ALICE – Leseprobe 9
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Udo Brinkmann zeigte sich wieder einmal auf der Alten Donau – in einer Zille, das war ihm das Liebste, keine Plätte, kein Tretboot und schon gar kein Elektroboot. Er hatte die Zille bei der Bootsvermietung Neuer eingestellt, was den Vorteil beinhaltete, dass sich jemand um das Drumherum kümmerte (wozu namentlich die Überwinterung gehörte).
Nun aber war er im Sommer unterwegs zu einer besonders tiefen Stelle der Alten Donau – wo er bis zu fünfzehn Meter hinunter konnte. Das ermöglichte ihm, seinen bisherigen Rekord von fünf Metern schrittweise zu erweitern – es war ihm gelungen, bis auf zehn Meter zu kommen. Dafür war es notwendig, die Zeit, die er unter Wasser verbrachte, auszuweiten – sein bisheriger Rekord war sieben Minuten. Er weiterte schrittweise bis auf sechzehn Minuten – und, mühselig genug, auf zwanzig Minuten.
Da fiel in‘s Boot und war komplett erschöpft, aber glücklich, dass er es geschafft hatte. Er brannte darauf, diesen Rekordversuch bei seinem nächsten Urlaub zu wiederholen. Es ging wieder nach Rhodos (wie könnte es anders sein).
Der nächste Urlaub war noch weit – in drei Monaten. Bis dahin musste Udo sich mit der Alten Donau begnügen. Er wurde immer waghalsiger, setzte jede Vorsicht außer Kraft. Er hatte einen Stein auf dem Grund entdeckt – in ungefähr vierzehn Metern Tiefe, den wollte unbedingt erreichen. Er ging an‘s Limit.
Nach zahlreichen Versuchen (die ihn von Mal zu Mal mehr ermüdeten) brachte er es zustande, an den Stein zu gelangen. Da musste er sage und schreibe zweiundzwanzig Minuten unter Wasser verbringen – es wurde ihm ganz anders, aber er achtete nicht darauf. Das war ein Anblick – er in seinem String, mit weit herausgefahrenen Penis, was die normale physiologische Reaktion auf langes Schwimmen unter Wasser war.
Udo war groggy, als wieder in‘s Boot stieg und sich halb tot hinlegte. Er dachte eine Zeitlang gar nichts mehr.
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Alice war glücklich. Chalid hatte sie gebeten, seine Frau zu werden. Sie war überglücklich – zumal er ein großes arabisches Fest plante, mit Aufnahme in den Familienverband der Machzums, ehrenhalber.
Sie waren längst zurückgekehrt in Chalids Heimat in seinen palastähnlichen Landsitz außerhalb der Hauptstadt Muskat, wo bereits umfangreiche Vorbereitungen für die Hochzeit im Gange waren. Scheich Chalid ließ sich nicht lumpen – er hatte für seine Nichten (zwei an der Zahl, Alisha – die Prinzessin – und Aliya – die Erhabene) ein Legat errichtet, das sie jeglicher Zukunftssorgen enthob. Dafür hatten die Beiden gerne bereiterklärt, sozusagen als Aufputz für Zeremonie zur Verfügung zu stehen.
Valentina war auch zugegen – für sie hatte man ein grünes bodenlanges Kleid bereitgelegt, während die Mädchen sich für dunkelrote Roben, ebenfalls bodenlang, entschieden. Ein traumhaftes, ganz in Weiß gehaltenes Hochzeitskleid war für Alice Brinkmann vorgesehen. Für Scheich Chalid ibn al-Walid ibn al-Mughira ibn Abdallah ibn Umar ibn Machzum war ein weißer Unterrock und ein braunes Gewand geplant. Jedem geschätzt fünfhundert Gäste stand es frei, ein Outfit zu wählen – nur bunt musste es sein, quer durch die Farben des Regenbogens.
Und dann ging eigentliche Festlichkeit los. Am Vorabend wurde der traditionelle Hennaabend abgehalten – und der war eine reine Frauenfeier. Die Braut und ihre weiblichen Gäste werden mit Henna bemalt, um Glück und Fruchtbarkeit zu symbolisieren. Die Feierlichkeiten können sich über mehrere Tage erstrecken und sind oft opulent und aufwändig gestaltet.
Es galt nicht (wegen der europäischen Herkunft der Braut), dass Männer und Frauen oft getrennt oder in verschiedenen Räumen feierten. Es gab reichlich Essen und Getränke, Musik und Tanz, und die Dekoration waren sehr aufwendig und farbenfroh. Die Braut und der Bräutigam wurden oft von Musik und Tanz begleitet in den Festsaal eingeführt.
Post festum waren Alice und Chalid allein. Da sie nicht das erste Mal das Vergnügen miteinander gehabt haben, verlief die Schlafszene ohne größere Zwischenfälle ab. Sie achtete darauf, dass er nicht überfordert wäre, und er dankte es ihr auf seine Weise, indem er einen lange anhaltenden Ständer aufwies. Danach schlief er ohne Zögern ein, während sie noch ihren Gedanken nachhing.
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Valentina war schon wieder dahin – in London, wo sie sich besonders gern war, auf Grund der unkonventionellen Art der Engländer, in die Dinge heranzugehen. Du konntest halbnackt durch Straßen gehen, und es würde keiner der übrigen Passanten Notiz von Dir nehmen. Einen solchen Typen lernte sie zufällig in einem „Fish ’n’ Chips“-Lokal in der Oxford Street kennen.
Es war ein ziemliches Gedränge, sodass er an ihrem Tisch dazugequetscht wurde. Er war zwar nicht halbnackt, aber unkonventionell gekleidet in seinem Overall. Er stellte sich als Lord Cheltenham vor – „Valentina“, war die kurze, abweisende Antwort. Sie trug ein kurzes orangefarbenes Outfit.
Der angebliche Lord ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Er fragte weiter: „Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht – Valentina, das ist doch ein italienischer Name?“ – „Ich bin Österreicherin!“ – „Was machen Sie beruflich?“ – „Sängerin!“
„Wie jetzt? Ich schätze, dass Sie im Pop-Geschäft arbeiten?“ – „Nein, falsch geraten – ich bin Opernsängerin!“
Cheltenham war perplex.
„Kommen Sie in meine Aufführung, im „Royal Opera House“ – wenn Sie überhaupt noch Karten erhalten!“ – Der Lord schmiss sich in Position: „Für einen Cheltenham sollte das kein Problem darstellen!“
„Dann ist ja alles in Ordnung!“, sagte Valentina süffisant. Sie verabschiedete sich.
War sie total bescheuert – nach Yamamoto schon wieder so ein Vogel, der ihr nicht ganz geheuer zu sein schien. Dabei waren sie anfangs ganz zivilisiert, bevor sie ihren wahren Kern hervorkehrten. Victoria mahnte sich selbst zur Besonnenheit, wenn darum ging, alle Männer in einen Topf zu werfen – trotz der miserablen Erfahrungen, die selbst mit ihnen gemacht hatte. Sie hoffte immer noch auf ein Wunder!
Der Lord Cheltenham war mutmaßlich ganz einfühlsam und empathisch!