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DIE ZEITMASCHINE

Wenn man im Alter von sagen wir 70 rückblickend eine Situation heraufbeschwören könnte, die sich mit vielleicht 35 ereignet haben soll, deren tatsächlicher Ablauf sich vielleicht ganz anders ausgesehen – nicht so spektakulär und prätentiös.

„Muss ich in dem Gerät nackt sein?“, sagt sie. „Und was das Entscheidende ist, wirst auch nackt sein?“ Ich beruhigte sie. „Wir werden beide nackt sein – das ist ja das Schöne an dieser Zeitmaschine, die übrigens lediglich gedacht ist, es schüttelt als das Überflüssige an uns ab. Es handelt sich dabei nur um Statussymbole – die müssen wir ablegen, um zum wahren Kern vorzudringen! Wenn du mit all deinen Fehlern sichtbar bist und wenn ich mit all meinen Unzulänglichkeiten es dir gleichtue, dann tritt das hervor, was an uns liebenswert ist! Dann tritt das einzigartige an uns hervor!“

Wir versanken ineinander – immer wieder…

Und dann redeten wir. Und wir verstanden uns, trotz aller Unterschiede in unseren Meinungen.

Oder täuschte ich mich. „Wir müssen reden. Über das Vorspiel.“, sagte sie. Ich war alarmiert. „Gleichberechtigung fängt beim Orgasmus an!“

Ich erwiderte: „Ein Orgasmus ist super, da muss man nicht groß etwas erklären.“

„Weniger super ist, dass die meisten Frauen keinen beim Sex haben. Immer wieder liest man, dass Frauen beim Sex etwa 20 Minuten brauchen, um überhaupt zu kommen – wohingegen sie wesentlich weniger Zeit benötigen, wenn sie es sich selbst machen. Nämlich nur vier Minuten. Männer hingegen brauchen beim Sex nur zwei bis 10 Minuten, um zu kommen. Das Ganze wird mit dem unterschiedlichen Körperbau begründet, oder auch gerne mit dem Satz ‚das ist eben so‘. Ich insistiere – das das eben nicht einfach so ist. Das ‚Problem’ sind nämlich nicht die Anatomie und dieser schwierige, schwierige Körper der Frau, der selbst im Jahr 2018 noch ein solches Mysterium ist, dass Männer kaum in der Lage sind, die weiblichen Genitalien auch nur korrekt aufzuzeichnen. Die Wahrheit, sie ist so simpel wie unerhört: Das Vorspiel richtet sich in den meisten Fällen nicht nach den Bedürfnissen der Frau, sondern nach denen des Mannes.“

Ich hörte ihr aufmerksam zu.

„Dabei wäre es genau das Vorspiel, das sie zum Orgasmus bringen würde. Vielleicht sogar in vier Minuten. Das ist etwas, das Männer nicht gerne hören. Es bedeutet, dass sie etwas daran ändern könnten. Ebenso, wie die Frauen selbst. Denn ändern lässt sich an ‚falschem’ Vorspiel nur etwas durch Kommunikation. Aber wie soll die funktionieren, wenn in den Köpfen der meisten Menschen steckt, dass das Ganze eben anatomisch begründet ist – und damit irgendwie okay, weil man am eigenen Körper ja schlecht etwas ändern kann?“

Ich hörte ihr mit wachsender Aufmerksamkeit zu. Selten hatte ich sie mit dieser Offenheit erlebt.

„Den besten Sex hatte ich immer dann, wenn ich darüber sprach: Was mag ich, was brauche ich und, so unangenehm es ist: Was mag ich nicht. Das konnte ich, weil ich meinen Körper mittlerweile ziemlich gut kenne und mir Statistiken egal sind. Mal komme ich, mal nicht. Mal schnell, mal gar nicht. Wie jede Frau hörte ich unzählige Male in meinem Leben, wie schwierig das bei ‚uns Frauen‘ sei, wie kompliziert. Bei Männern sei das ja so einfach. Das Schlimmste: Das sagen auch viele Frauen. Aber: Auch Männer werden durch diese 20-Minuten-Angabe unter Druck gesetzt. Brauchen sie nämlich selbst einmal länger als ein paar Minuten, stimmt vielleicht etwas nicht. Dass mit ihnen absolut alles okay ist und auch Männer oft durch Stress, Druck oder andere äußere und innere Faktoren nicht kommen können – das sagen diese Zahlen und Statistiken nicht. Den besten Sex hatte ich immer dann, wenn ich darüber sprach: Was mag ich, was brauche ich.“

Ich hörte ihr atemlos zu.

„Was bleibt, ist Verunsicherung und zu wenig Kommunikation. Sexismus, der nicht mal bei der intimsten Sache der Welt Halt macht: die Frau, das komplizierte und kaputte Geschlecht, das irgendwie nicht so richtig funktioniert, wie es funktionieren sollte. Dabei ist Sexualität und Begierde so individuell wie wunderschön. Und vor allem: Lust ist ein verdammtes Geschenk. Es ist ein Geschenk, dass wir es miteinander teilen dürfen. Und teilen sollten.“

Ich hörte ihr weiter zu.

„Der weibliche Orgasmus, er wird zu Unrecht mystifiziert und verkompliziert. Wir verstehen uns falsch, wenn wir glauben, dass Frauen einfach nur nicht so schnell kommen können. Sie können. Aber dafür muss man ihnen zuhören und zusehen. Man muss sie fragen und man muss sie machen lassen. Es muss doch der Wunsch jedes Menschen sein, dass der Sex mit der anderen Person für beide gleich schön ist. Am Ende geht es also um Gleichberechtigung. Und so, wie Frauen nicht schwächer, langsamer oder dümmer sind als Männer, so sind sie auch nicht weniger kinky oder erregt. Wir alle sollten nichts auf die 20-Minuten-Ansage geben. Denn wir haben keinen Sex mit Statistiken, sondern mit Menschen. Jeder sollte den anderen genug achten und respektieren, um ihm den gleichen Spaß zu wünschen, wie sich selbst.“

Ich bemerkte: „Wir brauchen eine Art Drehbuch zu den Rollenspielen. Da Improvisation nicht immer gut funktioniert, ist es ratsam, sich vorher ein Skript auszudenken. Bei erotischen Rollenspielen denkt man oft unwillkürlich an schlechte Sexfilme. Ein erotisches Rollenspiel kann jedoch durchaus dazu beitragen, den Alltag etwas aufregender zu gestalten und als Vorspiel zum Sex dienen. Rollenspiele eröffnen eine Unmenge an Variationsmöglichkeiten. Alle Vorlieben, Experimente oder Wünsche lassen sich ausleben, denn der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Das Interessante an Rollenspielen ist, dass man innerhalb von Sekunden jemand anderer sein kann. Man schlüpft in eine ganz neue Rolle und kann Situationen erleben oder Dinge ausprobieren, die man im Normalfall nicht ausprobieren würde. Dadurch, dass man sich hinter seiner Rolle verstecken kann, wagt man Experimente, die einem ohne Rollenspiele eventuell peinlich gewesen wären – denn in dem Moment agiert man schließlich nicht als man selbst, sondern lediglich als die gespielte Rolle. So können Hemmungen überwunden werden und man kann sich viel besser fallen lassen. Und das wirkt sich natürlich nicht nur positiv auf das eigene Empfinden, sondern auch auf das des Partners aus. Durch Rollenspiele verwandelt man sich in jemand anderen und gewinnt so Distanz zur eigenen Person, was gerade besonders den Frauen gut zu gefallen scheint.“

„Na schön, dann machen es einfach!“

„Du bist Cleopatra und bin Seth, ein Mann aus dem Volk, dem die Königin ihre Gunst erweist – nicht für ständig, das ist klar, dazu war sie zu wankelmütig. Cleopatra trug, wie es damals der Brauch war, einen Hauch von einem Schultertuch, das keinen Wunsch offen ließ, und einen Schurz, der mit einer Karaffe geschmückt war. Ihr Untertan begnügte sich mit einem einfachen Baumwollgewand, das den Oberkörper völlig freiließ. Seth erstarrte vor Ehrfurcht und überließ seiner Königin vollends das Ruder – er passte sich ihren Bewegungen an. So kam ich bzw. Seth auch auf meine beziehungsweise seine Rechnung. Eine ungeheure Flutwelle erfasste dich beziehungsweise Cleopatra dann und spülte uns beide hinweg.“

„Eine wunderschöne Geschichte! Nun möchte ich auch was zum Besten geben: Napoleon nicht als der große Korse, sondern als kleiner Revolutions-General mit Erektionsstörungen, und Marianne, die sinnigerweise genauso wie die französische Nationalikone hieß. Sie war drall (so wie ich) und mit nacktem Oberkörper unterwegs, er trug das damals übliche militärische Outfit (so wie du, wobei wir ein wenig geschummelt haben). Sie brauchte endlos, um ihn aufzuheizen – dann aber, nach Anfangsschwierigkeiten, ging es ganz schnell und wir wurden genauso erfasst wie bei der ersten Übung.“

Wir spielten „Der Filmdiva und ihr Assistent“. Wie bekommen man das hin? Nun, einen teuren Fummel hat doch jede Frau in ihrem Kasten – dasselbe gilt für hochhackige Schuhe. Sehr gut ist es, wenn die Dame den Mann dazu bringt, ihr die Füße zu küssen. Und dann folgt die Entkleidungszeremonie, schön langsam und gemächlich. Dann krabbelt sie aufs Bett, wackelt mit ihrem Hintern und sagt: „Jetzt kannst du mit mir machen, was du willst.“

Wir spielten „Die Abiturientin und ihr Lehrer“. Zunächst in die Maske: ein karierter Rock, eine weiße Bluse und schwarze Kniestrümpfe – es ist eine Schuluniform, und die verfehlt ihre Wirkung nicht. Die Haare sollten, wenn möglich, seitlich zu Zöpfen geflochten oder hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden sein. Plus: das unschuldige Gebaren einer Oberstufen-Nymphe – große Kulleraugen und erstaunt geöffnetem Mund. Wichtig ist aber, dass sie sich sprachlich nicht verirrt. Ein so junges, artiges Mädel kennt Vokabeln wie „Pussy“ oder „Schwanz“ noch nicht. Und wenn sie diese Worte doch kennt, dann kostet es sie sehr viel Überwindung sie auszusprechen. Nichtsdestotrotz ist sie von einer unbändigen Neugier erfüllt. Deswegen nimmt sie die Worte zwar nicht in den Mund, aber sie redet davon: „Darf ich ihn noch mal in den Mund nehmen?“ Oder: „Willst du ihn nicht auch mal da reinstecken, geht das?“ Je tapsiger und unerfahrener sie sich bei diesem Spiel gibt, desto besser. Und dann kommt es zum Vollzug.

Wir spielten „Die Unbekannte“. Die Utensilien: Zwei venezianischen Masken, die das Gesicht bis auf den Mund verdeckten, wobei besonders darauf zu achten ist, dass sie gut befestigt sind, damit sie auch wilderen Bewegungen standhalten können. Sonst sind wir von vornherein nackt und beginnen mit dem Sex, als sei er eine gewöhnliche Verrichtung, zu der sie beide sich gelegentlich treffen, nichts als etwas zu Erledigendes: Lust geben und Lust nehmen. Dabei fällt kein Wort, insbesondere werden keine Namen genannt. Dann wartet der Mann, bis seine Partnerin unter der Dusche steht, folgt ihr ins Bad und erzählt, was er eben mit der fremden Frau erlebt haben.

Wir spielten „Die Sekretärin“: Wenn man auf ganzer Linie den Chef heraushängen lassen möchte, sollte man der Frau ein hübsches Kostüm spendieren: einen Zweiteiler, am besten Nadelstreifen, der Rock ist etwas mehr als knielang. Dazu Seidenstrümpfe mit Haltern und ein Paar Pumps. Außerdem trugst du eine schwarze Hornbrille mit Fenstergläsern, die sie streng aussehen lässt. Der Plot des Films „The Secretary“ ist ziemlich einfach: Man bittet sie herein, sie zieht sich aus, Sie räumen den Schreibtisch frei. Wichtig sind hier die Details. Zunächst einmal zieht sie sich nicht einfach aus – sie schält sich unerträglich langsam aus ihren Kleidern. Ihre Bedienstete zeigt Ihnen ganz genau, was für ein fantastisches Fahrgestell sie hat. Und sie zieht sich nicht ganz aus – die Brille bleibt die ganze Zeit über auf der Nase, bis Sie ihr etwas geben, das sie sich von den Gläsern wischen muss. Schauplatz der Begegnung sollte ein möglichst stabiler Tisch sein, auf dessen Kante sitzend sie Ihnen am Ende ihres Striptease erwartungsfroh entgegenlacht. Kleiner Tipp: Eine gute Vorzimmerdame siezt ihren Chef – immer!