ist schon etwas älter.“, sagte Valentina, die auch im Hotel Sacher abgestiegen war. – „Das stimmt – mein Vater und Chalid sind ungefähr im gleichen Alter!“ – „Autsch!“, war die Antwort.

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Valentina amüsierte sich – das war zwar nicht der richtige Zugang zu dem Problem, aber das tat ihrem Amüsement keinen Abbruch. Sie hatte folgendes Beispiel in petto:

„Der Regisseur der gegenwärtigen Aufführung findet, dass meine Wenigkeit langsam ein bisschen zu alt für die Mimì ist. Derselbe Regisseur hatte aber nichts dagegen, wenn ich in Frankfurt in der „Salome“ völlig nackt vor mein Publikum getreten bin – ganz abgesehen vom meiner hüllenlosen Performance im „Playboy“ unlängst, wo er sich (und wusste ich aus sicherer Quelle) bei meinem Anblick begeilt hat. Da passen ganz gut die Erlebnisse mit Deinem Vater und Deinem Freund hinein. Sind eben Machos durch und durch
„Ja, aber was habe ich ihnen denn getan?“, fragte die Tochter weinerlich. – „Männer sind eben so, wie sie sind!“, antwortete die Mutter in einem Anflug von Weisheit.

„Erzähl mir von Deinem Scheich!“, fragte Valentina neugierig. – „Er ist im Normalfall lieb und fürsorglich, wenn ich den Fehler begangen hätte, ihn mit Udo zusammenzubringen!“ – „Das war allerdings ein sehr schwerer Lapsus, den ich bitte, schleunigst wieder gutzumachen, indem Du Deinen Vater nahelegst, sich ganz aus Deinem Leben herauszuhalten! Ich sage das aus Überzeugung! Nimm mich als Exempel – ich habe mich vollständig von ihm gelöst! Das ist die einzige Möglichkeit!“

„Aber was wird dann aus ihm!“ – „Das soll nicht Deine Sorge sein. Außerdem hat er ein neues Hobby (wie ich höre)…“ – „Woher hörst Du solche Sachen!“, fragte die Tochter dazwischen – keine Antwort! – „… das Tauchen! Hoffentlich ertrinkt er nicht dabei – Du kennst ihn ja, wie stur er ist. Er taucht allein!“

„Zurück zu Deinem Scheich – ich nenne ihn einfach so…“ – „Ich liebe ihn!“ – „Dann halt ihn fest!“, war die Antwort der fürsorglichen Mutter.

Der Angesprochene kam gerade zur Tür herein – Alice küsste ihn ganz überschwänglich.