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QUINCY

Der Herr Therapeut hat mich aufgefordert, meinen Innenraum, wie ich es nennen möchte, zu protokollieren. Das heißt also im Klartext – ich soll schreiben. Damit stehe ich vor der Frage, wie man überhaupt schreiben kann.

Koketterie kann den Lesern nicht gefallen. Wären die Künstler so kokett wie die Politiker oder die Journalisten, woher sollte noch Rettung für die Menschen kommen?

Und wenn diese keine Rettung erwarten? Wenn ihnen der Dämmerschlaf der öffentlichen Meinung des Weltdorfes völlig genug ist? Wenn sie Bildschirm und Fenster nicht mehr auseinanderhalten können: nicht mehr wissen, ob der Panzer da draußen in Pakistan steht oder in ihrer eigenen Wohnstraße?

Heißt das aber nun, dass ihr Verstand vor der komplexen Ursachenkombination der Realität kapituliert hat?

Nein. Das heißt, dass man sie daran gehindert hat, sich auf die volle Höhe des Erwach¬senseins weiterzuentwickeln.

Ich bin ein Erwachsener, der Unrecht tut. Und ich bin ein Kind, dem Unrecht getan wird. Wenn ich noch immer mit dem Bewusstsein kindlichen Erstaunens gegenüber dem Treiben Erwachsener herumlaufe, dann ist das so als ob sich meine Jahresschichten nur als wuchernde Verkrustungen um einen weichen Kern gebildet hätten: sie gehören zu mir und auch wieder nicht; ich verantworte sie und auch wieder nicht. Der Sozialisationsprozeß hat zwar stattgefunden, aber er hat sein Ziel verfehlt: ich kann noch immer die Freude und den Kummer der Kinder begreifen, und ich frage mich, wer zum Teufel uns eigentlich daran hindert, die Welt lebenswert zu machen. Offenbar hat sich etwas in uns verselbständigt (nennen wir es meinetwegen Kultur), das zwar einerseits viel schöner sein kann als die Natur, aber andererseits auch um so viel grausamer.

Ich muß diese Warnung an jeden Schreibenden aussprechen, damit das Kunstwerk sich nicht im Lauf der Zeit gegen seinen Erzeuger wendet und ihn mit grausamer Ästhetik zerstört. Lassen wir ihn allerdings ohne weiteres schreiben: neben Wüstensand und Eismeer und Sonne und Baum gibt es Schreibtisch und Papier und Laptop und Schrift. Und weiters existiert neben den Geistes- und Naturwissenschaften die Philosophie, die mit ganz anders gearteten Hypothesen als jene arbeitet (unbeweisbar und ebenso unwiderlegbar), und darüber hinaus die Kunst jenseits aller (wie immer gearteten) Hypothesen.

Fasse deine Worte wie ein Kind an, als ob du sie das erste Mal hörst. Wenn du Sprachkunst nicht schaffst, weil dir die Alltagsbedeutung deines Materials nicht aus dem Kopf will, dann mal lieber ein Bild, gib ihm einen fremdsprachigen Titel, der nichts von dem vorwegnimmt, was ins Auge des Betrachters dringt. Oder schreib lieber eine Symphonie, gib ihr einen fremdsprachigen Titel, der nicht mehr bedeuten muß als eine Ordnungszahl in einem Katalog.

Neurose: das Emporrinnen des Wasserfalls. Der ganze Fluss des Bisherigen strömt wieder dorthin, wo er herkam, und jeder Tropfen Leben, der allenfalls noch seinen natürlichen Weg findet, wird gleich wieder zurückgepumpt. Vorsicht als Autor: so machen es ja fast alle heutzutage (und es wird nicht dadurch besser, dass einige jener, die einen Roman darüber schreiben, wie sie einen Roman schreiben, sogar Weltgeltung erlangt haben). Knie dich hin zu deinen Lesern, sei ihresgleichen. Spiel mit ihnen und schrei ihnen nicht deine vermeintliche Überlegenheit ins Ohr. Was du erlitten hast, lade ihnen nicht auf, denn es nützt ihnen nichts gegen ihr eigenes Leiden.

Wer will, kann sich meine innerweltlichen Erfahrungen eine Hilfe sein lassen, auch wenn sie großteils im Beisein meines Therapeuten protokolliert wurden. Mich stört der Bursche (‘tschuldigung, der Herr!), der da mit am Tisch sitzt und mir unverwandt zusieht, nicht. Selbst wenn ich je die Chance ergriffen hätte, außerhalb der Anstalt (ich weiß nämlich, wo ich bin) zu schreiben, wäre ja unweigerlich ein fiktiver Leser hinter mir gestanden.

Ich entere also nun wunschgemäß meinen Innenraum. Obwohl eine Situation eingetreten ist, die alles, was bisher von Bedeutung war, zunichte gemacht hat, ist das Tagebuch im Rucksack. Wenn man im fahlen Tageslicht darin blättert, lacht der Weggefährte, den man namenlos „Inder“ nennt: dass du dafür ein Kilogramm Mehl zurückgelassen hast! Für etwas, das wahrscheinlich nicht den nächsten Tag, auf keinen Fall aber die nächste Transition, in der die Welt wiedergeboren wird, überdauern kann!

Solange man lebt, antwortet man, werden diese Blätter an die Kindheit erinnern, so fern und so anders als heute. Wie die Mutter einen an sich gedrückt hat, der Vater einem die Hand hielt und wie sie dann zurückbleiben mussten, weil ihr Weg zu Ende war. Allein die Worte lassen im Kopf ein menschenwürdiges Dasein wiedererstehen, ohne moralisches Werturteil darüber, was getan wurde oder wie es hätte anders getan werden sollen.

Das verstehe ich schon, sagt er, gerade weil ich in meiner Kindheit dein menschenwürdiges Dasein gar nicht kennengelernt habe. Er kramt in seinen Sachen und holt ein rauchgeschwärztes Weberschiffchen hervor. Es war die Hölle (nach damaligen Begriffen, und selbst für Indien), erinnert er sich, beginnend im Alter von vier Jahren in einer finsteren heißen Kammer zu sitzen und Teppiche zu weben, tagaus tagein, ohne jede Aussicht, dass jemals etwas anders sein würde. Und doch sehne ich mich heute danach, wie ich spät abends, als sie die Tür aufsperrten, hinauslief, mich am Brunnen erfrischte, mich auf die Mauer des Marktplatzes legte und eine Zigarette rauchte. Über mir kreisten die Sterne, und ihre Schönheit übergoss meine Haut.

Man wagt nicht, obwohl es einen geradezu drängt, ihm die Hand zu reichen. Zu groß wäre das Gefühl der heutigen apokalyptischen Kälte gewesen.

Früher war ich noch gut drauf, sagt der Inder. Jetzt bin ich einfach schon furchtbar alt, auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht. Und wo ist das Instrument, die Sitar? Das ist es eben, antwortet er, ich bin geradezu amputiert ohne sie. Sie ist weg, irgendwo in diesem Chaos, wer weiß. Wir haben zwar verschiedene Fähigkeiten, das stimmt, aber es gibt sozusagen materielle Verankerungen für unsere Spiritualität. Hätte ich meine Sitar noch, könnte ich uns einfach hier wegspielen, auf irgendeinen Planeten irgendeiner Sonne oder auf irgendeinen Kometen, der durch eine märchenhafte Nacht jenseits von hier seine Bahn zieht.

Durch den Körper geht ein Ruck, als wolle man abheben, nachgezogen von der Seele, die schon unterwegs ist zu dem geschilderten Ort, aber dann ist man doch weiterhin da, und er ist da und sieht nun wirklich sehr alt aus von der offensichtlichen Anstrengung, die er aufgewendet hat. Wenn es nicht geklappt hat, sagt er, fühlt man sich natürlich noch elender als zuvor. Darum wäre es besser gewesen, in der vorherigen Hoffnungslosigkeit zu bleiben.

Was ist mit dem Computer, den du gefunden hast? fragt er nach einer langen Weile. Gar nichts, antwortet man, zuerst hatte er noch Power, aber auf dem Schirm standen nur die Worte „Parity Check“, das ist eine ganz verzweifelte Botschaft. Sie bedeutet, dass er versucht, seine innere Organisation wieder aufzubauen, aber er schafft es nicht. Auf Versuche, ihm zu helfen, sprach er nicht an, immer nur diese beiden Worte, und dann erlosch der Monitor völlig. Was hätte er uns auch geben können?

Vielleicht Übersichten, Pläne, Simulationen. Aber nein, sagt man, das sind letztlich Schönwettermaschinen. Wenn du selbst noch weiterweißt, kannst du dich vervielfachen, beschleunigen, was immer. Aber so wie wir dastehen, nützt das alles nichts.

Der Steinblock, auf dem der Computer steht, sagt man – wieder nach einer langen Weile -, ist doch offensichtlich ein uralter Altar. Wenn man vor diesen hintritt, die Hände auf ihn legt, sich konzentriert auf die Wünsche, die Gebete, die Flüche, die Vorstellungen von einer transzendierten Welt, müsste man doch etwas bewirken können. Aber was? fragt der Inder. Was soll passieren?

Denk dir eine Situation, sagt der Inder, die misslich ist, aber aus der man – anders als aus der unseren – fliehen kann, zum Beispiel so: Der Schrei des Pfleglings fällt zusammen mit der klirrenden Scheibe aus dem Fenster. Da mag es sein, daß der Pflegling vom Pfleger eine Ohrfeige bekommen hat, denn der Pfleger, der Blaubekittelte, ist auch nur ein Mensch: – du Idiot, sagt er zum Pflegling, daß mir das nicht wieder vorkommt! Er ist ja auch nur ein Mensch, der Blaubekittelte, denn hier im Irrenhaus heißen die Aufseher Pfleger und tragen blaue Kittel, und die Gefangenen heißen Pfleglinge und tragen schwarzes Leinenzeug. Die Ärzte gar, die Weißbekittelten, haben es nicht nötig, sich die Hände zu beschmutzen, wenn sie auch insgeheim unterscheiden können zwischen einem Pflegling, der einen Anfall hat, und einem, der hinaus möchte. Jenseits der zerschlagenen Scheibe ist allerdings noch das Gitter: und wenn an schönen Tagen die Schwarzbekittelten vor ihrer Baracke liegen, steht am Ende des Rasens hinter täuschenden Bäumen noch die Mauer mit den aufgesetzten Stacheln. Da kommt keiner hinüber – er wäre denn unempfindlich oder freiheitsliebend. Und rund um die Mauer das Meer.

Erst einmal draußen sein, mit zerschnittenen Handflächen, zerrissenem Schwarz und zerkratzten Beinen: zunächst ein Gefühl für sich, jenseits der Gefahr des Wiedergefasstwerdens. Das Licht, die Steine sind anders: Erkenntnis ist wieder möglich (qualitativer Sprung). Die Politik ist wieder da, nicht mehr als Leidenschaft, sondern als Konsequenz von Zuständen.

Als man das Schwimmen lernte, dachte man noch, es sei gleichviel, schwimmen zu können oder nicht. Jedenfalls ist es ganz leicht: man muss nur geistig die Wassermassen unter sich verdrängen. Es ist nicht ratsam hinabzusehen, wegen der Kälte, die heraufstrahlt. Salz in den Wunden beansprucht die Aufmerksamkeit, abgesehen von einer ständig gegenwärtigen Insel im Rücken. Die Risse und Schnitte brennen, der ganze Körper nach innen, die Augen bis ins Gehirn.

Obwohl man zunächst nur fort will, sich nicht mehr um sie kümmern möchte, hasst man sie wieder, die einen dazu bringen. Die Ohnmacht des Schwimmenden mitten im Meer entzieht sich jeder Beschreibung. Das ginge ja noch: die Diktatur bekämpfen / besiegen. Sich selbst überwinden: das ginge ja noch. Aber überzeugen – ?

Wenn man Glück hat, versinkt man trotz allem nicht, sondern wird an einen flachen Strand gespült und bleibt liegen. Unter Anleitung des Inders beginnt man, das Bergwerk zu erforschen. Im nächstbesten Stollen findet man Ray Charles (ein Kulturkritiker könnte ihn das Genie des Jahrhunderts nennen), einen der das Wort Seele aussprechen darf. Der fragen darf, ob man gefehlt hat (Verzeihung für alle Menschen verströmt seine Blindheit). Das Schwierige an jeder Selbstbestimmung ist die Erkenntnis. Man blickt plötzlich in den Abgrund anderer.

Die Gefahr, in eine Sackgasse zu geraten, ist unfassbar groß. Man fühlt sie mit den Resten des spät-äffischen Instinkts, würde gern die Orientierung behalten: aus Angst vor der Versuchung zum Tod hin. Dem anscheinend ersten, anscheinend einzigen Menschen fehlt trotz mancher Fähigkeiten der Bezug zum Du. Da er nach innen gräbt, findet er zunächst nichts anderes als die Gebeine anderer Einzelgänger: im anscheinend menschenleeren Raum entstehen Staat / Irrenhaus / Schwimmen im Meer / Graben im Bergwerk (das Denken). Daraus entsteht der Wahn eines, der glaubt, das Charisma zu besitzen.

Üblicherweise hat man keine Angst. Aber es werden Beweise verlangt: für die Kunst, am Leben zu bleiben, noch dazu in unverblümter Wahrheit. Aber man ist selbst Teil und Gegenteil und hat von beiden: von Liebe und Tod, von Mann und Frau, Wahrheit und Lüge; ferner von Liebestod und Todesliebe und so fort in einer Kernspaltung der Begriffe. Hätte man Charisma, wäre es mehr als bloß privat. Wenn man es also nun wirklich hat?

Man ist kein Händler, aber am Handel beteiligt, man ist kein Mörder, aber man hilft beim Töten. Die eigene Person tritt hervor: man muss die angenehme kollektive Verantwortung zurücklassen, kann sich nicht mehr damit beruhigen, dass ein anderer es getan hat. Auch das Selbstmitleid der Pubertät hat seine Bedeutung verloren. Man steht direkt an der Praxis.

Bewusstlosigkeit: in ihr, Milliarden Jahre nach Verfestigung der Erde (dieser Erde und nach der diesmaligen Verfestigung dieser Erde, korrigiert der Inder), beginnt das Lachen, das Singen: das Tanzen: man ist Quincy (der Name!), möchte es sein: in der Denkstraße die Überwindung der Denkebenen durch ein umfassendes Bewusstsein. Mit dem Rücken zur Wand, unter vollem Beschuss: Entropie, unaufhaltsamer Zerfall in Energie. Klein genug sollte man sein, tief im Ghetto den Zusammenbruch gewalttätiger Systeme ohne Angst zu erwarten: eine Zukunft, für die in der ganz bestimmten Gegenwart kein Platz ist.

Man hat gelernt, das Geschoß nicht eher zu loben, als man es pfeifen hört. Über die Waffen der Angreifer, so der Inder, muss man nicht nachdenken: vielmehr über Wirkungen, wenn Geschoße sich auswirken. Erst die Tatsache, dass Körper und Geschoß sich in derselben Dimension bewegen, macht das Durchdringen des Körpers mit Geschoßen gefährlich, das heißt tödlich, wenn der Tod gefährlich ist. Andernfalls bliebe der Körper unberührt.

Die Angreifer dringen vor. Drei, vier dumpfe Detonationen, Wellen heißer Luft, geschwärztes Gestein, endgültig zerstörte technische Strukturen. Feuer frisst sich am Holz des Stollens entlang: Rauch, der nicht mehr vergeht: Geschoß, dem man nicht ausweichen kann. Aber man ist ein besserer Stuntman, als der Regisseur es sich träumen lässt. Aber dieser ist nur ein Bild, hinter dem ein Bild steht.

Das Geschoß hat den Bereich des Verdrängten aufgerissen: es ergießt sich, was man noch immer nicht wahrhaben wollte, was man nun apathisch wahrnimmt, weil es angesichts äußerer Bedrohung massiv zutage tritt. Man versteht fliehend.

Man verbrennt nicht gern im ordinären Feuer, wenn man ein Wissen hat wie dieses: Funken neuartiger Bezüge, heiße Nahtstellen zweier zusammengehöriger Teile, Zwischenraum als Wunde, das Ineinander als natürliche Bestimmung: Sehnsucht nach der Vereinigung des Getrennten.

Das Vorhandensein eines (wahrscheinlich doppelgesichtigen) Gottes, der nicht nur das Gute, sondern auch das Böse zulässt, ambivalent wie man selbst, erklärt an sich nichts (soso, meint der Inder). Nicht nur auf unzähligen weiteren Planeten, sondern auch in unzähligen weiteren Kosmen krabbeln Intelligenzen und projizieren unablässig Sinn in ihre Handlungen, in die Schöpfungen eines Schöpfers: wissen von anderen Kulturen, dass sie zusammenbrachen, und sind nicht bereit, den Analogieschluß zu ziehen: wissen wenig vom immer gleichen Phänomen Liebe, das außerhalb der Zeit steht. Für den nämlich die Vereinigung mit dem, was er begehrt, nicht Theorie oder Erinnerung, sondern ständig neu zu erzeugende Gegenwart und Praxis ist, der verbrennt nicht, sondern steckt das Verstehen in die Brusttasche und verlässt das Bergwerk durch einen längst vergessenen Ausgang in ein tropisches Tal: mag hinter ihm das Geflecht aus Schächten und Stollen zugrunde gehen. Damit wären wir jetzt, sagt der Inder, in einer möglichen Wirklichkeit in ihrer ungeheuren Komplexität.

Auch das Tal wimmelt von Leben: das heißt Tod, wenn das Leben den Tod nach sich zieht. Man findet eine Schule, an der man viel zu oft mit Angst vor dem Weiterleben vorbeiging und die man wie ein Archäologe eines fernen Jahrhunderts vollends ausgräbt. Über dem Eingang glotzt eine Fratze, in die man vor langer Zeit seine Kopfschmerzen hineingeflucht hat. Im Mittelpunkt liegt ganz allein das Buch der Bücher: De Cogitatione. Vor diesem steht man: langes Haar unter dem Filzhut, verschlissene Stickereien auf der Lederjacke, hohe Stiefel schützen vor weiteren Bissen der Schlange, die gelockt hat: ihr seid wie Gott. Liebe Freundin, sagt man ihr unangreifbar-höhnisch, auch du hast die verzopfte Moral eines Kirchenvaters: sprechen wir doch nicht von Schuld. Wie sollten wir die Versuchung kennen, wären wir ihr nicht so oft erlegen? Liebe Freundin, fragt man sie, wie fühlst du dich als Kreatur, wenn du weißt, dass jede Schöpfung Selbstbefriedigung bedeutet? Aber immerhin, antwortet die Schlange, ist es für euch Banausen immer wieder interessant, sich mit dem Teufel zu unterhalten, selbst im Zweifel, dass es ihn gibt: aber wer möchte vor Gott stehen und sich die Frage verkneifen – wozu eigentlich das Ganze?

Denk dir aber immer, dass nicht alle so weit sind, rät der Inder, und man ist im Nu im umgebenden Urwald. In den Beinen den Rhythmus tropischer Pflanzen, beginnt man, den Urwald zu roden, als Ziel eine freie Fläche, Ansatz für eine Denkaufgabe. Über der freien Fläche freier Raum, freie Zeit und freie Veränderung (Gestaltungs-, aber auch Verweigerungsmöglichkeit). Die Geschöpfe niederer Dimension singen alarmiert durch die Grenzenlosigkeit der Idee den Choral der Kreuzigung, das einzige Stück, das sie je gelernt haben: Gottverdammihn. Obwohl man selbst damit gemeint ist, erschrickt man gar nicht: es ist nur eine Melodie aus der Kindheit, wieder in Erinnerung gerufen.

Man lacht: in den konzentrischen Schichten des Bewusstseins wandert man nach außen und durchbricht nun wirklich die Schale der Dreidimensionalität (Bravo! sagt der Inder). Man streicht die Worte Owiewohlmirist und Sowirdsgemacht aus dem Gedächtnis.

In diesem Land, sagt der Inder hat die Wetterverwaltung den Beginn der dreiwöchigen Frühjahrsregenperiode angekündigt. Die letzten Dächer werden ausgebessert, die letzten Straßenlöcher gestopft, die letzten Kanäle in Ordnung gebracht, die letzten Schleusen repariert, alles peinlichst von den Soldaten überwacht. Die Sanitäter verteilen die letzten Kreislauf- und Antikonzeptionsmittel, damit es nicht während der dreiwöchigen Frühjahrsregenperiode zur Katastrophe kommt. Die Fernsehgesellschaft wird aufgefordert, auf den Regen Bedacht zu nehmen, damit es nicht in den Wohnungen vor den Bildschirmen zum Chaos kommt. Der Selbstmordverhütungskommission wird eine ständige Rufnummer zur Verfügung gestellt, unter der man vom ewigen Band die eindringliche Stimme hört: Bleiben Sie am Leben.

Man steht noch immer auf der freien Fläche (darüber freier Raum, darüber freie Zeit, darüber freie Veränderung): und links / rechts / vorne / hinten / oben / unten wartet der bevorstehende Regen (man weiß es, woher weiß man es bloß so genau?). Aus eben diesen sechs Richtungen kommen die Kommandos – man wird eingekreist und verhört: Die Wetterverwaltung hat den Beginn der dreiwöchigen Frühjahrsregenperiode angekündigt – was also tun Sie noch hier?

Da aber beginnt es zu regnen, woran im Moment niemand dachte: eine tatsächlich veränderte Welt. Denn die Uniformen der Soldaten werden nass, obwohl genau das nicht hätte geschehen dürfen: wozu sonst wäre die Frühjahrsregenperiode pünktlich angekündigt worden? Aus demselben Grund hätten Waffen, Geräte und Fahrzeuge rechtzeitig versorgt werden müssen: versinken nun aber im Schlamm einer gerodeten Fläche. Nachdem man eine Weile tatenlos zugesehen hat, beginnt man, mit beiden Händen Schlamm gegen die Fahrzeuge der Kommandos zu werfen: zu tanzen, zu singen: zu lachen – man ist Quincy, und ihr seid gefangen an einem Ort, wo es aus allen sechs Richtungen Schlamm und Wasser regnet, in der ihr nach oben / unten / links / rechts / vorne / hinten versinkt. Nicht nur von oben, sondern auch von vorn / hinten / links / rechts und vor allem von unten regnet es: da kommt keiner herum: man ist Quincy: ein Komet, der einen Angelpunkt sucht.

Dass Quincy einem neuen Kurs folgt – während er Schlamm auf die Diktatur regnen lässt: auf der Suche nach dem Angelpunkt -, weiß vorerst niemand, mit Ausnahme des Inders, der stolz seinen Schüler beobachtet. Man tanzt, singt: lacht: man ist Quincy, möchte es sein, liebend gern, über alle maßen, ganz rasend, schlammschleudernd: Die Wetterbonzen haben den Beginn der dreiwöchigen Frühjahrsschlammschlacht angekündigt. Kommandos herbei – endlich stellen, diesen außergewöhnlichen Umstand! – hinein aber in das Schlammbad, Schlammpackungen für die Soldaten samt ihren Uniformen, Waffen, Geräten und Fahrzeugen. Das ist Krieg, wie ihn keiner – jedenfalls so nicht – erwartet hat. Quincy: ein Komet, aber als solcher mit menschlichen Makeln behaftet, will einschwenken, Planet werden, wünscht sich eine Sonne: und dass durch sein Einschwenken in eine Umlaufbahn die Diktatur vernichtet wird.

Astronomisch weit hat Quincy seine hymnische Bahn begonnen, sucht nach Begriffen – aber ungreifbar sind die Charakteristika dessen, was man liebt (es tut wohl, geliebt zu werden): wenn man nicht nachahmen will: vielleicht, dass einem später einfiele, was man hätte denken / sagen / tun sollen. Assoziativität, Kommutativität (die Vereinigung mit dem, was man liebt, ist Wahrheit: alles andere lügt): solange der Schmerz großer Tiefe auf dem Gesicht liegt, während man eindringt, zugleich umschlossen wird: mit gleichem Abstand zu Aufbau und Zerstörung. Freier Raum, darüber freie Zeit, darüber freie Veränderung: Ort der Superlative: in jeweils gleicher Zeit zurückgelegte, aber ständig wachsende Wegstrecken. Insel / Meer / Bergwerk / Urwald absorbierend mit wachsender Geschwindigkeit: zeitlos, nie zu vergessen, unwiederholbar. Strebung, schneller und schneller, bis der Anprall an die Doppelwirksamkeit / Doppelbödigkeit / Doppelerfahrung erfolgt. Noch nicht ganz wissend, aber zugleich längst gewusst habend, erkennt man sofort, daß die nunmehr anstelle der früheren Existenz gepriesene Sonne auch (wie könnte es anders sein)

ein ambivalenter Stern ist.

Die Kosmogonie zeigt tatsächlich ein Doppelgestirn: und dessen Umgebung als einen Lichtraum in einem Bereich tiefer Dunkelheit: und als Kraftraum in einem Bereich tiefer Schwäche: und als Wärmeraum in einem Bereich tiefer Kälte. Da man das Negative erlebt hat, nicht mehr ganz sicher, ob es negativ sein sollte, kann man gerade wegen der mittlerweile eingetretenen Stabilisierung die Möglichkeit neuer Veränderungen nicht ausschließen. Darum geht man durch die Stadt mit dem neuartigen Gefühl der Verrückbarkeit, die das Bewusstsein als wachen Kubus erscheinen lässt, dem es – vor allem – möglich ist, eine Generation zu überspringen und zu sehen, was sein wird / was war. Dem also die Möglichkeit offensteht, die Diktatur als Ganzes zu betrachten. Aber ist dieser retrospektiv-antizipative Kubus nur wissend: oder ist er auch weise genug, um an einem Kreuzungspunkt seine Schlüsse zu ziehen? Etwa den: dass durch die Stadt zu gehen dem Erlebnis des Steinzeitjägers gleicht, nur dass man – anstatt mit Urlauten und Urtänzen seine Spannung zu lösen – irgendwo heiter lächelnd eintritt. Und wenn dies zufällig der Dikatorenpalast wäre, ist das Wichtigste ein vom Inder dargestellter ausgeflippter Begleiter, der einwandfreie Ausweispapiere mitgebracht hat. Dann kann es später im Protokoll heißen: die beiden Männer seien Zivilisten gewesen; ihre Papiere seien in Ordnung gewesen (auch ihr Benehmen). Dass der eine zum anderen beim Betreten des Palastes gesagt haben soll: Besser ein schreckliches Ende! sei nicht beanstandet worden. Bis dann das Feuer ausbrach.

Wer in der Schlangengrube sitzt, referiert der Inder, der ausgeflippte Begleiter, wird versuchen zu fliehen, selbst wenn er damit rechnen muss, dabei in eine Löwengrube zu fallen. Und immer wenn einer es versucht, fügt man hinzu, ertönt das Signal des Versagens der Gesellschaftsordnung: die Polizeisirene: wie eben jetzt: langsam herankommend, melancholisch auf- und abschwellend, den der es versucht hat, zur endgültigen Resignation verleitend. Dazu das auf- und abglimmende Blaulicht: ähnlich dem Kometen und Möchtegern-Planeten Quincy, der vor schwarzem Hintergrund auf- und abglimmend in eine Umlaufbahn eingeschwenkt ist.

Die Bullen schwärmen aus, sagt der Inder als ausgeflippter Begleiter, wie sie es gelernt haben. Immer zusammen, sagt man, mit Sirene / Blaulicht. Und es brennt weiter, sagt man, doch äußerlich ist noch alles fest (Sirene, Blaulicht), bis auf einen Brand (Sirene, Blaulicht); man wird melancholisch, möchte fast endgültig resignieren (Sirene, Blaulicht).

Feuer, unscheinbar noch, doch da kommt keine Diktatur hindurch: die nächste Regenzeit, um zu löschen, ist weit. Sirene, Blaulicht, ausschwärmende Bullen, die es gelernt haben: haltet ihn, wo immer ihr ihn findet, vor allem aber (Sirene, Blaulicht) haltet aufrecht, erhaltet: denn mit jeder Veränderung wechselt die Herrschaft, und eine ist die letzte, und einer von euch der letzte Bulle: womöglich. Sirene, Blaulicht, melancholisch auf- und abklingend/-glimmend. Unsagbar, sagt der Inder als ausgeflippter Begleiter, unsagbar traurig: die Bullen und alles. Denn der ausgeflippte Begleiter ist irgendwo Romantiker (zu allen Zeiten ist nichts langweiliger als Kulturpessimismus).

Es tut sich was: Feuer: Leben: vorwärts stürmende Bullen, wohl wissend, dass ein Strafgericht gegen sie unabwendbar ist, da sie den Brand nicht abwandten: näher und näher: Wer war es, wer hat es getan? Und ohne zu zögern ballern sie los, wie sie es gelernt haben, nebenbei ihre Aggressionen abbauend: ratatatata. Da kommt keiner herum: es sei denn, man geht – wieder einmal, warum nur – in Deckung, um dem Geschoß auszuweichen, um es pfeifen zu hören, um es loben zu können, wenn es vorbeipfeift. Das Blaulicht flackert auf den Gesichtern der Gefallenen, und in der Sirene röhrt geheime Todessehnsucht: whiiiiiii-o, whiiiiiii-o.

Nun fühlt man die Grenze, hinter die man in Deckung gegangen ist (Blaulicht, Sirene, Melancholie). Während weiteren Blinkens und Röhrens plötzliche Erkenntnis: einerseits / andererseits – heißt die Krankheit: geheime Todessehnsucht, zugleich Lebenshunger: Ambivalenz, Dialektik, Kontrapunkt – laut, mit Sirene, grell, mit Blaulicht: Die Bullen ballern so lange, bis ihre Magazine leer sind.

Okay – okay, sagte man: Irreversibler Vorgang: das Leben. Der Nachteil einer humanistischen Bildung: dass man sich nicht leicht verständlich machen kann. Der Nachteil einer proletarischen Abkunft: dass man übers Diskutieren hinaus ist. Gottverlassen, sagt der Inder: von allem verlassen die Toten (Sirene, Blaulicht, Melancholie): ballernde Bullen – der Tod: ein irreversibler Vorgang. Blau heraufstrahlende Tiefe: Christengott, beten die Toten, lass uns noch heute mit Dir im Paradies sein – oder wenigstens ihr Linken & Rechten: stempelt uns nicht zu namenlosen Anarchisten mit der verklemmten Ideologie: Ihr wisst ja nicht, wie falsch es ist, ein richtiges Bewusstsein zu haben. sich daran zu messen: verletzlich zu sein und nicht zynisch.

Ansätze nur, immerhin sinnvoll, meint der Herr Therapeut: denn auf dem Kometen Quincy, sagt man nunmehr selbst, auf dem Möchtegern-Planeten, der in die Umlaufbahn einschwenkt, ballern die Bullen, zerren die Krankheit hervor: einerseits / andererseits: Schizophrenia perennis.

Ausrichtung auf einen Angelpunkt: Stabilisierung: so dass man, da man ja rechtzeitig in Deckung ging, nun ungehindert durch die Stadt gehen kann: vorbei an Bullen, deren Pistolen traurig an ihnen herabbaumeln; vorbei an Sirene / Blaulicht / Melancholie: diese wirkt allenfalls nach, wenn die neugewonnene Sonne die Augen durchdringt: ein winziges astronomisches Fenster, das man: je mehr erwartet, desto besser traf.

Quincy (tanzende Melancholie): monoton und bodenlos – vage Eindrücke verknüpft: unscharf angesichts des gegenwärtigen Aufruhrs): da die Bullen umherstehen und nicht mehr wissen, warum sie die Toten tödlich verletzten, als die Diktatur ohnehin schon gestürzt war. Und dazu das andere: dass man Ursache ist, aber lebt: zwischen gaffenden, nunmehr sogar ein wenig selbstkritischen Bullen dahingeht. Also: man ist Quincy, man tanzt: cool; der bisher noch immer Entkommene; der geliebte Todbringende: Last: Masse mal Geschwindigkeit des Einschwenkens in die Umlaufbahn: ein Gegenstand, der Schwerkraft setzt, sich selbst stabilisierend. Wer aber erklärt den anderen die Kraft: die Wärme: das Licht? Da kommt kein in die Umlaufbahn geschwenkter Komet herum, er wäre denn bei diesem Manöver zerrissen. Doch das wäre einfach:

die Krankheit mit dem Tod heilen.

Somit ist jede lebendige Lösung ein neues Problem.

Während man auf seinem Weg die Meinung des Therapeuten hört – nehmen Sie es als vorübergehende Besserung, mein Lieber. Das Gehörte rasch beiseite geschoben, ist man: vielleicht frei, aber in welcher Erloschenheit: zuviel Ballerei, zuviel durchscheinende Tatsachen. Meditation: Selbstmitleid, Mitleid, Zeit, jenseits jeder Einteilung, körperlich fühlbar: erst dadurch tritt das Einerseits / Andererseits so deutlich hervor. Erst im Überblick sind die tödlich Verletzten so tot; man selbst so lebendig: rechtzeitig in Deckung gegangen, aber zurecht? Eigentlich wollte man nichts denken: leer bleiben, nicht die Denkstraße erneut beginnen: alltagsabweisend, zeitabstoßend, kunstvollschmerzlich. Sich reproduzierende Diskussion: Ausbeuter Leistungsprinzip Hilfe Betrieb Sklave Geld Familienvater Diktaphon Interesse Gesellschaftsordnung Chance Psychologie Kapitel-für-sich. Und: Wandlung Amerika Augen-auf Talent Illusion Bewusstsein Aufschneider Champagner Heller-Moment Abteilungsleiter Ausziehen Telefon. Und: Erziehung Verschiedenheit Welt-bricht-zusammen Wirklichkeit Überzeugung Beispiel Glaubwürdigkeit Anklage. Und also: Wörter, Reste einer mit Säure behandelten Sprache. Verscheuchen: Fratzen. Uniformen. Phrasen: Der Tod des Angestellten. Der Tod des Studenten. Der Tod des Arbeiters. Der Tod des Soldaten. Der Tod des Lehrers. Wie viele Geschoße würde man da noch brauchen, bis der ganze Mensch getroffen ist. Dann vielleicht: Der Tod des Geliebten.

Man ist Quincy, möchte es sein: der geliebte Planet: aber welcher Sonne? Das Licht, das auf den in die Umlaufbahn Eingeschwenkten strahlt, stammt von einem ambivalenten Stern. Unter heftigen Krämpfen der Diktatur, unter verzweifelter Ballerei der Bullen, unter der tödlichen Verletzung der Gefallenen ist man in die Umlaufbahn eingeschwenkt. Und die Doppelsonne, von der Wüste der Kometenoberfläche her gesehen, scheint nicht nur: sie entzündet, wirft auf und ab, linkswärts und rechtswärts, vor und zurück. Und ein kleiner Prinz, von einer Schlange gebissen, grüßt mit Hallo! Sagt sterbend: ich passe mich den Umständen an: – ein Bild, hinter dem ein Bild steht. Sähe man einen Brunnen: man würde hinlaufen. Aber dieser Brunnen (wenn es ihn gäbe) wäre bloß ein Bild, hinter dem wieder ein Bild stünde, vom Himmel in den Sand gespiegelt, in Wirklichkeit unerreichbar weit: zu weit jedenfalls für einen, der sich bereits den Umständen anpasst.

Fort (wie immer, warum nur): man betritt einen Laden, in dem noch die Artefakte aus der Zeit der Diktatur liegen: ein nicht sehr umfangreiches Sortiment. Bei Bürgerkrieg hörten sie hier nämlich gern Beethoven, bei Krieg mit dem Ausland lieber Rachmaninoff (sonst aber nichts). Und Krieg gab es immer.

Jetzt aber treten in den Laden: die plakativen Burschen einer neuen Ordnung: trudeln ein, füllen die leeren Regale: stellen Werbetafeln auf: o Offensichtlichkeit, o kapitalistisches Design, verglichen mit der diktatorischen Insichgeschlossenheit.

Ein Planet, der um eine Sonne kreist, verkauft sich gut, zusammen mit den dazugehörigen werbewirksamen Geschichten. Zum Beispiel Rosita C. – eine Spanierin, deren wirklicher Name zwar bekannt ist, von der Redaktion aber aus selbstverständlicher Rücksichtnahme geändert wurde (übrigens: so sieht sie aus – Foto ganz rechts) -, die mit ihrer Erscheinung die Touristen in Aufruhr versetzt: und eines Tages kommt ihr ein Mann (im Bild links, Name der Redaktion bekannt, selbstverständlich) in die Quere, der nicht nur schauen (wie ein Illustriertenleser), sondern auch hinfassen möchte. Und das Problem ist, dass beide einerseits zu feig sind, etwas zu tun, andererseits aber zu gierig, um die Situation ungenützt verstreichen zu lassen. Frage: was also hätte der Mann, 34, Name der Redaktion bekannt, und was hätte Rosita C., 23, Name von der Redaktion geändert, tun sollen? Antwort: wenn die beiden nichts getan haben, dann war es wohl das Beste, nichts zu tun! O Offensichtlichkeit, o kapitalistisches Design: da kommt keiner herum, er wüsste denn bereits frühzeitig – wie immer, warum nur – um die Doppelwirksamkeit / Doppelbödigkeit / Doppelerkenntnis, wäre also schon an diese gestoßen.

Oder zum Beispiel (eine andere plakative Geschichte) der FBI-Agent Nr. 401 vulgo Neil Baker, der eine heiße Spur verfolgt: Tatbestand Mord! Denn es begab sich, daß Daisy W. (deren wahrer Name ist Amtsgeheimnis der amerikanischen Bundesbehörde) in einem Restaurant erschossen wurde. Es steht fest, daß der Mörder 1951 im Elternhaus geboren wurde und seither – da er schon von Kindesbeinen an geraubt und gemordet hatte – gut siebzig Prozent seines Lebens im Gefängnis verbracht hat. Nähere Angaben zum Täter, übermittelt durch Neil Baker (FBI): Er ist sehr hässlich! Sehr stark (aber nicht stärker als ich)! Dunkelhaarig! Braune Augen! Hellblauer Rollkragenpullover, braune Jacke, schwarze Hose! Trägt eine Comex-Uhr (die funktioniert)! Mit einem Wort: ein schwerer Brocken! Dingfest gemacht durch Neil Baker (das bin ich)! Ende. O Offensichtlichkeit, o kapitalistisches Design: da kommt keiner herum, der aus Meer / Strand / Bergwerk / Urwald hervorgegangen ist: tanzt, singt: lacht.

Oder zum Beispiel (eine andere plakative Geschichte): ein verkannter Geliebter (es tut wohl, geliebt zu werden; selbstverständlich ist der Name der Redaktion bekannt): das Filmthema des Jahrzehnts, beleuchtet von einer ambivalenten Sonne: hätte man das Charisma, wäre es öffentliches Gut, das heißt mehr als eine Fiktion. Durch ein Fernrohr die Erde: da ist es nicht. Durch das Auge der Geliebten die Haut und das Haar, durch das Ohr der Geliebten die Stimme: da ist es. Durch das Mikroskop die Zellen: da ist es nicht. So klein ist das Fenster: wenn auch das, was es aus der Wirklichkeit schneidet, sich sehr plakativ ausnimmt. Ist das nun die Wahrheit oder erst wieder nur eine Regenbogengeschichte? O Offensichtlichkeit, o kapitalistisches Design: da kommt keiner herum, der existiert.

Oder zum Beispiel (eine andere plakative Geschichte, von den in den Laden trudelnden Burschen herbeigeschleppt): ein System, das ein anderes abgelöst hat. Es ist gut, dass der frühere Komet nun um eine Sonne kreist – es war schlecht, daß der nunmehrige Planet früher nicht um eine Sonne kreiste. Es ist gut, daß der frühere Komet die Diktatur zerstört hat – es war schlecht, dass der nunmehrige Planet früher eine Diktatur duldete. Es ist gut, dass der frühere Komet seine Krankheit offenbar gemacht hat – es war schlecht, dass der nunmehrige Planet früher seine Krankheit verbarg. Es ist nicht so, dass die in den Laden trudelnden plakativen Burschen (Vertreter einer neuen Ordnung) in ihren Ansprüchen bescheidener wären als ihre Vorgänger (die ballernden Bullen). O Offensichtlichkeit, o kapitalistisches Design: da kommt keiner herum, den bereits die diktatorische Insichgeschlossenheit gestört hat.

Angesichts von Zweifeln entfährt es – wie ehedem den ballernden Bullen ihre Geschoße – auch mal den plakativen Burschen: du könntest ja brav sein, wenn du nur wolltest, aber du willst nicht, du blöde Sau: und wenn es gar hart auf hart geht, bringen auch sie einen auf elegante Art um: Doppelbödigkeit des Zweifels, der Argumente – das fügt sich im Nu zusammen. Lang genug ist das Fortschreiten auf dreidimensionalem und plötzlich so tragfähig gewordenem Papier beschrieben. Meinungen gehört, Erkenntnis vollzogen: einsam, mangelndes Wir-Bewußtsein, selbst bezüglich der – immer bewussten – Revolution, Relativität: Praxis, Praxen durchschleichen, Schwarzhandel mit Gedanken. Wie einfach ist es zu töten (wie immer, warum nur?), doch in wessen Auftrag? Verzeihen – – im Auftrag des Opfers den Mord? Einszweidreivierfünf: daran kann man sich für einige Zeit halten: einsvierneunsechzehnfünfundzwanzig: das stabilisiert für den Moment wie Gebet: warum nur, wie immer? Warum irgendeinmal nicht mehr? Aufbau: Sünde der Väter, gestützt auf ballernde Bullen oder plakative Burschen: reduziert – am Morgen / am Abend – die Menschen, fürs Bruttosozialprodukt.

Unzufriedenheit: lacht der Herr Therapeut: viel ist das nicht.

Aber der Inder kennt den Weg: sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen: da kommt keiner herum, der seine fünf/sechs Sinne beisammen hat (wieder einmal, warum nur). Da der Mief, den die plakativen Burschen allenthalben verbreiten (wenn man erst sieht, was dahinter steht), ebenso tief in die Nase dringt wie jener der Uniformen, erklettert man bereitwillig ein am Straßenrand stehendes Lastauto, versteckt sich zwischen gestapelten Kisten: hofft, dass niemand etwas merkt. Da zeigt sich wieder einmal die Kehrseite der Geborgenheit: die Platzangst. Das vegetative Bewusstsein ist zusammengezogen wie das eines Kindes. Das rationale Bewusstsein hingegen weist Inhalte auf, für die der vorhandene Außenraum nicht ausreicht. Daraus ergibt sich ein ständiges Pulsieren der eigenen Person an die Grenzen der geistigen Möglichkeiten und wieder zurück auf die körperlichen Gegebenheiten: ein dauerndes Sprengen- und zugleich Bewahrenwollen.

Der Motor wird angeworfen, der Wagen setzt sich in Bewegung: trotz der Eingeschlossenheit ergibt sich ein Gefühl der Fortbewegung, da die Comic-Ausdrücke der plakativen Burschen (Uff! Scrootch!) immer leiser werden und schließlich verstummen. Dann nur noch fahren: erlebnisgleich wie im Kinderwagen, im Schulbus, im Militärtransporter, im Krankenwagen; finster wie im Tunnel: erlebnisgleich der Druckausgleichmaschine (nach zu schnellem Emportauchen), dem Sauerstoffzelt (Wiederaufstieg in ein schon verloren geglaubtes Leben). Und dann wieder das Aufbäumen gegen diese Erlebnismuster: man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht: Konzentration, Mobilisierung der Kräfte (Abstraktion des Körpers = man ist plötzlich der Benzintank, der leer ist).

Das Benzin ist aus, eines der Antriebsmedien der Struktur. Nicht nur ein weiteres, sondern das letzte Mal (es gibt kein Benzin mehr, schlechthin). Und das Stromnetz ist ohne Strom, durch sämtliche Leitungen wird nichts mehr transportiert, die Rundfunkanlagen stehen da, ohne zu senden. Wenig gibt es, weiß man plötzlich, was tatsächlich gebraucht wird: am wenigsten ein rational-intellektueller Überbau. Man geht auf einzelnen Strängen windschnittig angelegter, aber völlig verlassener Verkehrsbauten, man geht nur noch, läuft nicht, kann nicht stehen: ein eigenartiger Zustand ergibt sich, wenn der an sich und objektiv immerfort stattfindende Energieverlust mit einem Schlag bewusst wird. Daten, die früher eine Assoziation historischer Größe ausgelöst haben, bleiben still (nichts als Zahlen, unmissbraucht): selbst das nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Ganzen: niemals mehr den Kopf hinhalten, nicht einmal vorübergehend: man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht. Es ist nicht mehr ausgemacht, wer / was / wann / warum / unter welchen Umständen Vorrang hat. Und töten (etwa in einer Revolution) muß ja wirklich nicht gleich bedeuten: physisch zerstören, sondern kann auch heißen: einer übertriebenen Wertigkeit entkleiden.

In aller Größe ist man ganz klein. Weit über einem schieben sich die Dinge übereinander. Der Vordergrund wandert vor dem Hintergrund, der Hintergrund dreht sich langsam hinter dem Vordergrund. Der Himmel (der bedeckte, schattierte, blaufenstrige) mit dem Geflecht aus Sonne (der ambivalenten) drängt sich herein, füllt den Horizont bis in jede Ecke, gleitet herab: da ist eine Telefonzelle an der Straße, ergreift die Augen, gibt sich zu erkennen: man tritt ein, nimmt mechanisch den Hörer, wählt (innen ein Vakuum angesichts des offenkundigen Tatbestands: unerfüllt auch von Leid): das Summen in der Leitung wird leise, endet: man reagiert, begreift sich selbst unendlich langsam: so wäre Verzweiflung – ein Gefühl, an dem man den Intellektuellen erkennt, wenn auch nicht so gut wie an der hängenden Schulter (vom Tragen schwerer Aktentaschen) – ein vorrevolutionäres Relikt, das einer rationalen Überprüfung nicht standhält (dennoch scheint weiter zu gelten: wir lieben nicht, verstehen nicht, oder kommt das noch?). Leben im Auge des Hurrikans. Fetzen fliegen vorbei: Lösung der Zusammenhänge (muss sein). Himmel nun offen. Arme ausbreiten und schweben (aus der Telefonzelle heraus, die Straße entlang). Fahrzeuge (verlassene) überall (auch in der Luft). Bleckende Gebisse (äffisch: tumirnichtsichtudirauchnichts). Revolution muß sein, aber warum? Warum gibt es diesen Kosmos, die anderen alle? Warum diese erste Voraussetzung, die es erst möglich / notwendig gemacht hat, daß die Entwicklung vom Negiertwerden zur Emanzipation geht? Wären wir nicht völlig zu vermeiden gewesen? Wozu gibt es das, was so unglaublich intensiv ist, dass es sich in uns materialisieren musste?

Auch die marxistischen Theoretiker können erst weiterdenken, wenn es wieder weniger Menschen pro Quadratkilometer gibt. Diese Gesellschaft, die jetzt offenbar verschwunden ist, hat das Bewusstsein deformiert und wurde ihrerseits vom deformierten Bewusstsein gestaltet. Schon richtig, denkt man, aber da müsste man ja nur die Bretter vor den Köpfen spalten. Schon richtig, denkt man, aber hier wurden eben gleich die Köpfe gespalten, alles aus dem Tritt gebracht: mit den Militaristen auch die Propagandisten. Sehr richtig, denkt man – nein, kein Aber jetzt: denn ein anderer Rhythmus sollte uns durchfließen. Man ist ja nur vom Volk der Gaukler (= erbringt Dienstleistungen), frei von Moral oder Logik: ein Narr, gegen die Nützlichkeit handelnd: – insgeheim hat man bereits ausgerechnet, was es in der neuen Welt nicht mehr gibt: Distrikte Kanzeln Gesetze Münzen Dogmen Strafen Fließbänder Anstalten Kulturbetrieb Angst Warten: den Staat. Und was es darüber hinaus nicht mehr geben sollte: innerpersönliche / innerfamiliäre / innersoziale / innerglobale / innerkosmische Konflikte: die Neurose. Menschenskind, denkt man, dann gäbe es Einklang: Wahnsinn als Würze statt als Krankheit. Ja genau, denkt man, dann wird sich später kaum jemand mehr vorstellen können, wie wir gelebt haben: vor allem, warum wir nichts dagegen getan haben.

Menschenskind, denkt man, wahrscheinlich wird man sich wundern, was die Bauern hier am Lande dagegen getan haben. Ja sicher, sagt man laut vor sich hin: wenn man nur wüsste, was vorher war. Ganz einfach, denkt man: die Bauern gaben Nahrung / Arbeitskraft / Leben für Sicherheit / Pathos / heiligen Schauer / Nationalismus / selbstbezweckten Krieg. Und als sie es mühsam durchschauten, dieses System künstlicher Bedürfnisse, diese Selbstentäußerung als Betäubung der Angst, köpften sie einfach die Pyramide, hetzten alles ihnen nicht Gleiche (nie lernten sie zu differenzieren) zu Tode. Man ist Quincy, denkt man (steht ratlos), möchte es sein, tanzt, singt: lacht: möchte seine Hände auf alle Geschöpfe senken, um sie von der Selbstzerstörung sowie von der Zerstörung anderer abzuhalten. Möchte ihre Sehnsucht stillen, ihre Liebe erwidern, heilen, abhalten von der Selbstzerstörung sowie von der Zerstörung anderer, der Diktatur die Todesurteile, den plakativen Burschen die Werbesprüche, den Bauern die bodenständige Brutalität zurückschleudern, in Blumen, in Bäume all das verwandeln. Tanzen am Ufer des Alles zum Nichts. Diese Revolution ist nicht emanzipatorisch, wirft nicht das Untere nach oben, sondern das nie Gewesene an die Stelle des bisher Dagewesenen. Singen – so viele Frauen sind glücklich zu machen: ihnen ist die Lenkung der Welt anzuvertrauen! So vielen Männern ist bewusst zu machen, dass nicht die Tat, sondern die Schönheit ihr Wesen und Zweck ist. Es gibt keine Gesellschaft ohne dialektische / ambivalente / kontrapunktische Entwicklung: aber ist Leben nicht möglich ohne die Epiphänomene dieser Erscheinungen: Aggression und Gewalttätigkeit (wenn man nur deren Zwangsläufigkeit aufhebt)?

Menschenskind, sagt man zum Inder, das wäre schön. Der verschwindet (man wird ihn lebend nicht wiedersehen). Er hat schon beobachtet / man selbst noch nicht die Herankommenden, bis man sie sagen hört: da ist noch einer von den Gauklern! Und sie heben ihre Fäuste: der muss auch noch dran glauben! Wir müssen jeden erwischen, davon hängt alles ab. Hier, an einer ihrer Funktion entkleideten Straße gibt es außer einem Felsblock wenig Schutz: Deckung immerhin, in die man (wie immer, warum nur) gegangen ist: sodass man angesichts der vorrückenden Meute versuchen kann, was man schon lange gewusst, aber nicht geglaubt hat, nunmehr zu glauben gezwungen ist: man erkennt in dem Felsen einen alten Opferstein (dessen biologische Kommunikationsfähigkeit mangels eines gläubigen Priesters ausgesetzt hat), legt die Hand darauf und denkt: ich glaube, dass auch in diesem Stein die Erkenntnis der positiven Wahrheit begründet ist; ich glaube, dass ich die Beziehung herauslesen kann zwischen Atem, Ton, Geist und Einstellung der mich umgebenden todbringenden Versammlung, zwischen der Kraft des Wortes und der beabsichtigten Wirkung; ich glaube, dass sie meinen wahren Namen nicht kennen, der mich ihnen ausliefern würde, dass ich dafür aber imstande bin, die namenlosen Tönungen meiner Seele auszudrücken: schneller als Geschoße fliegen und treffen.

Laut ruft man: der Tod ist nur ein Gleichnis: das Leben ist steuerbar, aber nicht völlig: es bleibt ein unkalkulierbarer Rest: mein geheimer Name öffnet die unendliche Zahl der Universa (du bist gut, fließen die Gedanken des Inders jäh herein). Mein Name, den ihr nicht kennt, betäubt die Furcht vor dem, was sich nicht sagen lässt: und die Angreifer weichen vor der (vermeintlichen?) ekstatischen Vision des Priesters zurück.

Welchem Gott dienst du, Vater, fragt der Älteste. Ich diene dem Gott der Fluren, des Wassers und des Himmels (in dem Wissen, dass der überwältigendste psychologische Faktor jeder sozialen Gruppe Gott genannt wird). Man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht: während sie sich darüber freuen, einen echten Priester eines so prominenten Gottes gefunden zu haben: während man mit ihnen – mehr oder weniger gezwungen, denn so einen lässt man nicht wieder los – in ihr Dorf geht, um mit ihnen zu leben: verändert sich mit Hilfe der neugewonnenen Kraft unmerklich für die Bewohner des in einer Umlaufbahn schwebenden Planeten abermals die Kosmogonie: man ist Quincy, dringt langsam weiter vor in den Einflussbereich der ambivalenten

Sonne:

ohne falsche Sentimentalität: unter den sicheren Schritten der Bauern, die glauben gewonnen zu haben: wirst du bei uns bleiben, Vater? fragt einer der Mitgehenden, keinen Widerspruch erwartend. Ja, sagt man, meine Söhne (lacht innerlich, tanzt innerlich aus der Umlaufbahn, singt innerlich die Koordinaten der Kurskorrektur: erleben kann man es ja, trotzdem außerhalb bleiben: an der Basis wurzeln, trotzdem in die Höhe denken: die Umgebung begreifen, trotzdem das Bewusstsein strecken, auf neuen Kurs gehen).

Bei den ersten Häusern des Dorfes angelangt, sieht man, dass alles ruhig / ordentlich / sauber ist: die Frauen gehen zu den Brunnen, holen Holz, schüren die Herdfeuer, kochen und erwarten die Männer, die von den Feldern und aus dem Wald von der Arbeit kommen: alle sehen zu, wie der Streifzug den Priester des Gottes der Fluren, des Wassers und des Himmels mitbringt: keinem fallen die parallel dazu stattfindenden kosmischen Vorgänge auf: das Größerwerden (zum Beispiel) der sich langsam nähernden

Sonne –

Im Haus dessen, der zuerst gefragt hat, wird man aufgenommen: am Tisch blicken alle Familienmitglieder erwartungsvoll, selbst durch die Fenster schauen neugierige Dorfbewohner herein. So dankt man dem Gott der Fluren und des Wassers und des Himmels für das Mahl (was kann das schaden?), und alle sind zufrieden, wieder im Einklang mit den urtümlichen Verhaltensweisen: als wäre das eine arevolutionäre Situation, die keine Veränderung erfordert, als hätten sie nicht gemordet.

Man begleitet den Hausvater um das Gehöft und prüft – während er nach geschlossenen Türen, eingebrachtem Futter und versorgtem Vieh sieht -, wie weit der Planet und nunmehrige Möchtegernmeteor Quincy von der Umlaufbahn abgewichen ist. Und in dem Moment, da der Hausvater ebenfalls seinen Blick zu den Sternen erhebt, hat man den Abweichwinkel geschätzt, erkennt man bereits eine Beschleunigung in der scheinbaren Bewegung der Sternbilder.

So (er meint: immer gleich) sehen wir das alle Nächte: das Sternbild Goldenes Dreieck (das Zeichen deines Gottes – aha!) und drüben im Westen das Sternbild Panther. Kennst du die Sage, Vater, dass dieser Boden, auf dem wir stehen, und dessen Bewohner verschlungen werden, wenn einst das Sternbild Panther vom Horizont her in die Höhe des Himmels steigt? Man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht (leise nur, denn es ist Nacht und der Bauer geht schlafen, wenn er nach den Ecken seines Gehöfts gesehen hat), erkennt dabei, wie das Sternbild Panther bereits beginnt, vom Horizont her aufzusteigen, getrieben durch die Kurskorrektur, die den Planeten und nunmehrigen Möchtegernmeteor Quincy aus der Umlaufbahn getrieben hat. Seht ihr öfter nach, fragt man, ob das Sternbild noch dort ist, wo es hingehört? fragt man. Nein, sagt der Hausvater ruhig, es ist nicht nötig, das nachzuprüfen, solange wir den Wind hören, in dem die Bäume rauschen, in die Augen der Tiere blicken (glimmend – den Atem spürt man früher als man etwas sieht oder hört).

Man fühlt plötzlich die Möglichkeit ganz neuer Erlebnismuster: fragt sich, ob das, was er beschreibt, das Natürliche ist, oder wenn nicht, was es dann ist: die Nacktheit oder die raffinierte Bekleidetheit (was bleibt, wenn man alles Modische / Zeitgemäße abstrahiert?). Obwohl die kosmische Veränderung bereits vor sich geht, sagt man: es steht geschrieben, dass dereinst nichts, was ihr geschaffen habt, bestehen wird. Nicht die Häuser / Werkzeuge / Kleider / Felder / nichts? fragt der Hausvater. Der Gott spricht, sagt man: auch die ganze Weltkugel, die ich schuf, nicht! Morgen früh werdet ihr daher die Leichen derer begraben, die ihr erschlagen habt. Sie sind das Symbol für die Schuld deines Volkes. Über den Gräbern werdet ihr Monumente errichten: denn es fehlt an Einrichtungen, die das Ungreifbare auch dann greifbar machen, wenn einmal die Berge sich samt ihren Wurzeln und den von ihnen abfließenden Strömen woanders hinlegen (weiß man es?).

Dann entfernt man sich: selbst beklommen. Zwar: man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht, aber im Bewusstsein, dass Rache, Klarheit, Trennung vom Bestehenden notwendig / nicht zufriedenstellend / und schon gar nicht glückbringend ist. Manchmal möchte man mit einem Namen / einem Wort den bezeichneten Menschen / Gegenstand halten / heraufbeschwören (vielleicht sogar den Zustand mit seinem Begriff). Manchmal hat man Erfolg damit, meistens nicht: wegen der Undefinierbarkeit des Menschen / Gegenstands / Zustands, wegen der Unzulänglichkeit der (eigenen?) Begriffe: wegen der Situation (der jetzigen, der verlaufenen, der anrollenden). Wegen der Parallelität, der verstrickenden Gleichzeitigkeit, in der man (ja, ruhig eine Emotion: leider) nichts ganz, alles nur oberflächlich betreiben kann: was aber manchmal wieder bedeutet, dass man (durchaus noch eine Emotion: glücklicherweise) nicht gezwungen ist, alles bis zu Neige zu erleben. Nicht nur, dass die Außenwelt so ist, wie man sie sieht: zusätzlich sieht jeder andere sie anders als man selbst, jedes Tier / jede Pflanze / jeder Stein sie anders als der Mensch, und sodann ist auch, wie alle anderen die sehen, die Außenwelt nicht. Meditation (plötzliches Wissen): was denkt sich denn eine Hutschachtel / ein Huhn / ein Hund / eine Hure / ein angeblich humaner Gott, wozu ’s / es / er / sie / ER lebt?

(Hier erfolgt zwischendurch eine Mitteilung an einen Freund: einer der zweiundsiebzig Namen Gottes ist Tod.)

Schließlich: das Bewusstsein bestimmt das Sein: die Revolutionen, die im Sand verliefen – an denen vorbei der (zwangsläufig, Günter Grass?) vorhandene Fortschritt seine Spur zieht -, sind gescheitert, weil sie nichts Entscheidendes geändert haben: denn das Sein bestimmt das Bewusstsein.

(Hier erfolgt eine weitere Mitteilung an einen Freund: der Tod ist ebenso eine Idee zuviel wie ein versäumter Gedanke: schrittweise.)

Selbsterhaltung (das Sternbild Panther steht im Zenit, der Komet Quincy hat die Umlaufbahn um die zunächst geliebte, später aber mit Misstrauen beobachtete Sonne verlassen: tanzt, singt: lacht: achtet nicht auf die Gefahren der Ambivalenz: dass auch ihm, dem zunächst Geliebten, später Misstrauen entgegengebracht wurde; achtet nicht auf die Gefahren der Dialektik: dass Liebe und Hass in einem neuen Gefühl resultieren müssen, von dem man nicht weiß, wie es letztlich aussehen wird; achtet nicht auf die Gefahren des Kontrapunkts: dass in der Melodie der Sonne das Klirren des Eises enthalten ist, anschwellend, wenn man sich ihr weiter nähert: Selbsterhaltung ist vor allen Dingen passiv: zögernd / melancholisch (vielleicht daß die Struktur durch ein Mich und ein Dich gleichermaßen nach der Erhaltungswürdigkeit des einen / anderen fragt), und der überlebt, ist jener, der das Wort kennt. Alle, die nicht sagen können: Ich will, sei lebend, müssen ange¬sichts der sich nähernden Sonne erstarren: Kälte dringt ein (blaue Tiefe). Man selbst, da man die Wahl hat zwischen dem Tod und dem Befehl an den Körper, lebend zu sein, ergreift diesmal nicht die andere Möglichkeit: man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht, kann sich nicht mehr erwärmen, kraft seines dem Unausweichlichen entrinnen. Soviel zum meditierend erworbenen Zustand, den man dem Inder zu verdanken hat.

Wieder am Strand (schwindlig, delirierend im Rhythmus der Bahnkorrektur), auf der Straße am Strand. Und der Herr Therapeut fragt (lacht): was haben wir herausgefunden? Selbsterhaltung? – viel ist das nicht. Selbstverteidigung – viel ist das nicht. Selbstüberschreitung? – da beginnt er endlich zu stutzen, fühlt sich seinerseits überschritten / überholt / umfasst. Von Berufs wegen ist er durch die Auswirkungen eines fast krankhaft integrativen Gegenübers gefährdet: weil nämlich, wer seine eigenen Bestandteile nur mit Mühe zusammenhalten kann, leicht auch auf jemand anderen übergreift – Selbstüberschreitung, sagt er (jetzt ohne zu lachen), das ist schon etwas: riskanter vielleicht als der Zustand davor. Und man kann ihn nicht beruhigen, denn eine Voraussetzung leichterer Lebensbewältigung ist es, das Risiko genau zu kennen und zu sozialisieren: da bleibt er zurück, bevor man fortfahren kann: dass das zum Beispiel bedeuten kann, den Tod ins Auge zu fassen (jedenfalls nicht so riskant wie das Weiterleben): den eigenen Tod, aber auch den des Nebenmenschen (zum Beispiel: des Herrn Therapeuten). Und, im Zusammenhang damit, ist zu bedenken, dass zwar – wenn einer tot ist und der andere lebt – in der so-seienden Welt der Lebende vor dem Toten stets recht behält: aber nicht, wenn der Tote den Lebenden mitreißt.

Schwindlig (wie ein Meteor bei Annäherung an sein Ziel): man ist Quincy, möchte es sein, tanzt, singt: lacht: man ist nicht Auge, Ohr, Nase, nicht Mund, Haut, Haar, Geschlechtsorgan Man ist nicht Gesundheit, Geborgenheit, Zufriedenheit, nicht Sattheit, Schöpfer (doch ein wenig), Produkt (doch sehr viel). Dunkel (objektiv und für alle anderen): also Licht, das die Schale nicht durchbricht, Gerechtigkeit, die nicht zutage tritt: nicht enträtselte Schrift, stummes Zeichen, stillgelegte Atmosphäre, versunkener Berg – heißt das alles: zerschellte Idee eines guten Endes?

Gibt es vielleicht eine intellektuelle Entsprechung des Deliriums (am Strand, auf der Straße am Strand): wurde nicht doch das Denken möglich auf dieser Denkstraße? Und was kommt dabei heraus: drei Gebäude, die nebeneinander stehen: die Akademie, der Weiheraum und das Cabaret. Am Eingang der Akademie steht geschrieben: Wollt ihr die totale Erkenntnis?

Vorlesung -: die Summe aller Wissenschaft ist die Sicht des Menschen, seine Bestimmung im Seienden, Rückführung auf seinen Zustand als Teil des Vorhandenen (ohne Bewertung, denn jeder Teil des Vorhandenen nennt sich selbst den wichtigsten, ist es aber natürlich a priori nicht). Was bezweckt die Natur? Nichts – es gibt sie nicht als lenkende Institution, ihre Ausprägungen sind Variationen von unendlich vielen Partikeln, mit unendlich multi¬pliziert. Jede Form ist Zufall, jede Morphologie übertriebene Vereinfachung, ist Vernachlässigung von Möglichkeiten, und – jetzt kommt’s! – auch das Gehirn, das solches denkt, ist Zufall, zufälliges und aberzufälliges Produkt eines unendlich breiten Variationsspielraumes, unterhalb jeder menschlich-selbstschützerischen Schwelle zur Bedeutungslosigkeit. Und daher (unter Ausklammerung der unendlich vielen Kosmen, von denen das eigene Weltall nur eines ist; der unermesslich vielen Galaxien, von denen die eigene Milchstraße nur eine ist; der unvorstellbar vielen humanoiden-trächtigen Planeten, von denen die eigene Welt nur eine ist) bleibt: dass der Anteil des Menschlichen an der gesamten Protoplasmamenge nicht absolut wertvoll, sondern inflationär aufgebläht ist, sich selbst erwürgend und darüber hinausgreifend die anderen Bereiche unter sich begrabend: das Großhirn, nachdem nun die Instinkte (des Tieres) und die Traditionen (des frühen Menschen), die gesagt haben, was zu tun sei, zurückge¬drängt sind durch eine Welle des Konformismus und Totalitarismus: sinnverloren, sowohl was die Person/als auch was die Situation/als auch was die Zeit betrifft. Da hilft es nicht, Verwünschungen ausstoßend um die Akademie zu laufen – das ist eben das Problem: anzuerkennen was ist (Glück entzieht sich einem in dem Maß, in dem man es intendiert). Unterentwicklung ist Elend ebenso wie die Entfremdung durch Überfluss – Entwicklung ist Befriedigung der Bedürfnisse ebenso wie die Weckung bisher nicht gekannter Strebungen, die für die Selbstverwirklichung wesentlich sind – Entwicklung betrifft alle Menschen sowie den ganzen Menschen (so weit, so gut). Entwicklung betrifft aber neben dem Menschen auch die anderen Lebewesen/alles Seiende – Entwicklung bedeutet das Ermitteln weitgesteckter Bedürfniseinheiten für sämtliche Existenzformen. Die Ideologie von der Durchsetzung der Art muss enden. Das Ausgerottete wird rehabilitiert. Wenngleich es sinnlos ist, aus der Vergangenheit heraus zu erziehen, ist es doch interessant, auch was war zu wissen. – Aber das Bleibende wird nicht mehr zum Aussterben verurteilt.

Wieder am Strand, auf der Straße am Strand. Am Eingang des Weiheraums steht geschrieben: Wollt ihr die totale Erleuchtung?

Predigt -: Der Mensch ist wie alle Lebewesen vom Körper her in das bestehende Raum-Zeit-Kontinuum eingebunden. Als einzige Kreatur ist er jedoch imstande, Lücken in diesem Gefüge auszumachen. Aus dieser Erfahrung heraus hat er manches erzwungen, was anderen Geschöpfen unzugänglich blieb. Er hat dem Regengott Regen, der Friedensgöttin Frieden, dem Siegesgott Sieg, der Fruchtbarkeitsgöttin Fruchtbarkeit abgetrotzt: dem Zeus/Aton/Wotan/Allah/Jehova die Herrschaft über die Wirklich¬keit, dem Christus die Erlösung, dem Buddha die Transzendenz alles Seienden. Die Sturmspitze des menschlichen Verstandes steht nun da: ratlos. Was besitzt der Himmel, die höhere Dimension, was man ihm fürderhin abringen könnte (wenn man nur die Methode wüsste)? Denn nur der Erwerb, nicht aber der Besitz ist lustbetont. Und überdies (da jede Gottheit eine Projektion ist) waren die genannten Eroberungen Dinge, die man ohnehin besaß, aber nicht bewusst: wir rannten offene Türen ein. Da hilft es nichts, Verwünschungen ausstoßend um den Tempel zu laufen – das ist eben das Problem: anzuerkennen was ist. Glück – dieses Programm ist doch in der Seinsstruktur gar nicht enthalten: wenn’s einer wird oder ist – ein Zufallstreffer. Die fortschreitende Hemmung vitaler Instinkte unterstreicht das noch: es wird verwaltet, organisiert, rationalisiert, Empfindung zugeteilt, Wohlsein vollzogen. Es gibt aber nur drei wesentliche Versu¬chungen: etwas besser darzustellen als es ist – die Sensationslust – die Machtgier. Diese drei und sonst nichts (auch nicht der Geschlechtstrieb) sind vom Bösen. Sie bedeuten Entfernung von sich ebenso wie vom Urgrund des Seins. Das Gehirn muss nicht ein Organ mit undeutlich formulierten Zwecken sein, sondern kann dazu eingesetzt werden, das eigene Verhalten zu prüfen, die Beweggründe dafür aufzuspüren und die Ursachen von Fehlentwicklungen zu beseitigen. Wenngleich es sinnlos ist, Gerechtigkeit zu üben, ist es doch gut, gerecht zu sein – untereinander sowie gegenüber allen anderen Seinsformen – aus dem Wissen um die Gleichheit in Unwesentlichkeit (vor allem dann, wenn unsere Seele mit uns stirbt).

Wieder am Strand, auf der Straße am Strand. Am Eingang des Cabarets steht geschrieben: Wollt ihr die totale Enthüllung?

Man setzt sich (und jetzt ist beileibe keine Zeit für Reflexionen). Sie (Valéria) nimmt den Nebenplatz und fragt Hastdueinezigarettefürmich? Ja. Feuerauch? Ja – undwashast-dufürmich? Ichhabefürdichdiemethode. – – -Waswie? Man gleitet über den Rand des Massivs der eigenen Persönlichkeit (die Vorstellung, die andere haben/man selbst davon hat), durchkreuzt schwebend das Spannungsfeld zwischen Ich und Du, stößt nach vor und zurück, nach oben/unten/links/rechts (Potenz = das Vermögen, mit dem Du Verbindung aufzunehmen), erkennbar treten die Abbildungen der Instinkte im Bewusstsein hervor. Come on baby light my fire verbrenne mich doch damit ich das Ende dieses Augenblicks nicht erleben muss (nicht wie immer warum nur) verzehre mich trommle den Rhythmus deines Blutes in meine Adern nimm mich auf sei ich nun Mann Frau Vater Mutter Kind Volk Priestergott. Schluss mit Maske Rolle: süßeste aller Vergänglichkeiten, umarme mich. Da bleibe ich während ich vergehe und bin fort während ich Bestand habe. Da hilft es nichts, sagt sie (großflächige Brille, Doktorin der Allheilkunde, formvollendet), Verwünschungen ausstoßend um das Cabaret zu laufen (während die Show weitergeht) – das ist eben das Problem: anzuerkennen was ist (auch die Nacktheit in diesem Etablissement ist eine Dienstleistung wie die des Beamten, Bankiers, Lehrers, Chauffeurs). Man will ja nicht Valéria, die Rollschuhartistin (obwohl auch diese Sparte auf nichts anderes zielt als auf sexuelle Erregung auf dem Umweg über Verletzungs- und Todesgefahr), und nicht Valéria, die Feuerschluckerin (obwohl auch sie mehr durch die Winzigkeit ihres Kostüms als durch ihre Kunstrichtung interessiert), sondern Valéria, die Striptease-Tänzerin: die ihre volle Intimität veröffentlicht (unserer Herrschsucht entgegenkommt), ihre Frisur auflöst und ihr Haar herabfallen lässt, ihr Kleid aufhakt und herabfallen lässt, die Flitterblättchen von ihren Brustspitzen nimmt und herabfallen lässt, ihr Cache-sexe aufknüpft und herabfallen lässt: langsam mit den Händen über ihre Hüften, ihre Brüste, die Innenseite ihrer Schenkel streicht, die Beine spreizt: ganz nackt ist (auch leer? ein Gefäß von Wünschen?).

Dann bewegt sie sich wieder (Valéria); sagt einem ziehdichaus; man tut’s, klar (klar?); ich bin – sagt sie (Valéria, Doktorin der Allheilkunde, formvollendet, nackt, selbstverständlich, man ist auch nackt, selbstverständlich) – dem Vater eine Tochter, der Mutter ein Sohn, dem Mann eine Frau/der Frau ein Mann, dem Sadisten ein Opfer, dem Masochisten ein Peiniger, dem Homo ein Freund, der Lesbe eine Geliebte – wenn’s sein muss, auch dem Philosophen ein Philosoph, dem Glaubwilligen Gott (aber die Liebe ist von vornherein eine selbständige Ebene, ein vegetatives und zunächst kein kontemplatives Erlebnis). Was soll ich also tun, wie mich verwandeln – fragt sie (Valéria, selbstverständlich nackt, mit geöffneten Schenkeln) -, damit du dich erlebst? Die Weiterentwicklung des Ansatzes ziehdichaus heißt: man ist sich seiner Nacktheit bewusst, aber auch der Tatsache, dass man ein Teil der Show – die weitergeht – geworden ist. Man ist Quincy: tanzt, singt: lacht: nackt (Freiheit ist so ein Gefühl): zieht seine Bahn, die aber nicht an dem geöffneten Schoß vorbei, sondern geradewegs dahinein führt: in die selbstgeschaffene Sonne.

Das Geschöpf bringt dem Schöpfer natürlich kein Glück: Wenn es sich – wie es jedem Geschöpf immanent ist – selbständig macht, kann es zwar Glück schenken, gehört einem allerdings nicht mehr allein. Man tanzt/singt/lacht in einer Reihe anderer, die an Valéria herangetreten sind. Das nackte Geschöpf schenkt nach Gutdünken Glück, ist nach links links, nach rechts rechts, nach oben oben, nach unten unten, nach vorn vorn und nach hinten hinten (und es steht der Vater nackt vor der Tochter, die Mutter nackt vor dem Sohn und so weiter, auch der Philosoph nackt vor dem Philosophen, Gott nackt vor dem Gläubigen): und gleichzeitig steht Valéria weiter da, zum Greifen nah, die Nacktheit ist wieder zur Natur geworden. Das Geschöpf (formvollendet, zum Greifen nah) verändert den Schöpfer, überhöht ihn, läßt ihn gleichzeitig die Möglichkeit des Absinkens / Abschwellens fühlen: man ist Quincy, tanzt/singt/lacht/nackt vor der selbsterzeugten Sonne (melancholisch, aufklingend, gleichzeitig die Möglichkeit des Abklingens in sich tragend).

Das Geschöpf (Valéria, formvollendet, zum Greifen nah, die Schenkel geöffnet, die Finger an den Schamlippen: nicht zum Umkreisen, sondern zum Hineinstürzen in die Mitte der Sonne auffordernd) macht einem das Eigentliche klar: daß Erfüllung nur (mit der Wahrheit leben!)
im Heraustreten aus der Zeit/dem So-Sein
möglich ist:
kurzfristig durch das
Eindringen in den geliebten Körper (bis dieser aufstöhnt vor Befriedigung, bis man selbst aufstöhnt vor Erkenntnis).
Langfristig aber nur: durch den

Tod.

So wie Gott versinkt man im Geschaffenen: Es geht nicht darum, ob man in Begegnungen schwer beschädigt wurde, sondern darum, daß die Substanz verzehrt ist. Der Inder als Fährmann, der einen hinausrudert aufs Meer (man ist Quincy, möchte es sein: tanzt, singt: lacht: ganz innen, mit letzter Kraft, außen leblos: nicht mehr jener Komet, der – wie immer, warum nur – das Weite sucht/auf seinem Weg in den Einflussbereich von Sternen gerät, sondern einer, der
in die Sonne gestürzt
ist),
muss nicht mehr klarmachen, dass Erkenntnis (auch die zuletzt in Valérias Vagina aufstöhnend erlangte) überall gleich möglich beziehungsweise unmöglich ist, die Bewusstheit der auseinanderfallenden Konsistenz des Körpers immer vorausgesetzt.

Die Trennwände zwischen den Gebäuden sind eingerissen, Enthüllung = Erleuchtung = Erkenntnis: sinnvollerweise müssen alle drei deckungsgleich und vom selben Stoff sein. Einreißen von Trennwänden ist Leben im Land Nirwana (das alles und gleichzeitig nichts ist), und wenn sich auch der subjektive vom objektiven Eindruck unterscheidet, sieht man, dass die objektive stoische Betrachtungsweise vorzuziehen ist. Warum also andere, warum nicht endlich doch man selbst. Der Fährmann rudert den in schwarzes Tuch gehüllten Körper immer weiter fort. Dass sich das Cabaret (klar, dass die Show weitergeht: Valéria take it off!) hinter ihm noch zu sehen ist –

– die Trennwände zur Akademie und zum Tempel sind eingerissen, Valéria wirbelt, Unwesentliches zurücklassend, durch die Räume, hält da und dort kurz an, um sich darzustellen, erkenntnisfördernd; der Professor und der Prediger sehen ihr zu, ebenfalls nackt, selbstverständlich –

– legt die Vermutung nahe, das aufgerichtete Glied des Toten sei eine letzte Huldigung für die Striptease-Tänzerin. Für eine Weile verfolgt man noch, wohin sich die Atome des eigenen Körpers verflüchtigen. Leid ist gebunden an ein zufälliges Sammelsurium von Partikeln (Auflösung = Erlösung). Die Grenze des Selbst wird verwischt. Was man war, ist Musik, die der Wind davonträgt (Sarkasmus, Melancholie, Vergessen). Oder gibt es einen Dirigenten, der mitten im Konzert einen einzelnen Ton festhalten wollte?

Man ist Quincy, der über die Konturen seiner bisherigen Übungen hinausgewachsen ist: der Schöpfer, vom Geschöpf mit weit geöffnetem Schoß verschlungen. Zweifellos gibt es einen Zustand verbesserter Kommunikation.

O Mahavishnu = eine nicht vorhandene Instanz –

Ich bin ja da, sagt der Inder, der einen in der Einöde aufgelesen hat, ich bin ja da, beruhige dich.

Der Herr Therapeut hat mir erlaubt, auf diesem Weg eine Botschaft abzusetzen. Er sieht das als ungefährlich an, möglicherweise habe ich auch begonnen, ihn zu beeinflussen so wie er natürlich mich.

Jedenfalls frage ich mich, ob ich irgendwelche Hoffnungen erfüllt habe: ob ich irgendjemandem etwas mitgegeben habe für die apokalyptische Welt, die da draußen, fürchte ich, stattfindet. Völlig irrelevant für den jeweils Betroffenen ist der Vorwand jeder Generation: die Schutzbehauptung, es sei vor der Zeit schon alles angelegt gewesen. Dass diese Lebenslüge existiert, macht die Neurose aus, die unter anderem zur explosionsartig sich erweiternden Gestalt dieses Manuskripts geführt hat.

Die eine oder andere Freude, die ich irgendjemandem einmal bereitet habe, ist kein Verdienst. Ein Verdienst könnte es sein, irgendjemanden auf das vorbereitet zu haben, was ihn erwartet. Oft gegen die kindliche Unbefangenheit habe ich zwanghaft versucht, irgendjemandem allen erdenklichen Quatsch beizubringen. Wenn ich mir die Adressaten von konventionellen Erziehungsmaßnahmen aber vorstelle als Opfer einer globalen Hunger-, Klima- oder Nuklearkatastrophe: wie konnte man sie darauf vorbereiten?

Sie sitzen dann vielleicht irgendwo – wo es schrecklich ist – und müssen sich noch dazu fragen, ob irgendjemand sie überhaupt geliebt hat.

Als ich selbst klein war, wurde ich gezogen. Eines Tages, als es Zeit dafür war, habe ich mich selbst vorgespannt. So einfach ist es aber heute nicht mehr. Statt meine Aufgabe wiederum weiterzugeben, würde ich euch allen lieber den leisen Schwung geben, mit dem ihr abhebt in einer weiten Parabel.

Ich habe versucht, den Herrn Therapeuten davon zu überzeugen, daß es in seiner Wissenschaft wie in jeder anderen keine Konstanten mehr geben kann. Wenn man einmal erkannt hat, dass der ungeheure Ballast an Traditionen unkritisch von Generation zu Generation weitergegeben wird, aber eben nicht genetisch verankert ist, wie man uns gerne weismachen möchte, beginnt sich die Realität endlich zu bewegen – was ihre eigentliche Natur sein muss. Der Herr Therapeut wehrt sich nach Kräften dagegen, dass ich im Rahmen unserer gemeinsamen Gedankenexperimente das herkömmliche Welt-bild zerstöre. Sein Glaube an a priori formulierte Axiome ist bemerkenswert, sie grenzt an Religion, während auf der anderen Seite des Spektrums meine Religion an die Negation eines höheren Wesens grenzt. Ich weiß nicht, ob es meinem Seelenklempner (Verzeihung, war nicht so gemeint!) je in den Sinn gekommen ist, dass aus einer anderen räumlichen oder zeitlichen Sicht sein Versuch, die landläufige Normalität in mir wiederherzu-stellen, keinesfalls so attraktiv ist, wie es ihm scheint.

Es ist meine tiefste Überzeugung, dass gerade die allerheiligsten Anschauungen der Stoff sind, aus dem Katastrophen gemacht werden. Denn gerade wenn die Dogmen endlich zu wanken beginnen, werden sie kurzerhand zum Tabu erklärt, um sie vor der Berührung mit ihrer eigenen Unhaltbarkeit zu schützen, und diese Dogmen erleichtern bekanntlich das Standardisieren, und die Standards wiederum machen andere Auffassungen argumentativ unmöglich, verhindern sogar jede bloße Koexistenz unterschiedlicher Vorstellungen, obwohl wir zumindest akzeptieren müssen, dass jeder von uns nur auf die eigene Aussenweltsrezeption reflektieren kann, niemals auf die des anderen.

Koexistenz von ganz divergenten Anschauungen der Außenwelt kann man jedenfalls immer noch im hintersten Winkel des Bewusstseins heimlich zulassen, auch wenn der Druck der Umgebung massiv wird. Tabus hingegen sind viel schlimmer. Sie werden von ihren Erfindern (zum Beispiel vom Herrn Therapeuten) als schlechthin undenkbar gestaltet: die mit dem Tabu assoziierten neuronalen Information werden mit dem Reflex Angst verknüpft. So tritt bereits im Vorfeld des Versuchs, ein Tabu zu überdenken, geschweige denn zu brechen, eine Blockade auf.

Aber lassen wir diese Kritik der Psychoanalyse (die jedenfalls in die eine ebensogut wie in die entgegengesetzte Richtung funktioniert und die daher dem einen ebensogut wie dem entgegengesetzten Zweck dienen kann). Auch die physikalischen Zentraleinheiten, die scheinbar unverrückbar die Struktur des Universums aufrechterhalten – nämlich das Maß der Entfernung und die Zeit – sind nichts anderes als ein momentaner Rezeptionskanon. Ja, Leute, selbst die Zeit muss nicht zu allen Zeiten gleich abgelaufen sein. Wenn es so ist, dass unser Weltall sich ausdehnt, dann dehnt sich auch die Zeit mit. Daher ist das Universum in Wirklichkeit immer gleich groß und immer gleich alt, im Verhältnis von Raum und Zeit zueinander. Wenn ich, darauf aufbauend, das letzte Tabu breche und sage, die Zeit muss nicht einmal notwendigerweise immer vorwärts laufen, dann lerne ich zu verstehen, dass – anerzogenes Kausaldenken über Bord geworfen – die Ursache auch in der Zukunft und die Wirkung auch in der Vergangenheit liegen können. Damit ist für mich der entscheidende Schritt getan: Ich bin in der Lage, mich in diesem Kosmos frei zu bewegen. Jemand der das vermag, kann auch schon mal vor sich selbst dagewesen oder nach sich selbst gekommen sein. Das heißt aber nichts anderes, als dass ich — ich fasse den Gedanken! Nein, lassen Sie mich, Sie können mir nichts mehr anhaben mit Ihrer Pseudowissenschaftlichkeit! Insofern sich Ihre therapeutischen Ansätze auf meine Realität beziehen, sind sie nicht sicher, und sofern sie sicher scheinen, können sie sich nicht auf die Wirklichkeit beziehen! Die Absolutheit Ihres Anspruchs ist ein Hirngespinst! Ich aber — ich habe gefunden, was ich suchte…