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BERENICE Zusätzliche Leseprobe

KAPITEL 109

Sir Percy Blakeney, ein Nachfahre des berühmt-berüchtigten Scarlet Pimpernel, hatte von seinen Eltern aus einer Laune heraus wiederum diesen über 200 Jahre hinweg in seiner Dynastie verpönten Vornamen erhalten. Er war ein Jugendfreund Cheltenhams, wenn man das so nennen kann: Es ist nämlich nicht wirklich Freundschaft, was da in den Eliteschulen und –universitäten Englands als Keim der späteren Old Boys Networks gezüchtet wird, eher eine Art Geschäftsbeziehung, durchaus adäquat jenem nüchternen Verhältnis, das dort sogar Eltern und Kinder miteinander pflegen.

SIR PERCY:
Erinnerst du dich noch, wie wir die Welt verändern wollten?

??? (so leicht ließ sich Sir Basil nicht in ein Gespräch verwickeln, schon gar nicht, wenn er in seinem Preferred Club saß und in Ruhe in sich selbst versinken wollte, weil Berenice ihn endlich einmal für einen Nachmittag aus ihrer Obhut entlassen hatte – selbstverständlich nicht, ohne mich, seinen Koori-Freund hinter ihm herzuschicken, mit dem Auftrag, ihn unauffällig zu überwachen, was allerdings angesichts meiner Hautfarbe in den exklusiveren Zirkel Londons nicht ganz einfach war).

SIR PERCY:
Und hast du in diese Richtung etwas unternommen?

???

SIR PERCY:
Ich schon – besuch mich doch gelegentlich, und ich zeige dir alles.

Sir Basil war neugierig, keine Frage. Da war doch glatt einer, der wie er selbst das Bedürfnis verspürte, Großes in Bewegung zu setzen… aber natürlich wollte er Percy nicht gleich offenbaren, dass er seinerseits keineswegs in der Theorie steckengeblieben war – für seine alten Kommilitonen gab es ja nur den Cheltenham, der eine eher langweilige Militärkarriere durchlaufen hatte (die einen bei der Royal Army gleichwohl nach Asien, in die USA und in diverse arabische Länder hatte führen können).

Einerlei – er war naturgemäß aufs Äußerste gespannt, Näheres zu erfahren. Dessenungeachtet versetzte er bloß lakonisch: „Ich bekomme nicht so viel Ausgang, daher muss ich mir meine Zeit genau einteilen!” (Percy sah dabei aus, als müsste er auf der Stelle loslachen – Basil merkte es deutlich). Da spielte er doch den Unbedarften, der unter Kuratel stand, obwohl er insgeheim längst das Gefühl hatte, sich wieder freispielen zu können, wenn er es nur geschickt anstellte.

SIR PERCY:
Dann verwende doch wenigstens einen deiner kostbaren Freigänge für mich – ich bitte dich!

Cheltenham freute sich diebisch: Wie in alten Zeiten war es ihm gelungen, den Gegner schon beim ersten Schlagabtausch ins Hintertreffen zu bringen, ohne dass dieser überhaupt etwas davon merkte. Percys sarkastisch-gönnerhafter Ton ließ klar den tödlichen Fehler erkennen, den er im Begriff war zu begehen – nämlich Basil zu unterschätzen.

Cheltenham zeigte keine Eile. Als er aber vor Percys abgelegenem Landsitz in Northumberland erschien, geschah es überraschend (und, nebenbei bemerkt, in meinem heimlichen Beisein, mit Billigung Berenices, die ebenfalls wissen wollte, was dort lief). Die Wachen, die ständig den Park umrundeten und Sir Basil aufgriffen, waren üble Gorillas, die nicht einmal ein ordentliches Englisch verstanden, geschweige denn sprachen. Gott allein weiß, dachte unser Baronet, in welchem Winkel der Erde ihr Herr sie aufgelesen haben mochte – er vermutete, dass sie Jakuten waren (womit Percy, das musste man neidlos anerkennen, eine kluge Wahl getroffen hatte, denn mangels Rückkehrmöglichkeit ins feindliche Chinesische Reich blieb ihnen gar keine andere Wahl als treue Ergebenheit).

Als Sir Basil unsanft vom Anwesen weggewiesen werden sollte, protestierte er heftig und verlangte, vor den „Chef? gebracht zu werden – und da kam dieser auch schon raschen Schrittes, alarmiert durch den Burschen, der im Keller des Hauptgebäudes vor einer ganzen Galerie von Bildschirmen saß und auf diese Weise den Vorfall mitbekommen hatte. Elegant war er anzusehen, der Deszendent Scarlet Pimpernels, fast asketisch hätte man ihn nennen können, schlank und schwarz gekleidet, das von der hohen fliehenden Stirn zurückgekämmte Haar in einem Schwänzchen auslaufend. So überrascht er auch sein mochte und so wenig ihm der spontane Besuch möglicherweise in den Kram passte – anmerken ließ er sich nichts, begrüßte seinen Gast herzlich und bat ihn hinein. Brandy wurde gereicht.

SIR PERCY:
Ursprünglich habe ich hier an einem Computer-Programm gearbeitet, mit dem schlagartig alle Aufzeichnungen über sämtliche Besitztümer dieser Welt zu löschen waren: alle Konten, Depots, Schuldenstände, grundbücherliche Eintragungen und anderes mehr sollten nichtig werden.

Cheltenham sah fasziniert das verräterische Funkeln in Percys Augen. Einer jener Wahnsinnigen! dachte er bei sich: Der eine hält sich für den Messias, der andere für Robin Hood. „Und?” fragte er laut, „wann ist es so weit?”

SIR PERCY:
Zu kompliziert! Falscher Ansatz, ganz falscher Ansatz! Weißt du auch, warum? Zu viele Dominosteine müssen in der richtigen Reihenfolge kippen, um das komplette Desaster zu erzeugen – das hat keinerlei Reiz, denn die Betroffenen würden nicht einmal wissen, wie ihnen geschieht…

„… vor allem aber, wenn sie es ahnten, mein lieber Percy, und in globalem Einverständnis einfach so täten, als sei überhaupt nichts geschehen, würde dein vernichtender Schlag völlig ins Leere gehen!”

Der entgeisterte Blick Blakeneys sprach Bände: Offenbar war er wie schon dereinst nicht gewohnt, mit einem schärferen Verstand als seinem eigenen konfrontiert zu werden. Dialektik war schließlich schon damals an der Universität nie seine Stärke gewesen, hingegen lagen seine Fähigkeiten eher auf dem Gebiet enormer Gedächtnisleistungen, einer gewissen Beharrlichkeit und einer Reihe diabolischer Assoziationen, die er jederzeit abrufen und mit denen er jede Banalität in eine geheimnisvolle Aura kleiden konnte. Plötzlich ging Sir Basil ein Licht auf: Die Jakuten waren vielleicht gar nicht Percys Beschützer, sondern seine Bewacher im Auftrag jemandes ganz anderen.

„Was hörst du übrigens von Miss Dan?” schoss er aufs Geratewohl seine Frage ab. Er spielte darauf an, dass die heutige Grosse Vorsitzende einst ein Gastsemester in England verbracht hatte, wo sie zufällig den beiden Herren (als Mitgliedern einer akademischen Prüfungskommission) begegnet war.

SIR PERCY:
Hab sie einige Zeit nicht gesehen, alter Junge!

Also doch jedenfalls lange nach der Universitätszeit! Blakeney war auf den plumpen Trick hereingefallen und hatte seine wahre Connection verraten!

Aber auch Sir Basil war eindeutig aus seiner Deckung hervorgekommen. Nun konnte er sich nicht mehr weigern, alles zu erfahren und musste sich damit an Percys Schicksal in einer Weise binden, wie er es eigentlich so direkt nicht beabsichtigt hatte. Er erkannte dadurch aber auch, wie sehr die Walemira Talmai schon wieder im Hintergrund die Fäden zog, denn er war im Nu in eine Rolle gedrängt, aus der es nur schwer ein Entrinnen gab – wenn überhaupt, dann mit Berenices Hilfe.

Percys PLAN A trug den Titel MULTIPLICATION: Er beabsichtigte, sich in die Zentralcomputer der wichtigsten Notenbanken der Welt einzuhacken: die Passwörter waren längst geknackt. Dort wollte er die Refinanzierungslinien der Geschäftsbanken mit einem Schlag vervierfachen, was umgehend eine Hyperinflation auslösen würde. Natürlich, führte Sir Percy aus, müssten die Weltfinanzkapitäne ziemlich bald merken, was gespielt wurde (das machte einen Teil des Reizes aus!), aber nicht das Geringste dagegen unternehmen können, denn je mehr sie um sich schlügen, desto rascher, tiefer und sicherer würden sie in die Katastrophe hineinschlittern. Das neugeschaffene Geldvolumen musste sich in ganz kurzer Zeit im Wirtschaftskreislauf verteilen, dergestalt, dass eine ungeheure und nicht befriedigbare Nachfrage nach Gütern und Leistungen entstünde, in deren inflationären Strudel jegliche sinnvolle und zielgerichtete Aktivität ihren Sinn verlöre.

PLAN B (GREAT DECLINE) war ebenfalls nicht uninteressant. Percy hatte bereits einen Feldversuch organisiert, in einer nicht näher bezeichneten englischen Grafschaft. Ziel war es, durch das Lancieren schlechter Nachrichten Verweigerungshaltungen bei den unselbständig Beschäftigten respektive privaten Haushalten zu bewirken, die einen massiven Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität zur Folge hätten. Die Stoßrichtungen waren: möglichst wenig zu arbeiten, als Folge möglichst wenig zu verdienen, vor allem aber möglichst viel zu sparen. Cheltenham besaß ausreichend Phantasie, um sich auszumalen, was es für seine eigene Gutsherrschaft, die nun – wie man hörte vorbildlich – von Charlene verwaltet wurde, bedeuten müsste, wenn diese nihilistische Philosophie um sich griff. Er hing ein wenig diesem Gedanken nach, doch sein Gegenüber war bereits einen wesentlichen Schritt weiter.

SIR PERCY:
(geheimnisvoll) Und PLAN C nennt sich PANDORA?S BOX und ist bereits voll angelaufen!

Aber davon wollte er Cheltenham nichts verraten – noch nicht, wie er betonte, bis er die Verlässlichkeit seines alten Freundes auf die Probe gestellt hatte, worin auch immer eine solche bestehen konnte. Was er allerdings nicht ahnte, war, dass die Überlegungen seines Gastes aufgrund des eher vordergründigen Projektnamens einerseits und infolge einer sehr ausgeprägten Fixierung Basils auf ein bestimmtes Thema andererseits bereits begonnen hatten, in die richtige Richtung zu galoppieren.

SIR PERCY:
(verbindlich lächelnd, was in seltsamem Gegensatz dazu steht, dass er das Gespräch seinerseits völlig zum Erliegen gebracht hat, aber bei PANDORA’S BOX übermannt ihn immer wieder die Bewunderung für seine eigene Genialität) Ich war natürlich nicht der Lowbrow, als den mich mein lieber Freund hinstellen wollte. Meine Informationsketten reichten ganz nah an ihn heran, wie Plan C deutlich beweist. Dieser besteht in einem neuerlichen Öffnen des anderen Universums (dessen Existenz mir entgegen Basils Meinung bekannt war) an Stellen, die für die Administratoren Romuald und Lijaifsxy (ebenfalls keine No-Names für mich) nicht kontrollierbar waren, anders als der Übergang im Labyrinth unter Cheltenham House (auch von diesem wusste ich seit langem).