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Rauscher schrieb im „Standard“

„Was in einem zivilisierten Land möglich ist“

Kolumne Hans Rauscher 25. November 2016, 16:53

Die von der EU vertretenen Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Medienfreiheit, Nichtdiskriminierung oder Integration werden von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr geteilt

Kanzler Kerns Speed-Dating mit Heinz-Christian Strache muss nicht groß analysiert werden. Es ist ein Versuch, etwas Neues zu probieren, um dem FPÖ-Aufstieg beizukommen. Zur Abwechslung einmal freundliche Nasenlöcher („Gehen wir doch nachher auf ein Bier“) statt harter Abgrenzung. Schließlich wollen auch viele SPÖler nicht, dass man da so streng ist, extremer Rechtspopulismus hin oder her. Denn Klarheit ist irgendwie unösterreichisch. Wenn es funktioniert, sprich, wenn genügend FPÖ-Wähler zur SPÖ zurückgeholt werden können, dann hat es funktioniert. Wenn nicht, ist Christian Kern in einem zentralen Punkt gescheitert.

Wenn dann aber die FPÖ die Macht übernimmt, wird Österreich nicht wiederzuerkennen sein. Die Strache/Hofer-FPÖ strebt eine Führerdemokratie an, eine Abkehr von der liberalen Demokratie. Völkisch, nationalistisch, intolerant, antieuropäisch. Sie hat den Rückenwind der erfolgreichen extrempopulistischen Bewegungen in Europa, und jetzt auch in den USA.
Wie schnell das gehen kann und wie unumkehrbar plötzlich die Situation sein kann, zeigt ein Buch, das zur rechten Zeit erscheint: Orbáns Ungarn von Paul Lendvai. Viktor Orbán herrscht in Ungarn unumschränkt. Er hat sich mit wenigen Ausnahmen alle Institutionen des Staates, die Medien, das Geistes- und Kulturleben etc. einverleibt. Und zwar innerhalb von sechs Jahren. Am Anfang stand ein fulminanter Wahlsieg 2010. Dann kassierte Orbán mit großem demagogischem Geschick eine Bastion der liberalen Demokratie nach der anderen ein. Die von den Vorgängerregierungen ge- und enttäuschten Ungarn ließen es geschehen.

Die Institutionen bei uns sind stärker. Aber die FPÖ ist ein Meister der rechtspopulistischen Demagogie, der Zeitgeist der unzufriedenen Wutbürger in Verbindung mit der Schwäche der traditionellen Mitte-links-/Mitte-rechts-Parteien kommt ihr zu Hilfe.

Wenn Hofer Bundespräsident wird (wozu Kern jetzt beigetragen haben dürfte), gibt es kein Gegengewicht in der Hofburg. Eine schwache ÖVP als Juniorpartner wird der Eroberung der Institutionen (etwa des ORF) durch die Freiheitlichen nicht viel entgegensetzen. Justiz und Polizei sind schon recht stark blau unterwandert. Die Krone wird sich mit Begeisterung an ständigen Kampagnen beteiligen, um per Volksabstimmung die Rechte von Flüchtlingen und „Ausländern“ zu beschneiden.

Bei der Präsentation von Lendvais Buch im Kreisky-Forum sagte Altkanzler Franz Vranitzky, man solle sich nicht darüber täuschen, was „in einem zivilisierten Land alles möglich sein kann“. Auch anderswo in Europa würden die von der EU vertretenen Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Medienfreiheit, Nichtdiskriminierung oder Integration von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr geteilt.

Der derzeitige Mann im Kanzleramt, Christian Kern, beantwortet die rechtspopulistische Bedrohung mit einem Wechsel in der Taktik gegenüber der FPÖ. Das sollte besser nicht schiefgehen, denn dann hat die Sozialdemokratie ausgespielt.