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Willkommen

Werner Schicklgruber

Das hier abgdruckte Gedicht wurde vor vielen Jahren im Zuge der damals aktuellen Dialektwelle geschrieben. Es handelt sich um eine Neudeutung des Pink Floyd-Klassikers „Welcome to the Machine“. Es lautet:

Seavas in da maschin

Seavas, bua, seavas in da maschin!
Wo woast’n? Is scho guad,
mia kennan uns scho aus:
Woast aufm weg zu uns mid a boa extraturn,
wäu a zeidlaung deaf a jeda glaum,
das’s bei eam aundas sei wiad!
Owa jezd kumm eina:
Seavas, seavas in da maschin!

Seavas, bua, seavas in da maschin!
Wos hosd’n dramd? Is guad,
mia wissn, wos des woa.
Hosd dramd am weg zu uns mid fantasie,
dasd schee und reich und gscheid sei wiasd,
das’s bei dia aundas sei wiad!
Owa jezd kumm eina:
Seavas, seavas in da maschin

Ich begrüße damit die heurigen Schulabgänger im Berufsleben mit der Aufforderung, den kritischen Kopf oben zu behalten.

Die Entwicklung der realen Welt läuft der intellektuellen Interpretation derselben davon: es handelt sich dabei offenbar um ein Zeichen gravierender Spannungszustände der bestehenden Gesellschaftsordnung. Charakteristisch für die Situation scheint vor allem zu sein, daß die politischen Gruppierungen im engeren Sinn – selbst solche, denen eine unzweifelhafte Redlichkeit unterstellt werden darf – hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Welterklärung an einem Tiefpunkt angelangt sind. Für das einzelne Wirtschaftsunternehmen, das nicht zuletzt auch als Mitspieler in der sozialen Arena agiert, hat diese Diagnose tiefgreifende Konsequenzen: Neben die übliche ökonomische Unsicherheit, in der die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden müssen, tritt die neue Dimension einer ausgeprägten metaökonomischen Unsicherheit. Das bedeutet die Beschäftigung mit Themen, die bis jetzt normalerweise nicht Gegenstand der betriebsinternen Diskussion waren.

Die wesentlichen gesellschaftspolitischen Konzepte unserer abendländischen Welt (das bisherige politische Osteuropa miteingeschlossen) stammen aus einer immer ferneren Vergangenheit. Bis heute, nahezu am Ende des 20. Jahrhunderts, hat sich kein geistiges System herausgebildet, das autochton in Bezug auf diese Epoche wäre bzw. adäquat wäre dessen spezifischem Phänomen: das ist die ungeheure technologische Expansion, in der das Instrument Technik zuletzt sogar zum Ziel des Fortschritts umgeschlagen ist. Die Verfangenheit in traditionellen Denkmustern, gepaart mit einem Handwerkszeug, das praktisch dazu ansetzt, die menschliche Natur- und Kulturgeschichte umzuschreiben, hat der bestehenden Gesellschaftsordnung ihre eigene Dynamik aufgezwungen und sie damit unter größten Stress gesetzt.

Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Wohlstandsdiskrepanzen, Verschuldungsproblematik usw. sind unter diesem Ansatz Symptome der Spannung, nicht ihre Ursachen, wie vielfach ebenso hartnäckig wie fälschlich behauptet wird. Im Kern steht das Bestreben, ohne Rücksicht auf Nebenbedingungen und vor allem auf die zentralen Bedürfnisse des Individuums alles zu realisieren, was realisierbar ist: das Spiel, das in der Präkondition des Menschen eine Sublimation realer Erlebnisvorgänge darstellt, ist durch die Unachtsamkeit des Spielenden aus dem Sandkasten entkommen und macht die reale Welt unsicher.

Das 19. Jahrhundert symbolisiert festgefügte Ordnungen verschiedener Ausprägung, deren aufeinanderfolgende empanzipatorische Ablösung sich in unserem Jahrhundert – teilweise mit grauenerregenden Erscheinungsformen – fortgesetzt hat. Ihr Erklärungswert für die Realität unserer Zeit hat aber offenbar deutlich abgenommen. Das Problem liegt im schon angesprochenen Fehlen einer geistigen Systematik, die einer (durch die Technologie geschaffenen) faktischen Weltgesellschaft gerecht werden könnte: einer Systematik also, die den technologischen Standard an den Individualbedürfnissen – die natürlich in vielen Bereichen auch Gruppeninteressen sein werden – relativieren könnte. Damit soll nicht einer völligen Rückkehr der Zivilisation auf den Status der seit Jahrtausenden kaum veränderten Physis und Psyche des Menschen das Wort geredet werden: Das extremistische Prinzip „Zurück zur Natur“ war bereits zur Zeit seiner Formulierung lächerlich und ist es dementsprechend heute mehr denn je. Robinson Crusoe hat längst begonnen, mit den benachbarten Inseln Handel zu treiben, und es gibt keine sozialromantische Umkehr.

Der pragmatische Ansatz im Sinne eines Zurechtrückens der Relationen liegt in einer dialektischen Auflösung des Entfremdungszustandes zwischen dem Schöpfer der Kultur (der dabei persönlich ein Teil der Natur geblieben ist) und seiner Schöpfung (dem reinen Artefakt, das grossteils anderen Gesetzmäßigkeiten folgt als die Natur). Das Instrument des Menschen als körperlich-geistiger Ganzheit im Umgang mit einer ihn physisch nicht gerade begünstigenden Natur ist nun einmal Technologie, und es geht nicht um deren Abschaffung, sondern um die Definition der Methoden und Grenzen der Technologie. Einfach dadurch, dass nicht den l’art pour l’art erzeugten Problemlösungen fiktive Problemstellungen vorangesetzt werden, sondern dass umgekehrt – wissenschaftstheoretisch und wissenschaftsethisch haltbar – die Lösungsqualität einzig und allein eine Funktion der autonom formulierten Problemstellung ist.

Da die Problemstellungen – es wäre allzu naiv, dies zu leugnen – in der Regel äußerst komplex zu sein pflegen (und zwar nicht nur wegen der Vernetzung des Systems, sondern vor allem wegen der Vielfalt der involvierten Bedürfniskategorien), ist die Formulierung von Problemen eigentlich nur in einem demokratischen Prozess von hoher Reife möglich. Weil aber diese Bedingung nicht oder jedenfalls nicht ausreichend gewährleistet ist, stellt sie selbst bereits das erste und wichtigste Problem unserer Gesellschaft dar. Die Lösung – wie könnte es anders sein, eine Anforderung an die menschliche Technologie, im besonderen Fall an die Organisationstechnologie – liegt in einer Verbreiterung und Abflachung der bestehenden Hierarchien, gemeinsam mit Maßnahmen zur Vertiefung der demokratischen Bildung auf allen hierarchischen Ebenen: Die Sichtweise der Aufklärung (dass nämlich die Verfügungsgewalt in einem sozialen Gebilde von „unten“ nach „oben“ delegiert wird) setzt voraus, dass erstens die Delegierenden im Stand des Wissens darüber sind, was sie da tun und wie sie die Delegierten sinnvoll beauftragen und richtig kontrollieren können; und dass zweitens die Delegierten im Stand des Wissens um die längerfristigen Bedürfnisse der Delegierenden sind und dass ihre eigene Qualifikation an diesem Wissen (und nicht an Wahlsiegen) zu messen ist.

Verlangen wir hier nicht zuviel? Steckt dahinter nicht schon wieder die Forderung nach dem „neuen Menschen“, dessen Praxis sich an der sprichwörtlichen grauen Theorie orientieren soll? Im Gedanken an die Opfer aller Ideologien, die ihre Dissidenten durch Exkommunikation, wirtschaftliche Vernichtung oder physische Auslöschung ausgegrenzt haben, sollten wir innehalten.

Und dennoch (der jahrtausendealte Traum): wer oder was hindert uns eigentlich daran, die Welt lebenswert zu machen? Wie kann ohne Zwang, der die Lebensqualität des einzelnen von vornherein schmälert, ein Fortschritt in diese Richtung erzielt werden? Dazu eine Beobachtung: Der Mensch, wann immer er sogar das eigene Leben zugunsten seiner Freiheit zur Disposition stellt, kann nicht unter fremde Ziele gezwungen werden. Er ist aber in der Verfolgung selbstbestimmter Ziele unter größten Entbehrungen zu Höchstleistungen fähig. Und dies gilt interessanterweise nicht nur für die Inselsituation, z.B. also für den einsamen Bergsteiger, sondern auch für Situationen, in denen Einzelegoismen gebündelt werden, d.h. auch für die ganze Seilschaft.

Das Rezept lautet: Motivation. Wo sich der Mechanismus zentralistischer Kommandostrukturen selbst unter hohem Druck auf der Stelle bewegt, weil keine Sinnvermittlung mehr möglich ist, hilft die sanfte Kraft der Motivation. Wo komplexe Situationen „dezentrale Intelligenz“ erfordern, kann diese nicht auf Befehl, sondern nur durch Überzeugungsfähigkeit geschaffen werden. Aber Vorsicht: Intelligenz denkt auch und lässt sich nicht mehr abstellen; dieser Zug fährt ohne Notbremse.

Motivation als Schlagwort findet sich in so manchem feierlich verabschiedeten Unternehmensleitbild. Wenn sie allerdings die normale Art zur Verbreitung von Ideen und Steuerungsimpulsen im Unternehmen sein soll, braucht sie die veränderte (breitere und flachere) Organisationsform, braucht sie weiters Mitarbeiter, die in der veränderten Organisationsform vollwertige und bewusste Partner sein können (und dürfen!). Und selbst das nützt noch gar nichts, wenn das Unternehmen nicht beginnt, das Bekenntnis zu diesen Prinzipien hinauszutragen in die nähere Öffentlichkeit der Geschäftspartner sowie in die große Öffentlichkeit von Staat und Gesellschaft – im Rahmen einer wohlverstandenen politischen Verantwortung, von der sich niemand ausschließen kann.

Motivation hat vor allen Dingen eine zielgerichtete, zeitliche Dimension. Das Geheimnis unseres Zeitverständnisses besteht gerade darin, dass im nächsten Augenblick, irgendwann oder schlussendlich etwas geschehen kann, was unsere Aktivitäten hinfällig macht oder gar beendet, dass wir aber ungeachtet der versiegelten Zukunft perspektivisch handeln, vergleichbar dem Steuermann, der mit seinem Schiff einem Platz jenseits des Horizonts zustrebt.

Physisch trägt der Mensch das Erbe der Primatenfamilie in sich, deren Nackenhaare sich sträuben, wenn sie sich über die Leere des Ungewissen beugen. Sein Verstand ermöglicht es ihm aber als Einzigem aus der biologischen Verwandtschaft, dieses Ungewisse durch konkrete Hypothesen operabel zu machen. Dadurch, dass es ihm gelingt, irreale (also z.B. zukünftige) Situationen als real zu definieren, sind sie auch real (d.h. beeinflussbar) in ihren Konsequenzen – man denke nur an das Phänomen der selbsterfüllenden oder selbstzerstörenden Prognose. Womit wir uns trotz dieser hervorragenden Ausstattung schwer tun, ist die ungeheure Verästelung des Systems, die wir selbst bewirkt haben und die auch zwangsläufig aus der Gegenwart in die Zukunft hinüberwächst.

Die zumindest teilweise undurchschaubaren Zusammenhänge scheinen vieles inoperabel zu machen, was wir theoretisch beherrschen könnten. Wer von dieser Ausgangslage her Inaktivität predigt, ist allerdings weltfremd. Denn unser aller Erfahrung ist ja Tag für Tag auch, dass alles mögliche, wenn nicht das meiste in unserem Leben ohne größeren Reflexionsaufwand funktioniert. Das liegt natürlich daran, dass wir uns eine pragmatische Anschauung der Welt zurechtgelegt haben, die fernab ist von Einsteins vierdimensionalem Raum-Zeit-Kontinuum, der bislang wahrscheinlich präzistesten Beschreibung der Struktur ebenderselben Welt. Aber abgesehen davon, dass selbst das Einstein-Modell nicht die Realität ist, sondern wieder nur ein Bild der Realität, könnten wir mit dem Bewusstsein, in einem „endlichen, aber unbegrenzten und zudem völlig instabilen Raum“ zu leben, im Alltag nicht viel anfangen. Wir schaffen uns also wie gesagt eine gröbere Annäherung.

Dabei verfallen aber viele in das andere Extrem. Wo ein gewisser argumentierbarer Reduktionismus geboten wäre, d.h. eine modellhafte Vereinfachung mit der Betonung wesentlicher und dem Verzicht auf unwesentliche Aspekte, wird radikal verkürzt auf ein quasi animistisches Weltbild, in dem aus der Sicht der Vernunft (und sogar aus der des vielzitierten Hausverstandes) völlige Ratlosigkeit herrscht, drapiert mit mehr oder weniger abergläubischen Ritualen.

Angeboren sind uns nicht die Kategorien an sich – wenn es auch manchem bequem wäre, sich ins deterministische Faulbett zu legen -, sondern allein die Fähigkeit, Kategorien zu entwickeln, mit denen wir die uns umgebende Reiz- und Informationsflut bewältigen können. Alles weitere ist „Denk-Arbeit“, der wir uns unterziehen (oder eben nicht).

Entsprechend dieser Individualverfassung gibt es eine Skala von Unternehmenskulturen, deren Extreme etwa so aussehen werden:

Das Unternehmen A handelt nach dem Prinzip der Simplifizierung. Es sieht lediglich „den Markt“ ohne jede Segmentierung. Im Tagesgeschäft tritt der eine oder andere Kunde schemenhaft hervor und verschwindet dann wieder in der Anonymität. Die Bedürfnisse des Kunden bleiben demzufolge unklar. Produktentwicklung und Marktzutritt orientieren sich an den innerbetrieblichen Gegebenheiten. Dieses instinktiv empfundene Manko versucht die eher lockere Organisationsform durch lärmende Extrovertiertheit zu ersetzen. Mittel- oder gar längerfristige Konzepte können mangels differenzierter Analyse der Vergangenheit und Gegenwart nicht erarbeitet werden. Eigentlich besteht aber auch gar kein Bedarf nach solchen Perspektiven.

Das Unternehmen B verschleißt seine Energien in der Ausarbeitung ausgefeilter Instrumente, mit denen der Markt äußerst stark differenziert wird. Wäre es technisch möglich, würde es für jeden einzelnen Kundentypus eine eigene theoretische Studie geben. Der Kunde selbst sieht sich zum Forschungsobjekt degradiert und hat den Eindruck, dass er mit seinen praktischen Anliegen fast immer ungelegen kommt. Die Produktentwicklung erhält keine klaren Vorgaben und erfolgt daher suboptimal. Der Marktzutritt findet unter großem Zögern statt. Die Organisationsform ist ausgeklügelt und wird immer wieder mit großer Liebe zum Detail verändert. Mittel- bis längerfristige Konzepte werden mit bemerkenswerter Akribie erstellt, aber wenn es um deren Umsetzung geht, erlahmt das Interesse daran.

Weder Empirismus noch Rationalismus allein können den Weg zeigen, weder der einfache Reflex auf Umfeldsignale noch die weitläufige Reflexion auf dieses Umfeld. Von beiden Positionen etwas nehmen, sich an beiden Verhaltensweisen orientieren, scheint die richtige Methode zu sein, aber wie soll man die perfekte Mischung finden?

Man könnte es Intuition nennen.

Das In-sich-Hineinhören und auch das In-die-Welt-Hineinhören gelingt individuell ganz gut, namentlich wenn man sich dazu erzogen hat, in der lauten Gegenwart auf die schwachen Signale zu reagieren, an die sich Hypothesen für die Zukunft knüpfen lassen. Wie aber kann man einem Unternehmen die Fähigkeit geben, auch als Kollektiv die Intuition zu pflegen?

Der Wert der Intuition wird heutzutage besonders vehement geleugnet: damit erfolgt eine Ausgrenzung dieser Fähigkeit aus dem seriösen Seinsbegriff. Als ob es darum ginge, das Argumentieren durch den Blick in die Kristallkugel zu ersetzen: es ist vielmehr das Fertigwerden mit einer Situation bzw. einer Entwicklung, die mit Quantitativität und Meßtechnik nicht so leicht aufzuschließen ist. Mit den herkömmlichen Instrumentarien erkennen wir Trends und sind geneigt, diese als Fortbewegungsrichtung unseres Systems zu akzeptieren. Es gibt aber unter Umständen gewaltige Oszillationen um den Trend, Ausschläge gegen den Trend, die ihn entscheidend abändern, und schließlich Trendbrüche, durch die der ursprüngliche Trend vernichtet wird.

Es ist eine zeitgenössische Erkenntnis (die noch gar nicht Eingang in unser Bewusstsein gefunden hat), dass selbst solche chaotischen Prozesse ein feines Muster aufweisen. Es handelt sich dabei um keine offensichtliche Ordnung wie das, was wir im Sprachgebrauch darunter verstehen. Aber auch das Chaos scheint Ordnung zu sein, versteckte Ordnung, die sich als Aneinanderreihung von Zufällen tarnt. Intuition ist es vielleicht, wenn jemand dieses feine Muster zu erkennen vermag: durch direkte Anschauung des Objekts, ohne Blockade durch die Ratio, aber eben auch nicht völlig irrational. Und wer immer diese Fähigkeit besitzt, darf sicher sein, dass die Wissenschaft ihn nicht zu den Ihren zählt. Die Beispiele reichen vom Ignorieren der Naturheilkraft durch die Schulmedizin über die Aversion der diplomierten Techniker gegenüber dem praktischen Erfindergeist bis zum Widerwillen der Wirtschaftswissenschaft gegenüber Pionierunternehmern.

Um bei letztgenannten Beispiel zu bleiben: Die Ansiedlung der Wirtschaftswissenschaft in der Nähe der Naturwissenschaft statt wenigstens genau in der Mitte zwischen Natur- und Geisteswissenschaft, erweist sich aus heutiger Sicht als absoluter Fehler. Dies vor allem deshalb, weil in Österreich wie überall im deutschsprachigen Raum die völlige Trennung der Natur- und Geisteswissenschaften bereits a priori zu einer höchst überflüssigen Polarisierung beider Richtungen beigetragen hat.

Denn noch einmal: mit Reduktionismus, mit Simplifizierung kommen wir nicht weiter, wenn die entscheidenden Fragen lauten: Was kommt? Und wo? Und wann? Womit haben wir in welcher Raum- und in welcher Zeitdistanz zu rechnen?

Diese Fragen kann im Unternehmen wahrscheinlich der am besten beantworten, dessen Intuition noch intakt ist (sozusagen in einem physiologischen Sinn), aber natürlich domestiziert durch die Kenntnis und Anwendung der Betriebswirtschaft. In Wirklichkeit ist das also kein einzelner Mensch, sondern ein Team: der Visionär, der Bürokrat, der eine oder andere weitere Typus im Spektrum. Und die müssen miteinander diskutieren, kooperieren können. Verlangen wir aber nicht, dass sie einander um den Hals fallen, das ist eben nicht drin. Der Visionär wird es dem Bürokraten nicht erlauben, seinen innersten menschlichen Code zu knacken und umgekehrt. Machen wir uns da nichts vor.

Die Notwendigkeit zur Diskussion wird oft mit Reden-Müssen verwechselt, die Notwendigkeit der Kooperation zum Teamwork dogmatisiert. Selbst dort wo sich eine Bündelung der Interessen und Fähigkeiten nicht anbietet, wird sie mit lautem Geschrei zelebriert. Der Satz 7 des Wittgenstein’schen Tractatus logico-philosophicus (worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen) deckt uns in diesem Zusammenhang einen ganzen Fächer von Kategorien auf: worüber (über welche Themen, Gefühle?) man (ich, du, wir, die anderen?) nicht (jetzt nicht, bis auf weiteres, niemals?) sprechen (sich äußern, behaupten, beurteilen?) kann (die Inhalte nicht kennend, die Worte nicht wissend?), darüber muss man schweigen (tunlichst, um leeres Gerede zu vermeiden).

Zwangsläufig fühlt man sich an die Indianer erinnert, die angeblich sagten, was zu sagen war und sonst schwiegen. Natürlich muss man vom Winnetou-Mythos abstrahieren, zu dem auch die Facette zählt, dieser edle Menschenschlag sei an der Bösartigkeit der weißen Invasoren zerbrochen. Dass sie Menschen wie du und ich waren in Bezug auf Fehler und Schwächen (besonders jene, die sogenannte Hochkulturen wie die unsere hervorgebracht hatten), ist wohl kaum zu bezweifeln, aber ihrem geschichtlichen Misserfolg gingen bei zahlreichen Indianervölkern lange Zeiträume objektiver geschichtlicher Existenz voraus, die sie im Einklang mit ihrem Lebensraum verbracht haben, ohne diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen oder gar zu zerstören: und das ohne geistige Verkümmerung und nicht ohne alle Technologie. Jeder einzelne von ihnen war – so heißt es – in der Lage, sich auf einen Herzschlag weit an einen Bären heranzupirschen und diesen dann zu erlegen. Wenn das stimmt: welche profunde Geschäftsstrategie im Vergleich zu jener, die schon vor der Jagd das Fell des Bären am grünen Tisch verteilt!

Trotz einer Art militärischer Lebensform dürfen wir diese offenbar nicht als Begeisterung für den Kampf per se interpretieren (da würden wir vollends auf den Mythos der Indianerbücher hereinfallen), sondern ausschließlich vom Standpunkt der Funktionalität. Beim Eintreten eines exogenen Ereignisses liefen definierte Prozesse ab: nach außen hin wurde die Ausrüstung gefasst und alle begaben sich auf die vorherbestimmten Positionen; nach innen hin begann eine fieberhafte Informationssammlung, deren Zeitmaß von den Reaktionsspielräumen bestimmt wurde. Zum hypothetischen Reaktionszeitpunkt wurde gemäß dem bis dahin vorliegenden Informationsstand gehandelt. Der Umgang mit Situationen war nicht eine Funktion des Erstaunens, sondern der flexiblen Systemerhaltung, und dies galt ebensogut für völlig außergewöhnliche Ereignisse. Man darf annehmen, dass unsere Indianer selbst beim Auftauchen fliegender Untertassen mit keiner Wimper gezuckt, sondern mit ruhiger Hand zu Pfeil und Bogen gegriffen hätten: vergleiche dazu die Reaktion gut ausgebildeter und normalerweise furchtbar cooler Finanzmanager im Zuge eines Kurssturzes an den Aktienbörsen!

Die harten Fakten von Struktur und System geben eben nicht genug Rückendeckung, wenn es ernst wird. Die Strategie, in der ich nur den Bauern auf einem Schachbrett spielen darf, wird mich nicht tragen, wenn ich Existenzangst fühle. Da ist es dann gut, auf die über lange Perioden aufgebauten und bewährten menschlichen Beziehungen der Stamm-Mannschaft zurückgreifen zu können, wo jeder um die Spezialkenntnisse (vielleicht auch Eigenheiten) des anderen weiß, wo jeder das Selbstverständnis des anderen getestet hat, wo eine gemeinsame Kultur herrscht. Ohne Kultur und ohne das Wissen, was diese aushalten kann, besitzt das Unternehmen keine zukunftsorientierten Möglichkeiten. Ohne Kultur und ohne das Wissen, was diese aushalten kann, herrscht Konfusion.

Freilich bedarf es nicht irgendeiner Kultur. Unser Unternehmen braucht ganz bestimmte Bausteine der Kultur, wenn es sich den Kunden erfolgreich nähern möchte. Rufen wir uns in Erinnerung: Der Kunde gleich welcher Branche ist heute sehr verwöhnt, sehr individuell, sehr aufgeklärt. Wenn wir dieses kapriziöse Wesen einfangen wollen, müssen wir
? lernfähig sein,
? bewerten können,
? organisieren,
? kreativ sein,
? risikobereit sein,
? kooperationsbereit und mobil sein,
? aber auch höchstpersönliches Engagement einbringen.

Vieles davon mag schlagwortartig klingen. doch diese Schlagworte verlieren sehr rasch ihr Unschärfe, wenn sie : „just in time“ – hier, jetzt, genau jetzt, immer wieder genau jetzt.

Macht man das nicht mehr? Die wehmütige, vielleicht etwas larmoyante Frage der Autorität, die sich aus bewährten Konventionen ableitet. Nein, man macht das nicht mehr so, wie wir es immer gemacht haben. Wir sind zwar physisch und psychisch die gleichen geblieben wie vor Zehntausenden von Jahren, aber alles um uns herum hat sich grundlegend verändert – nein, bleiben wir bei der Wahrheit: Wir haben alles um uns herum grundlegend verändert. Aber wie auch immer: Was vierzig oder hundert Jahre oder weiß wie lange gut genug war, ist nicht mehr gut genug.

Wir sind aber mit der gegebenen und unverrückbaren natürlichen Ausstattung geradezu prädestiniert dafür, mit neuen Situationen fertig zu werden. Wir sind, ohne uns von unserem innersten Selbst distanzieren zu müssen, Virtuosen des Abschieds oder, mit weniger Tristesse formuliert, Virtuosen des Aufbruchs – wenn wir uns nur vom Augenblick losbinden. Denn eines ist jedenfalls sicher: ein Mensch, der sich in den nächsten zehn Jahren nicht weiterentwickeln möchte, wird dann an der untersten Stelle der sozialen Leiter gelandet sein. Und ein Unternehmen, das in zehn Jahren genauso aussehen möchte wie heute, wird dann – wenn überhaupt – nur noch Gegenstand des Interesses von Wirtschaftshistorikern sein.