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TAUCHEN

Ich tauchte erschöpft auf. Das war mein persönlicher Rekord — ich war 10 Minuten unter Wasser gewesen. Und das in maximal 5 Meter Tiefe. Das ging nur in ausgeatmeten Zustand. Ich war ziemlich ausgepowert, aber glücklich! Von der sogenannten Rossschwemme in meinem Heimatbezirk Floridsdorf schwamm ich unter Wasser zum sogenannten Dragonerhäufel und, nachdem ich kurz Atem geholt hatte, zu meinem Ausgangspunkt zurück. Die Augen hatte ich von Anfang an immer offen, damit ich wusste, wohin ich mich bewegte. Als einzigen „Ausrüstungsgegenstand“ hatte ich mein Lebtag lang nur einen G-String zur Verfügung.

Dessenungeachtet verlor ich mein großes Ziel nicht aus den Augen: 20 Minuten! Dabei ging es nicht ohne sexuelle Komponente ab – ohne die würde es niemals gehen. Mein Körper wurde regelmäßig vom einem ordentlichen Orgasmus durchgerüttelt, von dem ich – wenn ich nicht aufpasste – nicht wieder erwachte.

Bei anderer Gelegenheit tauchte ich unterhalb der sogenannten Birner-Brücke auf den Grund, sodass die Boote über mich hinweggefahren sind. Eine Mischung aus Hilflosigkeit und Überlegenheit machte sich breit, wobei die Überlegenheit zunahm. Jedenfalls habe ich solange getaucht, bis ich einen Orgasmus bekam – jetzt war schon alles gleichgültig. Der Orgasmus schüttelte mich und mit Mühe und Not kam ich wieder zu mir.

Und dann kam meine Cousine Anneliese ins Spiel. Sie war nämlich zusammen mit ihren Eltern aus Eisenstadt zu uns nach Wien gezogen. Einschlägige Erfahrung mit dem Tauchen hatte sie schon – sie war Neusiedler See aufgewachsen sowie ich an der Alten Donau. Es ergab sich, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sandten.

Wir tauchten unterhalb von Booten, ohne dass jemand etwas merkte. Jeder hatte sein eigenes – nur Elektroboote hatten wir nicht so gerne. Das gleiche galt für Tretboote, aber eine Jolle oder eine Plätte war uns angenehm. Wir konnten mit der Zeit auch unsere Orgasmen miteinander abstimmen. Wir schwammen zueinander und hielten uns innig aneinander fest. Zu sehen war nichts, da sich das Ganze unter Wasser abspielte. Seltsamerweise war es das Tauchen, das uns dabei den meisten Spaß machte – und der langanhaltende Zustand unter Wasser. Damals schafften wir maximal acht beziehungsweise vierzehn Minuten. Und das war schon sehr viel.

Meine Cousine war während ihrer Ferien die meiste Zeit bei uns auf dem Mühlschüttel (obwohl sie das Jahr über im zwölften Wiener Gemeindebezirk wohnte). Ich hatte mein eigenes Zimmer – ein Notbett war schnell installiert. Und da waren wir an der Alten Donau von früh bis spät. Und wenn es einmal regnete, der Regen war warm – das hielt uns nicht davon ab. Wir tauchten ganz professionell, wir waren mehr unter Wasser als über Wasser. Da habe ich das erste Mal einen durch Luftmangel hervorgerufenen Orgasmus gespürt. Ich berichtete meiner Cousine brühwarm davon – und sie war keineswegs schockiert und sie wollte das auch einmal erleben. Sie gab nicht eher Ruhe, als dass sie meine Erfahrung teilte. Von da ab synchronisierten wir unsere diesbezüglichen Bemühungen, und es kam, wie es kommen musste: eines schönen Tages schliefen wir miteinander…

Und dann geschah das Wunder: die Reise nach Jugoslawien, noch in der Form, als gemeinsames Staatsgebiet. Es war das erste Mal, dass wir das Meer zu sehen kriegten. Es war alles auf sehr sympathische Weise primitiv – wir lebten in einem Raum, mein Vater, der uns begleitete, und wir zwei Hübschen. In Anwesenheit meines Vaters war natürlich keinesfalls an die Fortsetzung unserer Versuche des Miteinanderschlafens zu denken. Aber da blieb noch das Meer – da konnte sich der Alte brausen.

Das war allerdings gar nicht so einfach, denn es ging steil nach unten in die Tiefe. Wir tauchten und tauchten – da war kein Ende abzusehen. Wir mussten wieder an die Oberfläche kommen. Ich schätzte grob, dass wir 15 Meter tief getaucht waren. Wir waren irgendwie erschöpft und ließen uns treiben – und doch irgendwie war uns zumute, wie wenn ein Hai oder irgendein anderes Vieh aus dem Nichts auftauchte. Aber dann überkam es uns und wir fielen wie gehabt übereinander her, der Gefahr nicht achtend…

Mein Vater, der es sich den ganzen Tag unter einer Platane gemütlich gemacht hatte inklusive einem Getränk oder auch mehreren, wartete schon mit dem Abendessen auf uns. Nachdem einer kurzen Dusche hatten wir Hunger. Es gab Steaks, dazu Pommes Frites und eine Schüssel Salat. Nachdem es so schön war, blieben wir noch eine Weile sitzen – wir Jungen hatten es nicht eilig. Auch der Zerberus zündete sich eine Zigarre an.

Am nächsten Morgen eröffnete uns mein Vater, dass er heute mit uns schwimmen gehen wollte. Wir stiegen gemeinsam über den Bergrücken zu unserem Badeplatz – ich mit meinem G-String, meine Cousine in einem äußerst knappen Bikini (beides von der Pension, wo wir wohnten, weg), während mein Vater einen ganz konservativen Aufzug wählte. Er wollte sich erst an Ort und Stelle umziehen. Wir Jungen hatten ein anderes Problem – wir mussten weit hinausschwimmen, damit wir unbeobachtet blieben. Somit waren wir außer Atem, als wir bei der Stelle angekommen waren, uneinsichtig für meinen Vater.

Dann aber ging es richtig los: Wir tauchten tief hinunter (in ausgeatmeten Zustand wohlgemerkt, das muss man extra betonen), tiefer als unlängst, 20 Meter grob geschätzt. Da waren wir nur mehr ein Schatten unserer selbst. Ich musste an mein großes Vorbild denken: Estrella Navarro. „Man schwimmt tiefer und tiefer, es wird immer dunkler, bis man selbst nur noch ein Schatten ist. Aber allmählich gelang es mir, die finsteren Tiefen in ihren Spielplatz zu verwandeln. Angst spüre ich schon noch, ja, aber an der Oberfläche. Wenn ich entspanne und mein Gesicht unter Wasser tauche, verschwindet die Angst. Mittlerweile fühle ich mich im Wasser sogar schon wohler als an Land. Es ist wie ein Zuhause für mich geworden.“

Das war was anderes mit meiner Cousine – sie hatte schon zunehmend Angst, das spürte ich je tiefer wir hinab sanken. Während ich persönlich der konkreten Gefahr wie der eines Hais oder was auch immer etwas abgewinnen konnte, war es die unbewusste Bedrohung, was ihr zu schaffen machte. Was ihr zusehends auch die Fähigkeit, einen Orgasmus zu bekommen, raubte. Ganz anders hatte sich die Lage an der Alten Donau abgespielt. Ich versuchte, ihr die Furcht zu nehmen, was mir im Lauf der Zeit auch gelang. Sie klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende (was angesichts der Tatsache, dass wir unter Wasser waren, etwas seltsam war) – aber sei‘s drum.

Wir tauchten kurz auf, um Atem zu schöpfen und damit meine Begleiterin sich wieder beruhigte. Dann ließen wir uns wieder hinab, nicht ganz so tief wie zuerst, zur großen Beruhigung meiner Cousine. Und dann ging es Schlag auf Schlag – sie zog sich den Bikini aus und klemmte sich diesen unter die Achsel, ich tat Selbiges. Und dann kam das Verlangen wieder, was sich während sexueller Erregung in Nervenzellen und Botenstoffen im Körper im Ausnahmezustand manifestierte. Bei aufsteigender Erregung schüttet das Gehirn eine Menge Dopamin aus, das eine Art Rauschzustand auslöst und die „Gier“ nach dem Orgasmus fördert. Für Entspannung beim Sex sorgen Endorphine, die sogenannten Glückshormone, die vor allem Frauen helfen, zum Höhepunkt zu kommen. Sie sind körpereigene Schmerzmittel, die Stress beseitigen und Geschlechtsverkehr zum Genuss machen.

Meine Cousine kippte mir weg – ich hoffte nur, dass sie bezüglich Orgasmus auf ihre Rechnung gekommen war. So sicher konnte man da nicht sein. Ich war zu 100 Prozent auf meine Rechnung gekommen, und nun hatte ich genug damit zu tun, dass sie mir auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ich hatte persönlich auf ausgeatmeten Zustand bestanden. Der Bikini machte mir zu schaffen, denn ich konnte sie ja nicht in ihrer entblößten Beschaffenheit präsentieren. Um mich sorgte ich mich weniger – dabei fiel es mir kaum auf, dass mein G-String noch funktionslos an meiner Achsel baumelte. Ich habe Wiederbelebungsmaßnahmen gesetzt, die aber vorerst vergeblich blieben.

Ich versuchte, Land zu gewinnen. Ich schwamm um mein Leben, damit ich meine Cousine rechtzeitig ans Ufer bringen konnte. Das war gar nicht so einfach, denn es führte eine Leiter nach oben, und da musste ich den leblosen Körper einmal hinaufbringen – es gelang mir mühsam. Ungeachtet meiner eigenen Nacktheit (die wenigen Badegäste und mein Vater staunten) nahm ich die Reanimation wieder auf. Ein Rinnsal machte sich rund um ihren Mund auf – das Rinnsal wurde stärker und stärker, sie begann zu husten und schlug die Augen auf. Mir fiel ein Stein vom Herzen…

Ich bedeckte meine Blöße, obwohl es da nicht viel zu bedecken gab: Der G-String (benannte nach der G-Saite einer Violine – der dicksten) ist eine Art Tanga, der aus einem Stoffdreieck für den Schoss und zwei Schnüren besteht. Eine davon verläuft um die Hüften, die andere zwischen den Pobacken. Aber immerhin – die Form war gewahrt, das Nötigste schien bedeckt. Mein Vater eilte zur Unterstützung herbei, aber da war schon alles vorbei.

Meine Cousine erholte sich langsam. Wir sagten nichts vom Tauchen – schon gar nicht von den Experimenten, die wir durchgeführt hatten. Wir sagten nichts.

Schon ging es wieder (nach einer knappen Woche) heimwärts. Wir freuten uns schon auf die Alte Donau, unser bevorzugtes Terrain. Wir hatten einen Badeparzelle samt zugehörigen Boot (einer Plätte), wir brachen bei jeden Wetter, bei Sonnenschein ebenso wie bei Regen – es war ja damals durchgehend warm und angenehm. Wir ruderten an ein stilles Plätzchen und das Erste, was wir machten, wir legten unser Badezeug ab – meine Cousine ihren Bikini und ich meinen G-String, und räkelten uns auf dem Boot, sie ganz prominent auf dem Bug und weniger prominent auf dem Boden – wir waren auf jeden Fall nackt wie Gott uns schuf.

Und dann sprangen wir über Bord und tauchten sofort unter – zwölf Minuten, was meine Cousine betraf, und ich achtzehn Minuten. Alles unter der sexuellen Begleitmusik, ohne die wäre nichts gegangen, da waren wir uns einig und auf gleicher Wellenlänge. Dabei ist vor allem der männliche Part gefragt. Eine gängige Methode, mit der man die Standfestigkeit steigern kannst, ist die Start-Stopp-Methode. Dabei bringt man sich mehrere Male bis kurz vor den Orgasmus und stoppt dann. Besonders intensiv ist das Training, wenn man manchmal sogar ganz ohne Ejakulation endest – macht auch mental stärker. Mit einer stark ausgeprägten Beckenbodenmuskulatur hält man beim Sex deutlich länger durch – der Musculus pubococcygeus (lat. für „Schambein-Steißbein-Muskel“) ist einer der Muskeln, die die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane im Bereich des Beckenbodens umgeben.

Soweit die Theorie – in der Praxis machte ich das automatischen. So galt es nur mehr, unsere Atemlos-Dauer besser abzustimmen. Wir kamen einander näher und näher, wobei ich meiner Cousine nichts schenkte. Sollte sie das Manko auflösen – nicht ich. Jedenfalls kippte sie gelegentlich wieder weg, so wie in Jugoslawien, nur war es einfacher für mich, sie ins Boot zu heben. Als sie das dritte Mal kurz abwesend war, sagte ich zu ihr, ob sie nicht aufgeben wollte. Das kam für sie überhaupt nicht in Frage, sie war wie besessen, nicht achtend der Gefahr einer dauerhaften Schädigung. Und so kam es, dass sie – nach drei weiteren Blackouts – ihr Ziel fast erreicht hatte. Sie schaffte siebzehn Minuten, sodass wir nahezu ebenbürtig waren. Nur muss man sich das nicht so vorstellen, dass im Lauf eines einzigen Tages passiert wäre – wir brauchten zehn Tage dafür, und ich übte nicht weiter, um meine Cousine nicht zu desavouieren. Ich hatte außerdem Angst um sie, denn das musste nicht immer so gut gehen.

Herbst – die kalte Jahreszeit war gekommen. Wir waren Anfang Oktober noch baden gegangen, später nicht mehr, denn Eisschwimmen kam für uns nicht in Frage. Jetzt begann eine traurige Phase für uns – die Pflichten riefen uns. Das Ärgste war aber, dass wir uns selten sehen konnten.

Die Bezirke 12 und 21 lagen nicht eben nebeneinander, zumal die Schnellbahn damals noch nicht existierte. Also machte ich mich auf den Weg – eine Weltreise seinerzeit. Ihre Eltern meiner Cousine haben mich freudig begrüßt – so konnten sie ihre Schuld teilweise abtragen, das war eben ihre Verpflichtung für die Aufenthalte bei uns. Ich hatte mein Magnetophon mit, sodass wir Musik hören konnten. Meine Cousine hatte ihr eigenes Zimmer, und kaum dass die Türe zuging fielen wir übereinander her, nicht achtend der Gefahr einer plötzlichen Störung.

Das war aber nicht so schön wie beim Tauchen, unter Wasser…